laut.de-Kritik

Auf der Pirsch nach dem perfekten Popsong.

Review von

Als Bauhaus-Freund musste man seit jeher viel Geduld und noch mehr Leidensfähigkeit mitbringen. Auch das letzte etwas unausgegorene Lebenszeichen - geben wir es ruhig zu - hat man sich um der Sache willen schön gehört. Doch Goth sei Dank hat das Elend ein Ende. Postpunk-Pete schießt drei Jahre später genau jene Scheibe lässig aus der Hüfte, auf die man letzten Endes seit "Burning From The Inside" wartet. Und das sind immerhin drei Dekaden.

Nach dem menschlichen Desaster mit den noch immer geliebten alten Kumpeln konnte und durfte es so nicht weitergehen. Also her mit einem neuen, gänzlich frischen Team. Vor allem Produzent David Baron und Gitarrist Marc Gemini Twaite kann man gar nicht genug danken. Gemeinsam schaffen sie es endlich, beide Seelen in der Brust des wahrlich exzentrischen Briten miteinander zu versöhnen. Schroffe Fratze und eleganter Cinemascope-Popper vereinen sich harmonisch zum warmherzig extrovertierten Edelrocker mit Goth-Chuzpe.

Letztere zeigt sich schon beim Foto-Artwork. Das Frontcover selbstredend mal wieder ein gewohnt typischer Symbolismus. Doch so richtig murphyesk gelingt vor allem die Rückseite. Dort steht der untote Gentleman wie Gevatter Tod auf dem Felde. Ums bleiche Haupt des Sensenmannes kreisen - nein, keine Fledermäuse - sondern schelmisch fröhliche Schmetterlinge. Vom grantigen Gothen-Papst zum weisen Sufi? Kein Problem für den seit mittlerweile 20 Jahren in der Türkei lebenden Northamptoner.

Mit flottem Gitarren-Flügelschlag eröffnet er den dramaturgisch perfekt inszenierten Songzyklus als Kolibri-hafter "Velocity Bird". Ein Lied wie ein Schwarm. Lebensweise verrät Peter uns allen die Rezeptur zu schillerndem Künstlertum. "Öffne dich deiner Liebe und sei du selbst, wenn du sein willst, wie ich." Genau hier zeigt sich seine Ausnahmestellung im Genre. Während Carl McCoy vor allem seine Depressionen pflegt und der gute Andrew Eldritch seine Sisters langsam aber sicher zur Prekariatsband herunter qualifiziert, entlarvt Murphy die gesamte dunkle Subkultur als das, was es sein sollte: Gutes Theater, keine Egoshow.

Altersmilde ist unser Butterfly-Bela deshalb jedoch lange noch nicht. Als Mittfünfziger rockt er so straight und rau, als ob es kein Morgen gäbe. Darkwave, Gothic Metal? Das ist zum Glück nicht die KiTa-Gruft von Lacrimosa, Down Below, Blutengel, Umbra und Konsorten. Alle Vertreter dieser ganz schmalen Spur sollten unter Bußgeldandrohung gezwungen werden, sich die berstend aggressive Leidenschaft von "Peace To Each" oder "Uneven & Brittle" so lange anzuhören, bis schlussendlich die Schamesröte ins blasse Gesicht steigt. "Verwandele Gekritzel in ein Gemälde!" Doch solches wird wohl (m)ein dunkler Traum bleiben.

Eine fast liebe- und sehr humorvolle Abrechnung mit den Brüdern vom zuletzt recht baufälligen Haus? Bei Peter wird daraus eine poetische Meuterei auf der Bounty mit Murphy als Captain Bligh und Rosen spuckenden Versöhner in Personalunion. "I Spit Roses" ist zudem ein Lehrstück in ausgefeiltem catchy Songwriting. Meisterhaft, wie die Bridge sich als Friedensbrücke über die leicht angezickte Strophe erhebt und im Titel gebenden Chorus kulminiert. Auf der Pirsch nach dem perfekten Popsong wird hier ein jeder Jäger fündig.

Und immer wieder diese Stimme. So altvertraut und lieb gewonnen wie ein alter Baum. Doch Vorsicht. Mancher Ast birgt neue Triebe. Der Sufi-Gesang hat das Spektrum sogar erweitert. Im Gegensatz zu dem etwas zerfaserten 2002er Album "Dust" nutzt Murphy die spirituelle Kraft nunmehr ganz im Dienste des pointierten Songs. Mal der manische Derwisch ("Never Fall Out"), dann wieder die detailverliebt androgyne "Sister Murphine", wie in der philantropen Utopie "Secret Silk Society". Die Range ist schlichtweg beeindruckend.

Mein ganz persönlicher Favorit - und möglicherweise der ideale Einstiegssong für Novizen - ist dennoch das an Saint-Exupéry gemahnende "The Prince & Old Lady Shade". Den Conferencier großartigen Rocks gab Peter schon oft. Man denke nur an "His Circle..." oder "The Sweetest Drop". Die neue Band krönt das Talent zum Triumph. Man höre nur, wie nach exakt einer Minute der Refrain zum sophisticated Gitarrengewitter anschwillt. " Ein Freund des Dschinn?" In dieser Form mit Sicherheit. Der großartig tiefsinnige Text - mehr Gleichnis denn Gedicht - konterkariert seinen grob dynamischen Klangkörper mit einer nahezu greifbaren Zärtlichkeit. Wer hier nicht ergriffen ist, dem wird wohl leider nicht mehr viel helfen auf dem Weg zum Autisten.

Murphys neuntes Opus ist in gewisser Weise schon jetzt ein Meilenstein. Der große Verdienst der LP liegt nicht nur in seiner Homogenität und melodischen Fülle. Es ist vielmehr ein Prototyp, ein echtes Brückenalbum geworden. Gothic Rock als kongenialer Partner einer menschenfreundlichen Weltsicht im Dienste der Liebe, geprägt vom muslimischen Sufismus. Das ist gänzlich neu und bringt das tragische Scheitern eines Cat Stevens schmerzhaft deutlich auf den Punkt. Ab heute lautet die freudige Botschaft: Bela Lugosi mag tot sein. Peter Murphy ist lebendiger als je zuvor.

Trackliste

  1. 1. Velocity Bird
  2. 2. Seesaw Sway
  3. 3. Peace To Each
  4. 4. I Spit Roses
  5. 5. Never Fall Out
  6. 6. Memory Go
  7. 7. The Prince & Old Lady Shade
  8. 8. Uneven & Brittle
  9. 9. Slowdown
  10. 10. Secret Silk Society
  11. 11. Crème De La Crème

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8 Kommentare

  • Vor 13 Jahren

    klingt sehr gut. werd' ich mir zusammen mit "Dust" zulegen.

  • Vor 13 Jahren

    Hmm, ich habe mir extra Zeit mit dem Album gelassen, kann der Review dennoch nichts produktives hinzufügen. Ich kann nur hoffen, dass der geneigte laut-user auch das Interview von Hrn. Kubanke mit Hrn. Murphy hier auf laut fand - Interviews sind ja eh eure große Trumpfkarte, gerade in diesem Fall fände ich es sinnvoll, wenn aktuelle Interviews direkt zu den jeweils aktuellen Platten verlinkt würden.
    Mr. Murphy indes kann sich bereits nach der ersten Jahreshälfte sicher sein, seine Platte am Ende des Jahres in sämtlichen filigranen "Best-of-2011"-Polls wiederzufinden, ganz bestimmt jedoch in meinem... Düsterer Edelpop der Marke "gelingt nicht alle Tage"...