laut.de-Kritik

Das "Amnesiac" zu ihrem "Kid A".

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Mit "Eusexua" legte FKA Twigs schon im Januar eines der beeindruckendsten Alben des Jahres vor: elegant, brüllend, futuristisch, hauchdünn. Dass mehr Musik aus diesen Sessions kommen sollte, war also eine willkommene Neuigkeit. Doch anstatt, wie ursprünglich geplant, lediglich eine erweiterte Version mit übriggebliebenen Songs – von Fans auch "Deluxua" genicknamet – zu werden, mutierte "Eusexua Afterglow" im Prozess dann doch zu einem eigenen vollwertigen Album. Quasi das "Amnesiac" zum "Kid A": Kein ganz so kohärentes und ambitioniertes Großwerk wie sein erster Teil, aber immer noch gefüllt mit aufregenden Highlights, die im selben faszinierenden, klanglichen Universum existieren.

Es ist ein Sequel, das das euphorische Gefühl der Klarheit und des Rauschs verlängert, das der Vorgänger einfing. Das, was nach dem Hoch kommt und langsam abklingt. Die After-Party. Das Album lebt noch mehr im Club, in der Ekstase aus oft simplen Dingen. "Love Crimes" liefert nicht gerade die Poesie, die Twigs in ihren besten Momenten erreicht, sondern soll ein ravender Rausch sein – was bei Twigs natürlich musikalisch immer noch vielschichtig ausfällt. "HARD" und "Sushi" finden ihre Freude im Sex und spaßigen Dates, ohne das Damoklesschwert der Liebe. "Cheap Hotel" frönt dem luxuriösen Party-Lifestyle.

Zeilen wie "With some friends of mine, endless summertime / At the mini bar, bring your credit card / We'll go all night" könnten zwar auch aus einem komplett substanzlosen Girly-Pop-Song der 2000er stammen, doch die herausragende Produktion und unvorhersehbaren Songstrukturen zeigen, wie viel in diesen simplen Freuden stecken kann.

Die musikalische Umsetzung und das ästhetische Konzept bleiben das stärkste Element von "Eusexua Afterglow". Man kennt die "Eusexua"-Soundwelt mittlerweile, und doch haut sie einen immer wieder um und überrascht auch mal. So eine simpel groovende Soul-Bassline wie in "Piece Of Mine" oder eine dünne, funky Gitarre wie in "HARD" hätte man eigentlich nicht mit FKA Twigs verbunden, funktioniert aber gut. Bei letzterem Song und auch ein paar anderen war unter anderem der deutsche Elektro-Visionär Mechatok mit am Werk, der der Produktion eine nochmal futuristischere Note gibt – wenn das überhaupt möglich war. Die Verzerrung in "Predictable Girl" klingt unwiderstehlich; walzend und smooth zugleich.

Nicht jeder Song fesselt so sehr wie die besten Momente des Vorgänger-Albums, aber insbesondere die zweite Hälfte des Albums hält viele Highlights bereit. "Touch A Girl" ist wunderschön hallig und gedämpft. "Sushi" hätte zumindest textlich und melodisch auch von einer Sabrina Carpenter stammen können; dann rappt FKA Twigs, als wolle sie Doja Cat imitieren – und plötzlich morpht der Song in ein gänzlich anderes Stück: Knallende Drums, Catwalk-Anfeuerung von Ballroom-Kommentatorin Precious und ein Rückbezug auf "Glass & Patron" aus Twigs' "M3LL155X"-EP.

"Lost All My Friends" ist der psychedelische Moment, in dem FKA Twigs auf der Tanzfläche zu schweben beginnt und die Transzendenz einsetzt – bis das Album überraschend melancholisch endet: "Stereo Boy" klingt vom Gesang her ganz anders, viel direkter und lauter, so wie auf "Magdalene"; die Stimmung ist auf einmal ernüchtert: Am Ende bleibt doch wieder Herzschmerz, während die Drums herabregnen und auf den Beat eindreschen. Der Rausch ist vorbei.

Trackliste

  1. 1. Love Crimes
  2. 2. Slushy
  3. 3. Wild And Alone
  4. 4. HARD
  5. 5. Cheap Hotel
  6. 6. Touch A Girl
  7. 7. Predictable Girl
  8. 8. Sushi
  9. 9. Piece Of Mine
  10. 10. Lost All My Friends
  11. 11. Stereo Boy

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