laut.de-Kritik

Er managt den Scheiß wie Jürgen.

Review von

Die Briten machen ulkige Sachen mit Amirap. Das ganze 21. Jahrhundert durch etablieren sich auf der Insel Parallelgenres und Mutationen, die kontemporärem Amirap ihren eigenen Twist geben. Die Faustregel: Wo alles seit der Trapmusik bei den Amis gerne einen Hang ins Melodische hat, gehen die Briten wesentlich gradliniger und perkussiver heran.

Dadurch machen die Briten eine wesentlich leichter erschließbare Version von Amitrends. Es hat einen Grund, dass Chicago Drill seinerzeit eigentlich gänzlich spurlos an Deutschland vorbeigegangen ist, UK-Drill (und das sehr davon inspirierte New Yorker Pendant) dagegen hier verkauft werden konnte. Wir Deutschen kommen einfach nicht so gut mit R'n'B klar, wenn es nicht das Genre 'R'n'B-für-eine-cheesy-Eminem-Hook' ist. Macht also Sinn, dass die sehr singsangigen Entwicklungen von Rage, PluggnB und Jerk in diesen Breitengraden eher ein Nischenthema sind.

Müssen es also wieder die Briten regeln? Das ganze Jahr über tost hinterm Ärmelkanal eine rege, neue Untergrundszene, die einen britischen Spin auf den aktuellen amerikanischen Untergrund gibt. Wir reden von Kids wie Fakemink, Fimiguerrero oder ebenjenem EsDeeKid, der diesen Sommer mit "Rebel" das erste wahrscheinlich kanonisch klassische Projekt in diesem Stil veröffentlicht hat.

Der Erfolg von "Rebel" fußt auf zwei Säulen: Zunächst ist da der Sound. Es hat einen Grund, dass Tracks wie "Phantom" oder das gigantische "LV Sandals" mit Fakemink und Rico Ace zu absoluten Juggernauts geworden sind. Sie verbinden viel von dem, was aktuellen Amirap so hymnisch macht: Gigantische Synthesizer, die in sumpfigen Mixes diese wunderbare Plugg-Psychedelik entfalten, aber trotzdem mit der richtigen, bohrenden Bassline Moshpit-tauglich sein können. Dazu sind alle Songs kompakt, einschlägig und um unwiderstehliche Hooklines aufgebaut. Es kann sperrig klingen, man findet aber doch überraschend schnell rein.

Das reicht dann natürlich auch direkt schon in das zweite Fundamental hinein: Und das ist EsDeeKid selbst. Er arbeitet gut mit diesen hymnischen Refrains, weil er immer wieder eine regelrecht majestätische Persönlichkeit auf den Beats ist. "I rock designer, rockin' leather, kid, I'm avant-garde", representet er auf "Prague". Auf "5AM" heißt es: "Walking round London, five in the morning / I hopped on a Lime bike, going exploring". Und zuletzt auf dem Intro "4 Raws", direkt einen für uns Brezelbrüder: "I'm four man deep in this German / And I'm whippin' it 'round, the Suburban / Plod are on chase, gotta make the excursion / So I manage this shit like I'm Jürgen". Er reimt einfach "German" auf "Jürgen"! Ich bin verliebt.

Alles ist dabei so dick in den Liverpooler Scouse-Dialekt eingeschmiert, der nicht in dieser Kapazität cool klingen sollte. Es gibt EsDeeKid etwas von einem Cartoon-Charakter, aber trotzdem stiefelt sein Bariton von einer Stimme so kommandierend durch die fragmentierten, kaleidoskopischen Beats, dass man sich dem Charisma kaum entziehen kann. Was die ganze Musikalität angeht, ist das trippy "Rottweiler" wahrscheinlich das Highlight.

"Rebel" ist Genre-technisch relativ schwer zu verorten, weil es in den Grenzen von ein paar eh schon recht nah beieinanderliegenden Subgenres spielt. Vielleicht ist es deswegen vereinfachend, das so zu erklären, aber ganz grob: EsDeeKid klingt, als hätte man all die extrem live-taugliche, animierte Produktion von einem Ken Carson zur Abwechslung mal in die Hände eines richtig geradlinigen MCs und Lyrikers gelegt. Das ist alles mitnichten deep, aber so aggressiv und direkt, dass es wahrscheinlich gerade hierzulande die deutlich einfacher adaptierbare Version von modernem Rap sein könnte.

Aber es ist nicht nur, dass "Rebel" eine interessante Entwicklung markiert, die bei aller Popularität von Fakemink in den Staaten wahrscheinlich alsbald auch schon wieder Rückkopplungseffekte zeigen wird. "Rebel" ist auch wirklich durch die Bank ein bockstarkes Tape, das seinen Platz im Kanon finden wird.

Trackliste

  1. 1. 4 Raws
  2. 2. Cali Man (feat. Rico Ace)
  3. 3. Prague
  4. 4. Dirty
  5. 5. LV Sandals (feat. Fakemink & Rico Ace)
  6. 6. Panic
  7. 7. 5AM (feat. Fimiguerrero)
  8. 8. Phatom (feat. Rico Ace)
  9. 9. Mist (feat. Rico Ace)
  10. 10. Rottweiler
  11. 11. Tartan (feat. Fimiguerrero)

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