laut.de-Kritik
Wütend und verzweifelt klingt er am besten.
Review von Philipp KauseMan muss Clapton lassen, dass er polarisiert. Auch, dass er zumindest mit einzelnen Songs unvorstellbare Massen berührt hat - an die 300 Millionen verkaufte Alben. In jedem 35. deutschen Haushalt steht sein "MTV Unplugged". Aus seinen 60 Jahren Karriere mit vielfältigen Abschnitten liegt nun "Nothing But The Blues" vor. Das datiert in die Mitte der Laufbahn, auf 1994/95, als er medial seinen Aufmerksamkeits-Höhepunkt erlebte. Ein Live-Album. Sogar Regisseur Martin Scorcese interessierte sich für Eric. Nicht den privaten, der damals Thema in der Boulevard-Presse war, sondern den fachmännischen. So bekannt Mister Slowhand mit Softrock, Jazz-Covers und sogar Reggae-Pop wurde, ist sein angestammtes Revier der Blues. Und zwar der puristische, traditionalistische, minimalistische, langsame bis midtempo gespielte. Gerne elektrisch verstärkt.
Der Gitarrengigant hatte seine innovativen Momente, aber auf diesem Release pflegt er seinen Drall, antike Stilmerkmale zu konservieren. Das klappt mal mehr, mal weniger. "Nothing But The Blues" klingt pflichtschuldig und meist vorhersehbar. Die Zusammenstellung verwertet Mitschnitte von hinreißend herausragender Tonqualität. Einzig der Inhalt reißt nicht vom Hocker, zumindest hört er sich aus heutiger Sicht wie ein alter Hut an. Gefühlt werden die Hälfte der Spielzeit hindurch die gleichen drei Töne in Endlos-Schleife performt.
Eric röchelt, sein Gesang ist phasenweise keiner, sondern bedient die Ästhetik von Thrash-Metal-Ambitionen ("Forty-Four", "It Hurts Me Too"), schlechtem Cocker-Imitat ("Sinner's Prayer") und Frontmann einer mittelguten Rock'n'Roll-Kirchweih-Cover-Band ("I'm Tore Down").
Wie Joanne Shaw Taylor anlässlich ihres aktuellen Live-Blues-Kompendiums sagt: Man kann sicherlich den Kanon von Howlin' Wolf bis Muddy Waters runterspielen. Doch diese normierte Vorgehensweise wirft oft Stücke auf, deren Tonfolgen zum Singen wenig hergeben. Zudem stellt sich die Frage, ob man seine Liebe zum Blues immer dadurch am mitreißendsten erklärt, dass man den Mainstream innerhalb dieser Sparte zum hundertsten Male covert. Clapton wählte da einen Kompromiss. So eröffnet ein Geheimtipp, das Jimmy Rogers-Cover "Blues All Day Long".
Darauf folgt eine Runde Gängiges, Muddy ("Standin' Round Crying"), dann der heulende Wolf ("Forty-Four"), danach Tampa Red ("It Hurts Me Too", um die 100 Coverversionen). Wählerischer wird es hinten raus mit "Reconsider Baby" und "Sinner's Prayer" (beide Lowell Fulson) und dem relativ raren "Have You Ever Loved A Woman" (nein, nicht dem Bryan Adams-Tune).
"Someday After A While" hat Eric schon ewig im Set, "Motherless Child" ebenso. Nicht alles auf dieser Platte suchte Slowhand exklusiv dafür aus, und das als Konzertmitschnitt zu veröffentlichen, war nie geplant. Die Wurzel der Selection liegt vor allem in der damaligen "From The Cradle"-CD und Tour begründet, die wiederum Scorsese veranlasste, ein Interview mit Clapton zu führen. Um einen schönen Service handelt es sich nun gewiss, wenn die Plattenfirma sowohl das Filmmaterial aus dem Interview und von der Tournee sowie das Audio der Bühnen-Mitschnitte erstmals und dann noch in sehr guter Abmischung verfügbar macht.
Allerdings führt man die Fans mit sechs verschiedenen Formaten und vier verschiedenen Tracklists schon ein bisschen hinters Licht. Das Superdeluxe-Set ist sogar mit Gitarren-Plektren ausgestattet, eine nette Idee. Sie lenkt den Blick auf die gewaltige Dominanz, die das zugehörige Instrument hier hat.
