laut.de-Kritik
Das Indie Sleaze-Revival ist da, ob ihr wollt oder nicht.
Review von Yannik GölzLeute, ich würde so gern in diese Review kommen und sagen: Ich kann das erklären! Warum hat dieses K-Pop-Idol sein Album "Übermensch" genannt? Hat das einen versteckten Unterton oder Mehrsinn, der uns durch die Kulturbarriere entgeht? Ich war leider nur in der Lage, die folgende Erklärung zu finden: "G-Dragons 'Übermensch' ist eine Referenz auf die Philosophie Nietzsches und repräsentiert, dass er über den Leuten steht". Wir hoffen einfach mal, dass es kein jüngerer Kanye-Einfluss ist, sondern einfach nur sehr unsensibel eingepflegtes kulturelles Interesse. Vielleicht ja auch beruhigend, dass nicht immer nur wir diejenigen sind, die bescheuert mit der Kultur anderer Leute umgehen. Aber ja, G-Dragon hätte gerne einmal statt Nietzsche eine Referenz auf Juli Zeh heranziehen können, vielleicht wäre er dann statt einem Übermenschen unter Leuten gewesen, die ihm das ausreden.
Für den K-Pop-Releasekalender ist dieses Album trotzdem nicht zu skippen, denn G-Dragon von der ehemaligen Gruppe Big Bang ist eins der wichtigsten Idols aller Zeiten. Er war so etwas wie der originale It-Boy, der Typ, der den Feldzug von K-Pop in die internationale Welt der Mode losgetreten hat und der bis heute Weichen für die Schnittstelle von Idol und Rapper stellt. Er ist in Korea und darüber hinaus lächerlich berühmt, er ist vermutlich eines von drei Idols, das jede koreanische Oma vom Lande benennen könnte.
Dass er nun nach acht Jahren mit einem Album zurückkehrt, ist also nicht nur kommerziell, sondern auch kreativ interessant. Wo steht so eine wegweisende Figur der Szene jetzt gerade? Ist das nur nostalgisches Aufwärmen - oder geht er wirklich ein paar Schritte voran?
Das Spannende an "Übermensch" ist, dass diese beiden Pole sich überhaupt nicht widersprechen. G-Dragon kehrt genau in dem Moment zurück, in dem die Zeiger der Nostalgie-Uhren auf seine erste Blütezeit zeigen. Popmusik interessiert sich gerade brennend für die Ästhetik um 2010, eine Ära, die von "Hipsterkacke" neuerdings politisch korrekt zu "Indie Sleaze" umgetauft wurde. Und genau, wie im Westen Artists wie Kesha oder LMFAO die Hausparty-Ästhetik der Indieszene der Nullerjahre in den Mainstream getragen haben, haben Big Bang in Asien diese Rolle gespielt. Das Revival ist jetzt gerade hier, das sagen nicht nur Artists wie The Dare.
Entsprechend zielt "Übermensch" ziemlich genau auf diese seltsam zusammengesetzte Phase Popkultur, quasi auf die ersten Momente, in denen Genre-Grenzen zu zerfließen begonnen haben. Der Intro-Track "Home Sweet Home" oder das atmosphärisch-süße "Ibelongiiu" nehmen die ersten Impulse der EDM-Bewegung wieder auf, so aufrichtig und unironisch, wie sie es nur sein konnten, bevor der ganze Zeitgeist downbeat und 2cool4school geworden ist. Und es fühlt sich tatsächlich erfrischend an, die großen Dur-Refrains wiederzubekommen, die wir erschreckend lange nicht gehört haben. Ja, es hat etwas von einer Pastiche, aber es ist immerhin eine erfrischende Pastiche. Man sieht vor dem inneren Auge regelrecht Calvin Harris und Rihanna durch die Musikvideos tanzen.
Aber da passieren noch ein paar mehr bemerkenswerte musikalische Crossovers auf diesem Tape. G-Dragons Hip Hop-Ansatz fühlt sich ebenfalls sehr 2009 an - man denke an diese seltsame, kurze Phase, in der Kid Cudi mit MGMT Musik gemacht hat und plötzlich alles möglich schien: "Power" ist ein Song darüber, der Obergeilste zu sein - und man spürt die Royalität von fünfzehn Jahren Dominanz in der Szene durch seine Stimme, die klingt wie Lil Wayne auf "No Ceilings 2" und dem Beat, der klingt, als hätten ihn genau in jener Ära T.I. oder Lupe Fiasco picken dürfen.
"Too Bad" mit Anderson .Paak und der starke Closer "Gyro-Drop" integrieren dann noch ein paar Neptunes-eske Funk-Ideen, während die absolut rührselige Ballade "Take Me" alle Fans der zweiten K-Pop-Generation sofort und endgültig in ihren Bann schlagen dürften.
"Übermensch" ist ein interessantes Moodboard aus einer musikalischen Ära, die gerade erst wieder aus der akuten Verdrängung auftaucht. Es kommt mir vor, als befänden wir uns in genau der Sekunde, in der wir die Sellout-Beißreflexe auf all die 2010-Crossover gerade verlernen - und auf diesem Album findet sich definitiv ein solides Argument dafür, dass es durchaus nicht alle musikalischen Ideen der Zeit hahnebüchene Fehler waren. Natürlich fungiert diese Erkundung für einen Artist wie G-Dragon auch als ein Denkmal an die eigene Wichtigkeit, das er sich bei seinen Lorbeeren vermutlich gar nicht hätte setzen müssen. Das Album in seiner Gesamtsumme macht so auf jeden Fall Spaß, wenn man über den Indie Sleaze-Kitsch und das Nostalgie-Fenster hinwegsehen möchte. Es ist nicht das kohärenteste Tape aller Zeiten, aber doch ein interessanter Vorstoß in die Exploration eines Sounds, die uns dieses Jahr noch im großen Stil bevorstehen wird.
3 Kommentare mit einer Antwort
"Das Indie Sleaze-Revival ist da, ob ihr wollt oder nicht."
mag ja sein, aber dasselbe gilt für ungehört 1/5!
Ungehört, trotzdem da
Lautuser Antifa
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Gehört 1,6/5