laut.de-Kritik

Das Beste aus acht Studioalben und noch mehr.

Review von

Man darf Gentleman getrost als deutsches Reggae-Urgestein bezeichnen. Kein anderer Künstler macht hierzulande schon so lange erfolgreich Musik mit einem Genre, das Plattenfirmen meist vor Verträgen zurückschrecken lässt und in der öffentlichen Meinung untrennbar mit dem Konterfei Bob Marleys verwachsen zu sein scheint, obwohl es doch so facettenreich ist und viele andere wunderbare Künstler hervorgebracht hat. Auch ist kein anderer Europäer auf der Karibikinsel Jamaika, dem Geburtsland der Offbeat-Musik, so angesehen und respektiert.

Außer vielleicht Alborosie, das dürfte es dann aber auch gewesen sein. Denn die Einheimischen sind seit jeher auf die Authentizität ihres Kulturguts bedacht. Nicht-Jamaikaner haben es meist schwer, auf der Insel Gehör zu finden. Doch Gentleman ist dies im Lauf seiner Karriere gelungen. Er ist Mitglied dieser verschworenen Gemeinschaft geworden, deren musikalischer Output viele Menschen auf der ganzen Welt begeistert.

Geschafft hat Gentleman das wohl deshalb, weil er Zeit seines Lebens leidenschaftlich für Reggae brannte und dabei immer eine noble Bescheidenheit an den Tag legte, die gut ankam bei den Künstlern, Fans und Medien. Er war Mitglied von Pow Pow und Silly Walks, zwei der stilprägenden und bekanntesten deutschen Sound Systems. Als erstem Reggae-Künstler überhaupt wurde ihm die Ehre zuteil, ein MTV-Unplugged-Konzert zu spielen. Insgesamt veröffentlichte er acht Studioalben, wurde dafür viermal mit Gold und einmal mit Platin ausgezeichnet.

Gekrönt wird dieser Werdegang nun mit einem weiteren Langspieler: "The Selection" heißt Gentlemans bis dato erstes Best-Of-Album, das seine 22 wichtigsten Titel vereint. "Superior" ist vertreten, "Intoxication" ebenso, auch "Runaway", "Leave Us Alone" und der Evergreen "Dem Gone" auf dem gleichnamigen Riddim, der heute noch zur Standardausrüstung eines jeden Selectahs gehört.

"The Selection" führt durch 25 Jahre beispielloser musikalischer Karriere und lässt dabei (fast) keine Wünsche offen. Frühere Singles sind - remastered - ebenso vertreten wie Titel des aktuellsten Albums "Conversations" mit Marley-Spross Ky-Mani ("Red Town", "Mama"). Als besonderes Schmankerl präsentiert Tilman Otto mit "Ovaload" und "Imperfection" zudem noch zwei völlig neue Songs. Die Featuregäste? Dancehall-Superstar Sean Paul und Soul-Mastermind Aloe Blacc. Kann man mal machen. Aber wohl nur, wenn man Gentleman ist.

Diese musikalischen Gäste offenbaren jedoch auch den einzigen Wermutstropfen der sonst so wunderbaren Zusammenstellung: Viele der zahlreichen Features und Feature-Beteiligungen fehlen. Sie werden lediglich in der Deluxe-Version mitgeliefert, freilich weil man sich für dessen Kern auf Gentlemans eigenständiges Werk konzentrieren wollte, ergänzt um einige wenige Ausnahmen ("Warn Dem" mit Shaggy, "To The Top" mit Frauenschwarm Christopher Martin und "Another Melody" mit Tanya Stephens).

Bei 22 ausgewählten Liedern wären weitere Anspielstationen vielleicht auch zu viel des Guten gewesen. Dennoch sehnt sich mancher Hörer der Standard-Version sicher einige der Hits herbei, die Gentleman nicht nur innerhalb der Szene, sondern auch im ganz großen Musikzirkus berühmt gemacht haben. "Tabula Rasa" mit Freundeskreis etwa, oder "Wiederstand" mit Curse.

Patrice, Barrington Levy, SOJA, Marcia Griffiths, Azad, Udo Lindenberg und die Beginner sind nur einige der Namen, mit denen der zweifache Familienvater bislang kooperierte und die belegen, wie massenkompatibel Reggae in den letzten Jahren geworden ist. In Zukunft werden sicher noch einige weitere namhafte Künstler dazukommen. Denn ans Aufhören denkt Gentleman noch lange nicht. Und das ist auch gut so.

Trackliste

  1. 1. Superior
  2. 2. Dem Gone
  3. 3. Imperfection
  4. 4. Intoxication
  5. 5. Ovaload
  6. 6. It No Pretty
  7. 7. To The Top
  8. 8. Warn Dem
  9. 9. Leave Us Alone
  10. 10. In My Arms
  11. 11. Runaway
  12. 12. Serenity
  13. 13. Memories
  14. 14. Changes
  15. 15. Heart Of A Rub-A-Dub
  16. 16. Mama
  17. 17. You Remember
  18. 18. Another Melody
  19. 19. On We Go
  20. 20. Red Town
  21. 21. Different Places
  22. 22. Send A Prayer

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