laut.de-Kritik
Verse voll nackter Ehrlichkeit.
Review von Kai Kopp"Den höchsten Begriff vom Lyriker hat mir Heinrich Heine gegeben. Er besaß jene göttliche Bosheit, ohne die ich mir das Vollkommene nicht zu denken vermag" urteilt Friedrich Nietzsche. "Heine ist die giftig gewordene Romantik, der faulig gewordene Gärungsprozess, der ihre Auflösung in ein Afterbild der modernen Freiheit des Selbstbewusstseins darstellt" ergänzt Friedrich Theodor Vischer. Kostprobe gefällig?
Meinen schönsten Liebesantrag
Suchst du ängstlich zu verneinen;
Frag ich dann: ob das ein Korb sei?
Fängst du plötzlich an zu weinen.
Selten bet ich, drum erhör mich,
Lieber Gott! Hilf dieser Dirne,
Trockne ihre süßen Tränen
Und erleuchte ihr Gehirne.
Bei Philips erschien in den 60er Jahren eine kleine Reihe von Lyrik & Jazz-Platten, an denen Jazzpapst Joachim Ernst Berendt als Produzent und Gert Westphal als Sprecher mitwirkten. Aus dieser Reihe stammt die 1964 erstveröffentlichte Einspielung, die nach langen Jahren des Darbens zum 150. Todestag des Wortjongleurs nun endlich wieder als audiophiles Kleinod vorliegt.
Gert Westphal rezitiert mit gewaltiger Leidenschaft und voller Inbrunst. Das Attila-Zoller-Quartett steht dieser dramatischen Ausdrucks-Ausführlichkeit in nichts nach. Die schonungslose Emotionalität der Akteure lässt das Album bersten vor Intensität, Erregung und glühendem Eifer.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass Heines Reime bis heute nichts an Aktualität einbüßen. Zeitlose Verse voll nackter Ehrlichkeit, hemmungsloser Offenheit und großer Intensität gepaart mit ebensolchen Improvisationen machen die Kombination von Lyrik & Jazz zu einem aufwühlenden Erlebnis.
Sprache und Musik verschmelzen ineinander, wie es selten gelingt. Zu keiner Zeit ist präsent, dass die Erstausgabe dieser Aufnahme bereits 40 Jahre auf dem Buckel hat. Viele Tracks wurden nur einmal eingespielt und sofort zur Produktion verwendet, was für die Stärke des Augenblicks spricht.
Diese Kultplatte erscheint aufgrund ihrer unmittelbaren und unverbesserlichen Ausdruckskraft als 1:1 Wiederveröffentlichung, mit Cover und Rückentext der damaligen LP. Lediglich das Booklet erfährt Ergänzungen durch den ewig Mitbewohner suchenden Götz Alsmann und den Herausgeber des Bielefelder Jazz-Katalogs, Manfred Scheffner.
Für Kenner ebenso geeignet wie für Neueinsteiger lässt das vorliegende Album nur ein Urteil zu: Kaufbefehl!
1 Kommentar
genial!