laut.de-Kritik
Sanders als Reiseführer in den Kosmos.
Review von Yannik GölzWas wäre, wenn der Kosmos in diesem Moment stehenbliebe? Eine, zwei, drei Minuten würde alles verharren, wie es ist, dann steigt die imaginäre Kamera auf, begibt sich in die Vogelperspektive, steigt auf, höher und höher, schrumpft den Mensch zur Erbse, die Stadt zum Menschen, das Land zur Stadt, durchbricht die Wolken, die Stratosphäre und kommt in einem matten, schwarzen Nichts an. Das wäre in etwa zusammengefasst, wie dieses neue Album von Pharoah Sanders und Elekto-Produzent Floating Points klingt.
Die Platte, die nach fünf Jahren Vorbereitung nun mit dem Londoner Symphonien-Orchester und dem achtzig-jährigen Jazz-Saxophonisten aufgenommen wurde, ist so wenig nachzuerzählen wie Genre-Einordnungen zu ihrem Verständnis beitragen. So sehr man sie irgendwo zwischen Third Stream, Ambient und Klassik einordnen und über jeden Beteiligten schwärmen möchte, verfehlt es doch den Kern des Projekts. Es ist eines dieser Jazz-Projekte, die unter die Kategorie der körperlichen Erfahrung fallen. Ein Subzero-"Space Is The Place", ein "The Creator Has A Master Plan" als Meditationsübung.
Pharoah Sanders macht also immer noch das New Thing, auch wenn er sein Saxophon nicht mehr nach Elephanten-Asthma klingen lässt. "Promises" geht aber dennoch an die Grenzen dessen, was Jazzmusik kommunizieren kann, wenn auch auf die nonverbalste Art und Weise. Neun Akte Bewegung zeichnet das Album über etwa fünfundvierzig Minuten Laufzeit auf. Grundlegend passiert dabei das Folgende: IDM- und Ambient-Produzent Floating Points gibt einen Loop vor, einen Synthesizer-Loop, der wie Christopher Nolan-Transhumanismus in drei Ecken subtiler klingt. Für Eno wäre es schon zu schmuckvoll, aber für Science-Fiction ist aber es zu nackt. Und diese Tonfolge erklingt in eiserner Vehemenz für vierzig Minuten, mit genau gleich großen Pausen.
Nachdem das Motiv etabliert ist, betritt Sanders diese Pausen. Mit stillem, gleitenden Saxophon-Ton, so voll, wie er ihn mit 25 schon gespielt hat, reagiert er auf das Motiv. Drei Tracks geben sie sich Zeit, diese Balance zu zementieren, es klingt nicht ereignisreich, aber fesselnd, wie lebendig und bildhaft Sanders seine kleinen Raumintervalle aufgreift und bevölkert. Und hat man sich dann an die Regeln des Stückes gewohnt, brechen sie in Track zwei und drei graduell auf, Sanders spielt durch das Motiv, steigert sich, steigert die Tonhöhen, die Intensität und führt die beiden Sound-Pole zusammen. Auch die Synthesizer stimmen in sein Crescendo mit ein, fügen neue Soundwände ein, erst subtil, dann immer spürbarer. Es ist der Klang der Aszension, nicht im spirituellen Sinne, sondern im Körperlichen. Der Klang steigt auf wie Nebel vom Boden, kondensiert im Wind und schlägt sich als Wolken am Himmel nieder.
Track vier hält kurz inne, Sanders legt das Saxophon beiseite, zu einer ermatteten Elektronik singt er still Skat, er klingt nicht wie eine Ikone oder ein Halbgott, er klingt wie ein Reiseführer, der die Aussicht erklärt, die wir erreicht haben. Das High pausiert, aber die Sprache ist universell. Kurz durchatmen, und die folgenden Tracks steigen höher auf. Jetzt ist Floating Points dran, seine Last zu stemmen. Immer noch ist sein Motiv im Kern des Werkes, aber graduell fügen sich neue Progressionen und Synths ein, alle klingen kosmisch, kristallin und eiseskalt, sie bauschen sich auf, erheben sich, Track fünf klingt wie Post-Rock ohne Gitarren, zwischendurch ist man eine melodramatische Stimmeinblendung von Godspeed You! Black Emperor entfernt.
Der sechste Track schöpft am vollsten aus dem Londoner Symphonie-Orchester, der siebte schlägt am tiefsten in die Eno- und Budd-Kerbe, hier findet sich die eine Stelle, an der Sanders wieder klingt wie im siebten inneren Kreis der spirituellen Ekstase. Man erreicht einen nicht weiter beschriebenen Hochpunkt und die Sounds fräsen aus. Ende Gelände nach vierzig Minuten aufsteigen – und man merkt, dass man immer noch da sitzt, wo man vorher saß. Steht man auf, fühlt man sich trotzdem ein bisschen, als hätte man die letzten vier Wochen auf hoher See verbracht.
Das ist alle Beschreibung, die man diesem Album abringen kann. Es fühlt etwas müßig an, die Dreidimensionalität des Sounds in zweidimensionalen Text zu bannen. Wie erzählt man schließlich eine Kamerafahrt, wie erklärt man ein Bild? Noch schräger wird es, dem ganzen eine Note zu verpassen. Eigentlich entzieht sich diese Platte jeder Bewertung. Es ist falsch, es ein Meisterwerk zu nennen, es vergleichen zu wollen oder dem viel Kontext anzuheften. "Promises" fühlt sich an wie eine insuläre Erfahrung, die jeden, der sich darauf einlassen möchte, an einen einzigartigen Ort führen kann. Vielleicht ist deswegen das einzige abschließende Fazit: Vergesst diesen Text. Hört das Album.
