laut.de-Kritik

Dreampop im Black-Prog-Inferno.

Review von

Dachte ich beim Hören von "In Times" noch, der (hochqualitative) Stillstand sei nun auch im Hause Enslaved eingekehrt, belehrt "E" eines Besseren. So frisch und unerwartet klangen die Norweger lange nicht mehr – vielleicht noch nie. Und trotzdem orientieren sie sich nicht komplett neu, sondern wickeln Fans gleichzeitig in vertraute Decken.

Zweifellos das Meisterstück seiner gesamten Karriere stellt Ivar Bjørnson dem Album voran: Über knapp zwei Minuten baut er in "Storm Son" wohlige Dreampop-Atmosphäre auf – und dekonstruiert sie zur selben Zeit. Die anfänglich lieblichen Arpeggios verfallen in ihrer Schönheit, sobald eine zweite Gitarre im Hintergrund Dissonanzen webt. Der Part setzt emotional ein dickes Fragezeichen: Soll ich nun wegträumen oder doch eher verzweifeln?

Derart softe Töne finden sich öfter auf "E". "Hiindsiight" etwa suhlt sich über weite Strecken im Shoegaze-Weichzeichner. Irgendwann schält sich sogar ein Saxophon aus dem Klangteppich. Die Trveheimer, die das vor den Kopf stößt, dürften Enslaved bereits mit den Vorgängeralben vergrault haben.

Dabei ist es keineswegs so, dass die Extreme Metal-Anteile zu kurz kämen. Grutle Kjellson krächzt auch über moderate Art Rock-Passagen, wenn es sein muss. Und "Storm Son" entfaltet in seiner zweiten Hälfte ein wüstes Black Metal-Inferno. Den Schlusspunkt des Songs setzt ein Groove-Riff, bei dem live bitte alle Horns und Haare Synchrontanz praktizieren.

Tool-Freunde kommen in "Feathers Of Eolh" auf ihre Kosten. Hier dominiert ein verzwicktes Tech-Metal-Riff, das sich erstaunlich gut mit parallelem Mystik-Gewaber paart. Überhaupt ist das Faszinierende an "E", wie viel jeweils gleichzeitig passiert. In "Sacred Horse" rammen vertrackte Staccato-Riffs Pfähle in den nordischen Boden, darüber breitet sich eine epische Folklore-Leadmelodie aus. Davor und danach jagen Drummer Cato Bekkevold und seine beiden Gitarrenkollegen das titelgebende Pferd im Halsbrechergalopp durchs Dorf und flechten währenddessen noch Rolling Stones' "Paint It Black" ein (das gemeinte Pattern zieht sich als roter Faden in mehreren Variationen durch den gesamten Song).

Grutle keift und brüllt, während in zweiter Reihe immer wieder Chormotive dazwischenfunken. Letztere bilden auch gemeinsam mit dem inzwischen in akustischer Form spielenden Main-Riff das hypnotische Outro. Kein Wunder, dass Ivar sich so gut mit Wardrunas Einar Selvik versteht. "Vikings"-Fans werden es lieben.

Weniger Wikinger- als vielmehr Deep Purple-Fans wird aufhorchen, wenn Neuzugang Håkon Vinje seine Tastenskills auspackt. Zwar ist "Axis Of The Worlds" immer noch im Metal verwurzelt, vermittelt allerdings sowohl dank Gitarrengroove als auch Orgelbacking Classic Rock-Feel. Auch in "Sacred Horse" gönnen Enslaved Vinje einen prominenten Soloplatz.

Im Progressive Metal führt 2017 kein Weg an "E" vorbei. Enslaved vermengen auf ihrem 13. Album so viele Einflüsse wie noch nie zuvor und so nahtlos wie nie zuvor. Statt Hart und Weich nebeneinander zu stellen – wie in der Regel gängige Praxis im Prog – finden sie einen Weg, die beiden Pole einander sehr nahe zu bringen. So entsteht eine unglaublich vielschichtige, spannende Platte, getragen von meisterhafter Komposition und dem Gespür dafür, dass Technik gegenüber Atmosphäre und Gefühl eben nur zweitrangig ist.

Trackliste

  1. 1. Storm Son
  2. 2. The River's Mouth
  3. 3. Sacred Horse
  4. 4. Axis Of The Worlds
  5. 5. Feathers Of Eolh
  6. 6. Hiindsiight

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