laut.de-Kritik
Der DAF-Pionier im Sonnentempel.
Review von Ulf Kubanke"Neosexi Nacht! Du bist so schön und virtuell, neosexuell!" Fast 20 Jahre nach dem letzten großartigen Solowurf "Allein Zu Zweit Mit Telefon" (als DAFDOS mit Wotan Wilke Möhring) setzt Punk- und Elektropionier Gabi Delgado ein neues und quicklebendiges Ausrufezeichen. Der rheinländische Spanier macht auch ohne DAF eine mehr als gute Figur.
Der Titel ist gleich in zweifacher Hinsicht wegweisend. Zum einen zeigt Gabi gern, wo es lang geht und wer die Numero Uno ist. Zum anderen ist die 20 Titel starke Platte in gewisser Weise tatsächlich sein erstes komplett echtes Soloalbum. Keine Kollabo mit anderen Musikern, kein fremdes Studio, kein unsexy Pro-Tools-Krempel oder steriler Midi-Schnickschnack. Stattdessen: Alles fein säuberlich selbst eingespielt.
Trotz einer mehr als 35 Jahre andauernden Karriere klingt Delgado nicht wie ein Mann von gestern. Den Has-Been-Zug überlässt er anderen. Hier eine Prise Gegenwartssound, dort ein wenig House, alles abgerundet mit einer gehörigen Portion EBM und Anarchismus. Das Ergebnis dieses Schmelztiegels ist ein schillerndes Album, das nur einen Stempel trägt: Gabi Delgado.
Dabei atmet der Elektrosound eine Sinnlichkeit und Erotik, die man im Clubgenre eher selten findet. Mehr ekstatische Percussions als früher, aber breitwändiger als ehedem und im Grundton trotz all der pulsierenden Heftigkeit stets mit einer gewissen organischen Wärme ausgestattet. Mehr Sonnentempel als Neonschuppen. Selbst Menschen, die sonst eher wenig mit derlei Musik am Hut haben, werden sich dem hypnotischen Zwang zu zappeln nicht entziehen können ("Nebelmaschine" und "Lippenstift"). Delgados Dancefloor Eros reloaded!
Dazu sein typischer Stakkato-Singsang, der vor allem deshalb so viel besser funktioniert als bei seinen Epigonen, weil er bei aller scheinbaren Einfachheit ein goldenes Händchen für Timing und Rhythmus unterstreichende Pausen in den Vocals hat. Die Methode, bedeutsame Lyrics zu Slogans einzudampfen, ohne deren komplexe Aussage zu schmälern, hat er ohnehin erfunden und auf "1" noch perfektioniert. Mit gewohnt provokantem "Der Mussolini"-Sarkasmus und dem Schalk im anarchistischen Nacken serviert er dem Publikum sein politischstes Album.
"Wir ziehen jetzt ins Puppenheim / Uns soll alles schnuppe sein / Wir lassen einfach keinen rein!" Wenig amüsiert, musikalisch dennoch höchst amüsant, prangert er im Futurepop-Klopper "Puppen" die menschenverachtende Abschottung westlicher Gesellschaften vor der Dritten Welt an. Noch härter und recht DAF-lastig klingen Zeilen wie: "Friede den Hütten, Krieg den Palästen / Wir tragen euren Krieg zurück in den Westen.."
Die romantische Liebe in diesen kalten Zeiten ist der zweite rote Faden, der sich als angenehmer Gegenpol durchs Album zieht. Gipfelnd im womöglich größten aller Liebesbeweis-Versprechen, für den Partner im Krankenhaus die Maschinen auszuschalten ("Strassenloop"). "Der Tod gehört eben auch zum Leben, früher oder später. Das kann also auch schön und romantisch sein, sowas auch mal anzusprechen", so Delgado im Interview. Mit "1" zeigt der passionierte Katzenliebhaber der Welt: Seine Strahlkraft ist ungebrochen.
4 Kommentare mit 3 Antworten
eine kleine anmerkung sei mir erlaubt:
die zeile "friede den hütten, krieg den palästen" hat mit daf nichts zu tun, sondern enstammt einzig und allein der feder von georg büchner.
Dieser Kommentar wurde vor 10 Jahren durch den Autor entfernt.
das stimmt natürlich. der daf bezug ist selbstverständlich auf die musik des tracks gemünzt, die ebm lastiger ist als der rest der platte
Der hessische Landbote gehört doch zur guten Allgemeinbildung und sollte somit hinlänglich bekannt sein, so dass auf den Hinweis durchaus verzichtet werden konnte.
Freut mich sehr, daß dieser kreative Kopf noch aktiv ist!
Ich habe das Album am letzten Freitag gekauft, sehr gelungenes Solo-Album. Allein Songs wie Lippenstift, Nebelmaschine, Nicht-
gedicht oder Laut rechtfertigen den Kauf.
Dieser Kommentar wurde vor 10 Jahren durch den Autor entfernt.