Während man soundtechnisch super-hautnah mit dabei ist, trimmt der Six Strings-Meister ohne große Rücksicht auf andere Mitspieler seine Coverversionen fast alle auf eine Linie. Seine. Ab und an, wie in "Five Long Years", lässt die Stromgitarre auch dem Klimperklavier ein Plätzchen und die Band beiden Komponenten ihren Lauf. Oft jedoch mäandert alles schleppend vor sich hin. Dann liegt der Fokus entweder auf dem rotzigen, groben Gesang oder auf E-Guitar-Geheul oder auf einer penetranten, alles niederwalzenden Mundharmonika. Alles also sehr den Urvätern verpflichtet.
Supporter werden einwenden, ja aber: Das gehört doch so. Genau, aus dieser Einstellung entsteht das Problem. Hier ruht fast kein Stein auf dem anderen, ohne dass es sich eben exakt so 'gehört'. Doch immerhin: Beim Traditional "Motherless Child" hat der Engländer es geschafft, dass hunderte Aufnahmen, die es vor seiner schon gab oder die nach seinem '70er-Jahre-Cove noch entstanden waren, neben der vom Slowhand keine Rolle spielen. "Motherless Child" ordnet man heute einfach Clapton zu. Hört man es hier live, muss man anerkennen: Zu Recht!
Zusammen mit dem luziden "Malted Milk Blues", einer lärmarmen Version, und ein paar anderen guten Tracks, kommt das zweite Viertel der Live-Performance am stärksten und lebendigsten rüber. Ansatzweise sogar elastisch. Die psychedelischen Momente aus alten Tagen, wie man sie aus Creams "White Room" oder Dereks And The Dominoes' "Layla" kennt, fehlen in der hier altbackenen Darbietung des Londoners leider und das mit Absicht.
Einzig das zarte Zupfen der Saiten in "Early In The Morning" verweist auf jene Hokuspokus-Klangnuancen, die bei vielen Clapton-Superhits den Reiz ausmachen (von "Cocaine" bis "After Midnight"). Was Eric hier bei "Early In The Morning" vollzieht, ist freilich auch nicht seine Erfindung, sondern hört sich fatal deckungsgleich mit Jerry Garcia an. Generell ist "Nothing But The Blues" eine große Handwerks-Vorführung, mit teils übertriebenem Pomp ("Groaning The Blues"). Mag sein, dass viele andere nicht so bedächtig über die Stege des Gitarrenhalses gleiten, okay. Trotzdem stellt sich nach dem Hören die Frage: Was war das jetzt gerade? Was bleibt hängen? Irgendwas Eigenes, was Schöpferisches, Originelles? Leider: Nein.
Die Dauerneider und -nörgler in der Kommentarspalte werden nun wohl einwenden: Na, warum nicht längst die Erkenntnis, dass Eric over-rated ist!? Ja, weil "Sinner's Prayer" seine Spannungsmomente hat. Weil Clapton im Verzweiflungsmodus interessant klingt ("Someday After A While"). Weil sein "Malted Milk Blues" ein Earcatcher ist. Weil "Crossroads" ein straightes Teil ist und immer geht. Weil "Have You Ever Loved A Woman" so smart tänzelt. Kurz: Weil Potenzial da ist.
Und trotzdem steht für diesen ganzen Mitschnitt pars pro toto, wie der damals 49-Jährige "Every Day I Have The Blues" gemäß Chronistenpflicht runter spielt, ohne Feuer, ohne Präsenz, so als wäre er im Kopf nicht bei der Sache, sondern bei der Frage, wie er den Flieger zum Folge-Gig kriegt. Da liegt nichts in der Luft, springt kein Funke über. Laues Gejamme mit großem Namen.
Einen fetten Wurf hat das Teil aber: Wie die "Five Long Years" in gut verfugten, explosionsreichen "five long" minutes Pein und Qual verdichten. Am Ende hat der Anti-Held des Songs seine Lektionen gelernt: Nachdem die Partnerin ihn fünf lange Jahre hindurch betrogen hat, fliegt es nun auf. "Ihr könnt euch nicht vorstellen, wovon ich rede", "You don't know what I'm talkin' about", kläfft er, schreit seine Wut heraus, kann sie nicht verstecken, brüllt, schluchzt, zetert hadernd "she had another", vier Mal hintereinander, jedes Mal in einer anderen Intensitätsstufe, ja, hier lebt er, der Blues. Wenigstens einmal.
