laut.de-Kritik

"Wenn Auberginen Pfötchen hätten, äßen wir sie nicht."

Review von

"Judas!" 1966 nutzt ein Fan einen Moment der Stille in der Manchester Free Trade Hall, um seinen Zorn über Bob Dylans Hinwendung zum Rock freien Lauf zu lassen. "I don't believe you, you're a liar", kontert der Sänger trocken, dreht sich zu seiner Band und spricht trotzige Worte für die Ewigkeit: "Let's play it fucking loud!"

Eine ähnliche Szene spielt sich 1998 bei Funny van Dannen, nachzuhören auf dessen "Uruguay"-CD, ab. Laut schreit ein Zuschauer vor Beginn von "Evangelische Mädchen": "Vollgas, Funny, los! Gib Gummi!" - "Seh' ich aus wie ne Rock'n'Roll-Band?"

2014 ist Funny van Dannen zwar immer noch nicht Bob Dylan, dafür ganz Rock'n'Roll-Band. Zwölf Jahre lang hat er sich langsam an "Geile Welt" herangeschlichen. Spielte er sein Album zuerst noch nur mit Gitarre bewaffnet vor einem Live-Publikum ein ("Clubsongs", "Basics"), näherte er sich Stück für Stück dem Studio und zaghaften Arrangements ("Herzscheiße", "Saharasand"). Mit Gitarrist Sascha Hörold, Schlagzeuger Michael Breuninger und seiner Frau Karina steht ihm nun seine eigene kleine Tin Machine zur Seite. Es wurde Zeit.

Zu sehr hatte sich Funny van Dannen in den letzten Jahren in seinem eigenen Kosmos versponnen. Während sich seine Alben mehr und mehr ähnelten, ging die Faszination für den schrulligen Sympathieträger verloren. Das Gleichgewicht aus Schwermut und Schenkelklopfer, das seine Kunst einst ausmachte, ging zunehmend auf Kosten der Melancholie. Ohne eine Note oder eine Zeile aus "Katzenpissepistole", "Butterbrot" und "Unterhosentattoo" gehört zu haben, war klar, was man von den Songs zu erwarten hatte. Der Dingficker hörte zwar die Musik, fühlte sie aber nicht mehr.

Obwohl "Geile Welt", das erstmals auch auf Vinyl erscheint, im ersten Moment aus der Diskografie heraus sticht, fühlt es sich wie nach Hause kommen an. Funny van Dannen zeigt sich in Bestform. Im neuen und komplett arrangierten Umfeld legt er deutlich höheren Wert auf Seelenschmerz und Widerspruch.

Aber keine Angst. Bereits mit den ersten Zeilen der mopsfidelen Eröffnungsnummer "Geile Welt" wirkt der Sänger beruhigend auf seine Zuhörer ein: "Alles easy, alles gut". Nach wie vor begleitet die Trauer ein Augenzwinkern und jedem Schabernack wohnt ein Schlamassel inne. "Wenn Auberginen Pfötchen hätten, äßen wir sie nicht." ("Weltbild")

Die resolute Rock-Hyme "Losgehen" wandelt mit packender Dynamik und lärmendem Refrain zwischen Neil Young, New Model Army und Nirvana. Der perfekte Soundtrack für den Idiot Ballroom. Als Funny Ramone verkleidet, fordert der Barde im Stil der verstorbenen Punkrock-Legenden "5 Euro" für jedes gute Gefühl. "Die Gefühle müssen gut sein / Und hat man gehasst und gelogen / Getäuscht, verletzt und betrogen / Wird das doppelte abgezogen / Dann würde das Gute sich durchsetzen / Man könnte es deutlich spür'n / Denn das Böse würde sich endlich endlich einfach nicht mehr rentieren."

