laut.de-Kritik
Ein Trip in die dunkelsten Winkel der menschlichen Seele.
Review von Toni HennigGonjasufi erlangte als Sänger und Produzent mit seinen postdubsteppigen Sounds auf Warp viel Aufmerksamkeit. Nach "Mu.zz.le" zogen vier Jahre ins Land, die er brauchte, um seine seelische und physische Erfahrung von Schmerz musikalisch auf Platte zu bannen. Für "Callus" arbeitete Gonjasufi unter anderem in der Mojave-Wüste an 19 düsteren Hybriden, die, reduziert und kratzig, eine radikale Abkehr von seinen kosmischen musikalischen Entwürfe darstellen.
In "Your Maker" pochen die Drums wie schwere Herzschläge. Eine düstere Post-Punk-Gitarre gibt den Ton an. Dezente mysteriöse Elektroniksounds sorgen für Unbehagen. Gonjasufi klingt stimmlich nur noch wie ein Häufchen Elend. So ein Opener mutiert schon mal zur sperrigen Angelegenheit, was sich auch die nächsten Tracks über nicht grundlegend ändert. Diese Entschlackung seines Sounds bis zum Fleisch hätte man nicht unbedingt von ihm erwartet, macht das Hörerlebnis aber nur um so intensiver - wenn man sich darauf einlässt.
Kaputte, knarzige Sounds dominieren "Arikan Spaceship", das mit einem eher beiläufig dahingespieltem Gitarrensolo und Sitarbegleitung endet. "Carolyn Shadows" als Trip-Hop-Track in Ultrazeitlupe knipst das Licht endgültig aus. Gonjasufi windet sich in Qualen, und der Hörer scheint sich in einem stockfinsteren Film-Noir wiederzufinden.
Die meisten Tracks überschreiten kaum die Drei-Minuten-Marke. Sie wirken wie grobe Miniaturen und Fragmente, die man sich erarbeiten sollte, und bieten wenig, woran man sich festkrallen kann. Die Soundentwürfe klingen wie auf einem kaputten Kassettenrekorder aufgenommen und irgendwo an einem verlassenen Ort gemastert - was Gonjasufi sicherlich auch tat. So viel Kompromisslosigkeit muss man erst einmal verdauen.
"Poltergeist" mit Sitar-Klängen in tiefem Moll, brodelnden Bassflächen und verzerrter Elektronik stellt sich als weiteres Highlight dar, weil es mit seinen fast hörspielartigen, ambienten Klangflächen den Hörer mit Benommenheit umhüllt.
In "Vinaigrette" gibt es sogar einen repetitiven, tanzbaren Beat. In "Devils" knattern die Synthies in leichter EBM-Manier durch. Der Ausflug gestaltet sich aber nur sehr kurz. Im Grunde hat man sich an dem schweren Grundton von "Callus" gewöhnt, wenn einen der alptraumhafte Charakter der Platte nicht abschreckt.
"Surfinity" klingt wie eine beklemmende Horrorcollage, die sich wahrscheinlich nur noch ein Scott Walker in seinen zerrissensten Momenten ausdenken würde. "Shakin Parasites" schält mit reduziertem, schabenden Gitarrenfundament und kaputter Snare noch die letzte Haut von den Knochen: schon ein sehr verstörendes Kopfkino für den Hörer.
Gonjasufi dringt mit "Callus" tief in seine Gefühlswelt und in den Kern seiner Klangskizzen vor. Die Intention, sein Leid auch für die Nachwelt auf Platte zu bannen, gelingt ihm mit diesem surrealen, deprimierenden Trip in die dunkelsten Winkel der menschlichen Seele spürbar: nichts für Zartbesaitete. Wer den Mut für diese Platte aufbringt, für den öffnen sich aber neue Welten.
3 Kommentare mit 2 Antworten
Ich mochte "A Killer and a Sufi" sehr, allerdings hauptsächlich wegen der Instrumentals. Sufis Stimme ist mir oft zu misstönend. Das ist zwar sicher so gewollt und alles, aber mir auf Dauer zu anstrengend. Hör trotzdem mal rein. Hat Gaslamp Killer eigentlich wieder produziert?
Nein. Hat Gonjasufi alles selber produziert.
Treffende Rezi. Nicht einfach zu verdauen das. Ich vermute auch nach mehreren Durchläufen entwickelt sich das Ding nicht zum wahren Hörgenuss, obwohl es an einigen Stellen schon recht fett/sludgemäßig klingt
Jo, ziemlicher Brocken. Noch schräger, noch verzerrter, deutlich düsterer. Steht ihm sehr gut, finde ich.
Das Prinzip, Track kurz anreißen und nächster, hat er beibehalten und auch sonst klingt es trotz der o.g. Änderungen gleich nach Gonjasufi. Sozusagen Weiterentwicklung mal wirklich im ganz positiven Sinne.
Einen kleinen Wermutstropfen gibts aber:
Nach den Melodien der Songskizzen, irgendwie ja doch das woraufs ankommt, muss man durch all die Schwere nicht nur länger graben, sie fallen für meinen Geschmack auch nicht ganz so durchgehend bockstark aus wie auf dem Debüt. Es fehlen mir (vllt. ja zusammen mit etwas spielerischer Leichtigkeit?) halt ein bisschen die Hits.
Aber gut, darauf ist das Album eben hör- und spürbar nicht angelegt und das funktioniert ja auch ganz ausgezeichnet. Diesmal aber nicht die Höchstpunktzahl von mir.
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.