laut.de-Kritik

Der Kane-Train hat keine Bremse.

Review von

Von Tag eins seiner Karriere an musste man mit Freddie Gibbs rechnen. Dass der Mann rappen kann wie kaum ein zweiter und womöglich sogar ein Klassiker in ihm schlummert, das deuteten schon seine ersten Mixtapes an. Doch es bedurfte der führenden instrumentalen Hand eines Altmeisters wie Madlib, um dieses Potential vollends zu realisieren. Dem Resultat, "Pinata", steht schon lange der Titel eines modernen Klassikers zu. Ähnliches lässt sich über den Nachfolger "Bandana" oder die darauf folgende Kollaboration mit einem gewissen, nicht minder begabten Beat-Alchemisten sagen.

Was rückblickend auffällt: Gibbs alleine mag ein formidabler Rapper sein, doch seine Musik erreichte eigentlich nur dann Ausnahme-Niveau, wenn er mit einem einzelnen Produzenten über die Länge eines gesamten Albums zusammenarbeite. In der Folge veröffentlichte er seit dem 2015 erschienen "Shadow Of Doubt" kein waschechtes Solo-Album mehr. Wer kann es ihm auch verübeln angesichts des Erfolgs seiner Unterfangen mit Madlib oder Alchemist. Für das bereits letztes Jahr angekündigte "$oul $old $eperately" öffnete der Rapper aus Indiana allerdings nun wieder die Türen für eine ganze Riege an Einflüssen von außen, was besonders angesichts der vorab releasten Singles durchaus für etwas Skepsis sorgte.

Entgegen mancher Erwartung, geht dieses Vorhaben auf Albumlänge allerdings nicht nur souverän über die Bühne, es klingt trotz vereinzelter Schritte außerhalb der Komfortzone auch erstaunlich uniform. Gibbs gibt sich auf seinem fünften Langspieler als Kurator, der Produzenten und Rapper verschiedenster Couleur in ein fiktives Casino einlädt, um mit ihnen die Früchte seiner jahrelangen Arbeit zu feiern. "They said it couldn't be done" trällert die Gospel-Sängerin Kelly Price, während Gibbs ein letztes mal in den Spiegel blickt, ehe er seine Gäste in Empfang nimmt. Inmitten der üblichen Gesichter und alten Bekannten tummeln sich dort auch Paradiesvögel wie Kaytranada, britische Elektro-Royalität in Form von James Blake oder nahezu vergessene Legenden wie DJ Paul.

Mit diesen Neuankömmlingen in Gibbs' musikalischem Kosmos geht auch ein frischer Wind einher, der den mittlerweile etwas berechenbar gewordenen Cohiba-Dunst seiner letzten Alben in Windeseile hinfort bläst. Natürlich klingt "$$$" immer noch nach weißen Lines auf polierten Spiegeln, nach Kaviar und Hummer und nach dem Rattern von Zählmaschinen, es handelt sich schließlich immer noch um ein Freddie Gibbs-Album. Allerdings geraten die instrumentalen Vehikel dieses Lifestyles dieses Mal weitaus versatiler und abwechslungsreicher. Mit seinem fünften Album gelingt es Freddie tatsächlich, uns wieder zu überraschen.

Zugegebenermaßen, nicht immer im Positiven. Das vorab veröffentlichte "Too Much" erwähnte ich bereits, und auch im Album-Kontext sticht das Trap-Duett mit Moneybagg Yo nicht weniger befremdlich ins Ohr. Selbiges gilt für "Pain & Strive", das mit seiner furchtbaren Hook der hässlichsten Seite von Gibbs Singstimme eine viel zu große auditive Plattform gibt. Diese Momente, die tatsächlich fast schon Tiefpunkte in Gibbs bis dato nahezu makellosem Katalog markieren, balanciert der restliche in Hülle und Fülle vorhandene Ear-Candy allerdings mühelos wieder aus.