Das wohl beste Stück "Meine Arbeit" zeigt sich trostlos und unterkühlt wie ein nebliger Herbsttag. Mit nur einem Halbsatz fährt der Protagonist jeglicher Kritik an der Gesellschaft über den Mund: "Wem nutzt das ganze Gequatsche / Dieses ewige hin und her?" Bis zur Auflösung der Räubergeschichte bleibt die spießige Hauptfigur, die "einfach ihre Arbeit tut", gegenüber den heutigen Problemen gleichgültig und fischblütig. "Und die NSU / Ach ja / Dazu sag' ich nur knapp / Viele Deutsche stammen nun einmal von Nazis ab / Und auch die NSA-Affäre lässt meine Gefühle nicht überborden / Ich bin mit dem Satz 'Gott sieht alles' groß geworden."

Funnys "Lonely Stuhlbein" hat "Sonne im Herzen und Staub auf den Schuhen". Vom Rocksänger zum Tischler bis zur großen Liebe begleitet er seinen heimatlosen Outsider und Huckleberry Finn humorvoll und sensibel. "Die Geschichte geht gut aus / Muss ja auch mal sein / Nicht jede Frau ist eine Schlampe und nicht jeder Mann ein Schwein." "Menschen in Landschaften" schaukelt sehnsüchtig im Urbanhafen hin und her und beantwortet die Frage, warum so viele Menschen wert auf Melancholie in der Kunst legen. "Ich ergötze mich nicht an der Traurigkeit / Ich möchte nur Kraft daraus ziehen / Denn es geht um diese Transformation / Aus Schwäche entsteht neue Kraft."

Zurück zu Dylan. Dieser fragte 1963 "How many roads must a man walk down / Before you call him a man?" und Homer Simpson antwortete Jahrzehnte später voller Überzeugung: "Sieben!" Die Antwort, mein Freund, weiß niemand so genau aber eines steht für Funny van Dannen fest: "Frag bloß nicht den Wind / Der sagt immer nur 'ich muss weiterziehen'." ("Frag Bloß Nicht Den Wind")

Im Grunde liegt uns nun, über zehn Jahre zu spät, mit "Geile Welt" die Platte vor, die eigentlich auf "Grooveman" hätte folgen sollen. Die Frischzellenkur erweckt die alte Liebe zum Kauz mit der Gitarre neu. "Ich freue mich über das Leben / Und was meint das Leben dazu? / Es schaut mich an und sagt / 'Ich bin genauso lustig wie du.'" ("Lebensbejahend")

Trackliste

  1. 1. Geile Welt
  2. 2. Wir Fliegen
  3. 3. Losgehen
  4. 4. Geld
  5. 5. Lebensbejahend
  6. 6. One Day
  7. 7. Menschen In Landschaften
  8. 8. Gähnen
  9. 9. 5 Euro
  10. 10. Sie Ist Nichts Für Dich
  11. 11. Meine Arbeit
  12. 12. Souldiva
  13. 13. Lonely Stuhlbein
  14. 14. Weltbild
  15. 15. Frag Bloß Nicht Den Wind
  16. 16. Lied Über Nichts
  17. 17. Auf Die Sterne

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LAUT.DE-PORTRÄT Funny Van Dannen

Funny van Dannen ist Musiker, Maler, Geschichtenerzähler und Familienvater. Seine Arbeiten sind liebevoll durchgeknallt, engagiert, naiv und immer an …

2 Kommentare

  • Vor 10 Jahren

    Hm, das Lied mit dem Zwischenruf hatte ich mal auf einem iPod den ich gebraucht gekauft hatte und der Besitzer hatte seine Musik draufgelassen.
    Wie das Leben so spielt...

  • Vor 10 Jahren

    Sehr fundierte Rezi! Ging mir genauso, seit Grooveman. Trotzdem nimmt FvD eine Sonderstellung bei den Singer/Songwritern ein, weil man bei ihm nie sicher sein kann, ob ein Lied nur absurd-dadaistisch ist oder im nächsten Moment doch philosophisch-melancholisch wird. Werd ich definitiv mal antesten.