Die filmische Umsetzung, die gar nicht von Scorsese selbst stammt (der nur das Gespräch führte), ist so schlapp, dass jede Tier-Doku aus dem Schulfunk spannenderes Filmmaterial bietet. Es setzte Preise für den Film. Scooter Weintraub baute ihn zusammen, eigentlich ein wacher Typ, Manager von Sheryl Crow und Mann mit Gespür für diese Szene. Wer absoluter Blues-Einsteiger ist, bekommt ein paar gängige Namen gedroppt. In Zeiten von YouTube und Wikipedia findet man da jedoch hundertfach tiefer gehendes Material. Und zum Blues gab's schon spannendere Gesprächspartner.
Der zugehörige Film rekapituliert Altbekanntes. Man erfährt in knappen Worten, dass der Mississippi Blues nach Chicago kam. Dass Blues das Genre sei, welches Eric am allermeisten bedeute. Hätte man's für möglich gehalten? Wie er Howlin' Wolf live sah. Dazwischen alte Konzert-Plakate. Die stehen für das, was die DVD-Beschreibung als 'Fotos' anpreist. Mag sein, dass diese Plakate schwer aufzutreiben waren. In O-Tönen lernen wir, welche Leute prägend für Clapton gewesen seien, nun ja - eben die, die er covert. In einem schlabberigen beigefarbenen Rollkragenpulli schaut er halb-schräg neben die Kamera und teilt Allerwelts-Infos über Spieltechniken und Musikermilieu mit, die strikt an der Oberfläche kleben bleiben und selten tief gehen.
Atmosphärisch dicht wirken dagegen die Schwarz-Weiß-Aufnahmen alter Live-Club-Locations. Am meisten schöpft die Abhandlung aus den vernuschelten Wortbeiträgen der Blues-Legenden selbst. Nicht, weil die Interview-Schnipsel so gehaltvoll waren, sondern einfach um einen Eindruck von den Typen zu bekommen. Zum Beispiel von Jimmy Rogers (nicht der Country-Act). Der Gitarrist und Mundharmonika-Spieler eröffnet den Film. Da hatte Scorsese Glück: Kurz nach den Dreharbeiten erkrankte Rogers, lebte danach nur noch zwei Jahre, in denen er mit Clapton auf ein großes All Star-Projekt hin arbeitete. Er hatte sich früh mit um die 40 aus der Musik zurückgezogen, besaß ein Kleidungsgeschäft in Chicago, das bei Riots 1968 komplett in Flammen aufging. Solche Storys, die eine kritische Betrachtung statt kurz angetupfter, geschönter Erinnerungen ergeben würden, hätten den Film aufgewertet.
So wie sie ist, geht der Doku jedes Spannungsmoment ab. Die lang und breit eingestreuten 1994er-Konzertaufnahmen durchbrechen den Erzählfluss und haben mit dem konstant milchig-blaulila beleuchteten Saal, in dem Slowhand auftritt, optisch wenig zu bieten, auch wenn's das Fillmore West in San Francisco ist. Sicher, damals in den '90ern lag bei weitem nicht so viel Filmmaterial vor wie heute, und man war chronologisch viel näher dran am good old blues. Doch schon damals versuchten Leute wie Marla Glen, den Staub der Schellack-Ära abzuklopfen und das kulturelle Erbgut mit frischen Kontrapunkten spannend zu machen. Meister Slowhand nicht. Indes droppte er ein wesentliches Statement: Dass die größten Electric Blueser für ihn die seien, die mittels Gitarrensaiten sängen. Das erklärt, wieso seine eigenen Vocals hier allzu oft sedieren.
3 Kommentare mit 2 Antworten
Mit Raffinesse...
Mucke für Boomer, die ihre zweimal im Jahr gespielte Gibson im Wohnzimmer an der Wand hängen haben.
Motherless Child und Motherless Children sind zwei völlig unterschiedliche Songs...und Someday after a While wurde nur ein einziges Mal live gespielt - bei der Aufnahme dieses Konzertes.
Ich bin jetzt kein riesiger Clapton-Fan (mehr) - aber bissel mehr als die Setlist sollte man schon für eine Rezension machen. Vorallem wenn sie ausgiebiger diskutiert werden. Schon doof wen laut alles nun rezensieren lässt...
"Ich bin jetzt kein riesiger Clapton-Fan (mehr) - aber bissel mehr als die Setlist sollte man schon für eine Rezension machen."
Sollte man? Für diesen rassistischen, ewiggestrigen Bluesrockonkel? Blues überhaupt die selbstmitleidigste aller Musikrichtungen. Braucht keiner.