3 Kommentare mit 17 Antworten
Nette Hintergrundbeschallung / für 'nen Sonntagmorgen.
Dachte ich mir auch. Das ist alles recht nett gemacht, aber auch recht harmlos. Esoterische Hintergrundberieselung. Da bin ich von Sanders ein anderes Niveau gewöhnt.
Wenn ich all diese überschwänglichen, euphorischen Reviews zu dieser Platte lese (auch auf anderen Portalen), dann fühle ich mich, als würde ich wirklich gar nichts von Musik verstehen. Und ich hör schon viel krude, experimentelle Musik, verhältnismäßig.
Verstehe ich das einfach nicht?
Bin ich zu doof dafür?
Hören die Leute da etwas, was ich nicht höre?
Oder befinden sich Musik-Reviewer in einer hyper-artsy-Bubble, in der man so etwas phänomenal finden muss?
Ich höre da nur nettes Hintergrundgeplätscher mit ein paar ganz coolen Saxophoneinlagen.
Klingt wie maudlin of the well / Kayo Dot ohne Groove und Biss. Trotzdem ganz nett.
"Oder befinden sich Musik-Reviewer in einer hyper-artsy-Bubble, in der man so etwas phänomenal finden muss?"
Das wird's sein. Schließlich ist die (Musik)welt inklusive aller Rezensenten nur darauf aus, dein Verständnis von Kunst zu unterwandern und dich als kulturlosen Rüpel bloßzustellen.
Puh, Schwingi, von dir hätte ich mir eine bessere Reading comprehension erhofft.
Soll heißen?
Puh, das wird ja immer schlimmer.
Soll heißen, Rekta hatte gedacht, dass du besser in der Lage wärest, das von dir Gelesene auch richtig zu interpretieren und einzuordnen.
Ach. Aber dann wäre es eben hilfreich zu wissen, was ich falsch gelesen bzw. interpretiert habe.
Wie kommst du von: "Oder befinden sich Musik-Reviewer in einer hyper-artsy-Bubble, in der man so etwas phänomenal finden muss?"
zu: "Das wird's sein. Schließlich ist die (Musik)welt inklusive aller Rezensenten nur darauf aus, dein Verständnis von Kunst zu unterwandern und dich als kulturlosen Rüpel bloßzustellen." ?
Puh, Schwingi, von dir hätte ich mir eine bessere Kalauer appreciation erhofft.
OP impliziert eine bubble abgehobener Kulturkritiker, die sich entschlossen hat, diese Musik zu mögen, ohne für ihn ersichtlichen Grund.
Der Grund kann laut OP nur sein, dass ihr Verständnis von Musik mit seinem nicht übereinstimmt ("Bin ich doof?"/"Hören die was das ich nicht höre?" usw...) - als hätten diese Menschen sich verschworen, um sein Verständnis von "guter" Musik in Frage zu stellen und ihn als kulturlosen Rüpel dastehen zu lassen, weil er nicht ihrem vermeintlichen Anspruch genügt, die Musik phänomenal finden zu müssen.
Die Schlussfolgerung ist freilich Quatsch, eine ironische Überhöhung meinerseits. Genügt das?
geht natürlich an die Rekta.
@Gleep: Sorry, kann dir nicht folgen.
Okay, wenn du annimmst, dass OP alle Erklärungen gleichzeitig zulässt, kann ich zumindest nachvollziehen, wie du zu dem Schluss kommen kannst. Sehe ich nicht als zwingend diese Interpretation - würde es eher als entweder oder von Möglichen Erklärungen lesen. Aber nett von dir, dass du deine Gedanken dargelegt hast.
Ach, Schwingi. Mir war schon bewusst, dass du damit nur um eine nähere Erklärung gebeten hast. Ich fand das nur so lustig, dass so darzustellen, als könntest du dem Beitrag jetzt gar keinen Sinn mehr extrahieren. Wegen reading comprehension und so.
Ansonsten das, was Rekta sagt.
blargh. Schon recht.
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Jeder kennt ein paar Kandidaten im Umfeld, die kurzfristig total auf eine Band oder einen Song abfahren, mit denen gerade wirklich niemand etwas anfangen kann. Sie versuchen dann trotzdem häufig, die Kollegen zu überzeugen, was diese natürlich nur noch mehr nervt.
Kann gut sein, daß dieser Typ Mensch später mal Musikrezensent wird. Und klar, da habe ich auch für einen klitzekleinen Moment meine Reflexion im Spiegel erhascht.
Ha, ich bin ja selbst mitunter so in meinem Freundeskreis, wie Ragism schreibt. Vielleicht gar nicht schlecht mal die eigene Medizin zu schlucken.
Album hat mich jetzt auch erreicht. Beim Release auch nur schulterzuckend als Hintergrundbeschallung wahrgenommen hat es jetzt wie eine Bombe eingeschlagen. Brauchte aber definitiv erstmal ein Jahr intensive Ambient Erziehung (Deep Listening von Pauline Oliveros, Tim Hecker, Aphex, Eno, Stars of the Lid, etc). Macht schon was mit einem, die Wahrnehmung des Gehörten ist ganz anders als mit Pop/Rock/etc Musik.. diese metaphysische Erfahrung hat Yannik Gölz aber auch ausführlich und schön beschrieben. Ich freue mich einen Zustand erreicht zu haben das auch endlich so wahrnehmen und die Musik wertschätzen zu können.