laut.de-Kritik
Megastomper-Refrains fahren in Kopf, Arsch und Tanzbein.
Review von Dominik KrausEin grauer, vernieselter Abend in Schottland. Ein altes, dem schleichenden Verfall überlassenes Haus im Süden der Hauptstadt. Vier dürre Figuren mit seltsam großen, zugleich recht dünnen Koffern, die sich ins Innere des nasskalten Gemäuers drücken. Gar schröcklicher Lärm, der die ungläubig lauschenden Nachbarn das Fürchten lehrt und die Figuren dadurch zwingt, auch die letzten Fenster ihres einzigen beheizten Zimmers zuzumauern.
Glaubt man den Erzählungen der vier Indie-Lichtgestalten von Franz Ferdinand, muss sich die Szenerie rund um den Beginn der Proben zum neuen Album in etwa so dem arglosen Betrachter, respektive Zuhörer, dargeboten haben. Dass Häuser bereits des öfteren einen maßgeblichen Einfluss auf den Enstehungsprozess von Platten besaßen, ist ein bekanntes Phänomen. Die Chili Peppers oder auch NIN seien als prominente Beispiele genannt.
So scheint das zum kreativen Zusammensein angemietete alte Theater einen ganz eigenen, ziemlich freshen Flow auf die vier jungen Herren ausgeübt zu haben. Denn mit "Tonight" präsentieren sich Franz Ferdinand so quicklebendig, als hätte es kein (eher)durchschnittliches Zweit-Album, kein gegenseitiges Generve und keine Schaffenspause gegeben. Im Gegenteil.
Schon die Vorab-Single "Ulysses" ließ ahnen, dass sich der alte Elan wieder in der Ferdinandschen Songwriting-Maschine eingefunden hat. Elegant groovende Strophe, getragen von Alex Kapranos' unwiderstehlichem Gesang, und dann einer dieser Megastomper-FF-Refrains, die dir in Kopf, Arsch und vor allem Tanzbein einfahren, wie es sonst kaum eine vornehmlich gitarrenbestückte Musik vermag. Dazu ein intelligent halbvertrackter Songaufbau mit sich schön steigernder Bridge vor dem letzten Refrain. Heldenhaft, in der Tat.
Dazu zeigt "Ulysses" beispielhaft alle Veränderungen, die der Sound der Band auf dem neuen Longplayer aufweist. Zu erwähnen ist hier zunächst der verstärkte Einsatz zusätzlicher Instrumente und Klänge, die über das von der Band gewohnte Gitarre-Bass-Schlagzeug-Spektrum weit hinausgehen. Elektronisches Geblubber, Orgeln, Vibraphone sind da beispielsweise zu bestaunen. Diese neuen Elemente werden zum Teil mit einer Raffinesse eingeflochten, dass sie einem beim oberflächlichen Hören kaum auffallen und die Textur zwar unmerklich, aber sehr effektiv verdichten.
Die zweite offensichtliche Erweiterung des musikalischen Horizontes lässt sich grob mit "Disco" umschreiben. Ein böses kleines Wort, das vielen Indiehören noch immer als mittelschwere Beleidigung gilt. Was es aber nicht im geringsten darstellt. Nach eigenen Aussagen hat sich die Band ganz bewusst einen Schritt in Richtung Tanzmusik bewegt. Doch keine Sorge: Die Veränderungen geraten insgesamt marginal, schlagen eher unterbewusst durch.
Da ein kleines bisschen Oktavbass eingestreut, hier und da eine funky Gitarre geraspelt, und immer wieder einen schön stumpfen und fetten Beat eingebaut. Das kennt man in Ansätzen schon von den ersten beiden Platten und bildete ja auch von Beginn an ein Markenzeichen. Nicht umsonst haben sich FF schon immer als "Tanzband" auf dem Indiedancefloor bewährt. Auf "Tonight" wird dies einfach noch konsequenter durchgezogen. Das tut dem Gesamtergebnis gut.
Als Highlights, und davon gibt es nicht zu knapp, gehen neben der bereits erwähnten Single unter anderem das grandiose "No You Girls", das 6/8-Takt beschwingte "Send Him Away" sowie das vom Bass an QOTSAs "The Lost Art ..." erinnernde "What She Came For" durch. Aber im Prinzip könnte man da alle Songs bis hin zu "Lucid Dreams" nennen. Ausfälle? Fehlanzeige. Und auch bei letztgenanntem zehnten Song läuft dann so etwa dreieinhalb Minuten alles wie gehabt: FF-Gitarrengroove.
Doch dann nach 4:45, der "Schock". Acid House? Techno? Egal. Drei Minuten darf hier jedenfalls der Sequenzer sein verwirrendes Soundspiel mit dem Hörer treiben. Das erinnert an die verschrobene Idee Shane McGowans, der dereinst auf die zweite Pogues-Platte unbedingt einen elfminütigen Acid House-Track packen wollte. Was ihm ausgeredet werden konnte. Franz Ferdinand machens einfach. Und es kommt gut. Es hätte eigentlich ein ganz wunderbares, passendes Ende für "Tonight" abgegeben.
Stattdessen haben die vier Musikanten noch zwei ganz nette ruhige Stückchen in der Hinterhand. Die erweisen sich aber doch eher als belanglos und hätten meiner Meinung nach auch auf Single-B-Seiten draufgedurft. So verwässert sich der großartige Eindruck, den das Album eigentlich durchweg macht, zum Ende hin ein klein wenig. Was aber nichts daran ändert, dass es sich bei "Tonight" um eine wirklich große Platte handelt, die das Beste aus verschieden Welten zu einem großen Indievergnügen vereint und mit der sich FF endgültig aus dem großen Schatten des eigenen Debüts ins blendende Licht der Gegenwart bewegen.
[Am Tag der Veröffentlichung stellen Franz Ferdinand das komplette Album auf ihrer MySpace-Seite bereit.]
58 Kommentare
Funky!
Gefällt mir escht gut. Besonders Lucid Dreams. Ich würde heute auch gerne einen haben.
Bin ich denn der Einzige der "You Could Have It So much Better.." für eine verdammt gute Platte hält?
schon recht geil, aber nich so gut wie die vorgänger.
da waren einfach mehr "hits" drin.
dennoch ist es vllt. gut, dass das album weniger zugänglich und mainstream kompitabel ist.
sonst enden sie noch wie killers, razorlight oder mando diao...
und das is den sympatischen leuten wirklich nich zu wünschen.
@ plattenblog: interessiert nicht!
ich hab noch ne website gefunden, die ziemlich aktuell über franz ferdinand berichtet. wer auf dem laufenden über ff bleiben will sollte sich das mal anschauen.
http://franz-ferdinand-blog.blogspot.com/
Die Rezi ist auf jeden Fall so zutreffend, wie es sonst selten vorkommt.