Auf "PYS" rappt der 40-Jährige beispielsweise über einen waschechten Oldschool Memphis-Beat. DJ Paul dreht mit "Pimpin' & Robbin'" einen Three 6 Mafia-Klassiker durch den Fleischwolf und bettet ihn federweich auf einem ätherischen Vocal-Sample, das stellenweise fast schon in die Verträumtheit des Cloud-Rap abdriftet. Resultiert aus den Arbeiten mit Mablib und Alchemist fast immer eine perfekte Symbiose, so läuft das Instrumental Freddie hier nahezu den Rang ab.

Ähnliches lässt sich über das von für Kaytranadas Verhältnisse fast schon konservativ-produzierte "Zipper Bags" oder das wundervoll opulent-instrumentierte "Lobster Omelette" sagen, das mit seinen geschmackvollen Piano-Loops den perfekten Backdrop für einen gewohnt hochklassigen Schlagabtausch zwischen Freddie und Rick Ross bietet. "Bel-Air bottles in Venice, pray you mindin' your business": Man muss an diamantbesetzte Kronleuchter denken, an feinstes schwarzes Leder, an Gucci-Anzüge und natürlich an die titelgebende Omelette.

Egal jedoch, ob Gibbs mit Rick Ross frühstückt, mit Offset shoppen geht, mit Pusha T Kokain-Bricks am Block vertickt oder mit Raekwon Zigarren pafft: Er rappt sie dabei alle an die Wand. Am eindrucksvollsten fällt dieses lyrische Schaulaufen auf "Space Rabbit" und "Rabbit Vision" auf, wenn dem Kane-Train vollends die Bremsen ausfallen.

Ein weiterer Aspekt dieses Albums, der durchaus positiv überrascht, findet sich in dem Level an Introspektion, das Gibbs stellenweise an den Tag legt. In der Vergangenheit gewährten seine Songs wenn überhaupt nur flüchtige Blicke hinter die Gangster-Maske, doch hier trägt er gleich an mehreren Stellen vor unseren Augen den Kampf gegen seine Dämonen aus. Auf "Dark Hearted" etwa berappt er die Desillusionen eines alternden Gangsters, während James Blake ominöser Beat den tragischen Subtext beweint.

Noch expliziter wird Gibbs auf "Grandma's Stove" wo er sich emotional wie selten zeigt: "Yeah, I smoke a blunt to take the pain out / And if I wasn't high, I'd probably try to blow my brains out". Er sinniert über die Beziehungen zu Frauen und seinen Kindern, seine öffentliche Wahrnehmung ("deadbeat daddy, that's how thеy try to paint me"), falsche Freunde, seinen Vater, der gegen Magenkrebs kämpft, und letzten Endes über seine eigene Sterblichkeit. Um all das legen Sevyn Thomas und Neenyo eine melancholische instrumentale Schlaufe, die Sänger Musiq Soulchild mit seinem wunderschönen Outro fest zuschnürt.

All jenen, denen trotz dieses Überflusses an neuen Facetten die altbekannte Gibbs-Kost immer noch am besten mundet, tischen Alchemist und Madlib außerdem mit "Blackest In The Room" und "CIA" zwei ihrer feinsten instrumentalen Filetstücke auf, inklusive Beat-Switch zum Zunge schnalzen. Man hört sofort, dass sich Gibbs in diesem Terrain am vertrautesten fühlt. Ja, er kann es auch ohne sie, das könnte "$$$" kaum eindrucksvoller unter Beweis stellen, aber ich würde lügen, würde ich behaupten, dass diese Songs nicht auch ein wenig nach Heimkommen klingen würden.

Trackliste

  1. 1. Couldn't Be Done (feat. Kelly Price)
  2. 2. Blackest In The Room
  3. 3. Pain & Strife (feat. Offset)
  4. 4. Zipper Bags
  5. 5. Too Much (feat. Moneybagg Yo)
  6. 6. Lobster Omlette (feat. Rick Ross)
  7. 7. Space Rabbit
  8. 8. Feel No Pain (feat. Anderson .Paak & Raekwon)
  9. 9. Rabbit Vision
  10. 10. PYS (feat. DJ Paul)
  11. 11. Dark Hearted
  12. 12. Gold Rings (feat. Pusha T)
  13. 13. Grandma's Stove (feat. Musiq Soulchild)
  14. 14. CIA
  15. 15. Decoded (feat. Scarface) - BONUS

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