laut.de-Kritik

Gebet mit Beats und Bässen.

Review von

Greentea Peng füllte 2020/21 überraschend eine Marktnische. Als Hybrid-Künstlerin zwischen Retro-Trip Hop, introspektiver Kerzenlicht-Poetry, Beinahe-Identität als Female MC der UK-Szene und weltreisendem Psychedelic-Guru traf sie mit ihrer EP "Sensi" und dem Debütalbum "Man Made" einen Nerv. Ihre Songs waren stark, die Grooves teils nah am Reggae/Dub. Ihr Stimmklang in einer Mixtur aus rough und crémeweich lässt auch jetzt auf dem Nachfolger "Tell Dem It's Sunny" wieder aufhorchen. Die Vocals sind manchmal das tragende Element wie in "Raw". Es ist ein mitreißendes Beispiel dafür, dass man beim Hören in Loops versinken kann, in deren Strudel eine prägnante Stimme treibt.

"Tell Dem It's Sunny" scheint ein Plädoyer für eine optimistische Sicht der Dinge zu sein, mit Zweifeln im Unterton. Den Weg zum Licht beschreitet die Künstlerin nur mit Hilfe der Musik. Denn auf der Hand liege die sonnige Perspektive nicht, erklärt sie uns: "Ich durchquere eine Schnittmenge, aus Pessimistin, denn damit verbringe ich viel Zeit, aus Idealistin, was mein Naturell ist, und aus Realistin, indem ich oft einen guten Mittelweg finde. Zugleich kann die aktuelle Zeit, in der wir leben, oft Pessimismus nähren." "Anyway we open for brighter days", fordert "The End (Peace)", und falls die Musik alleine mal nicht mehr helfen sollte, bliebe noch das Gebet: "The end has been on its way / there's nothing to do but pray."

Die 30-Jährige ist die Richtige für eine Bestandsaufnahme des Zeitgeistes. Die fette Textmasse auf Beats richtet sich auch an Not-Native Speakers des Englischen. Smoothe Reime ködern. Manchmal sollen sie zwischen den Hall-Effekten einfach gut im Ohr liegen, selbst wenn sie wild-assoziativ oder abstrakt bleiben, Zeilen wie "no time for the heartless / require light for the inevitable darkness."

Und Greentea ist auch die Passende, um zu analysieren, wie wir miteinander zusammen leben auf diesem Planeten. Denn die Londonerin hat einiges von der Welt gesehen, in Süd- und Mittelamerika, der Karibik, ein bisschen in Afrika, unsicher bezüglich ihrer verstreuten familiären Wurzeln, die außerdem noch teils arabisch sind.

"In keiner der einzelnen Kulturen, aus denen sich mein gemischter Hintergrund zusammen setzt, fand ich mich zuhause", erzählt sie uns, und davon handelt auch ihr neuer Song "Nowhere Man", dessen Blue Note-unterspülte Silben-Kaskaden bei mir spontan Highspeed-Ragga-MC Daddy Freddy in Erinnerung riefen, während Bounce-Beats und trockenes Sing-Rappen verdächtig nah an Soom T entlang schrabben - gleichwohl Greentea meint, sie habe von der schottischen Kollegin noch nie gehört. "We don't know where we're from / so we don't know where we're goin' / And we don't have no plan, car / we are the nowhere men (...) Citizen of the world, you can't tell me / where I can go, where I belong", maunzt sie. Nachhaltig beeindruckt, gar geprägt oder an einen anderen Erdteil gebunden, hätten ihre teils mehrmonatigen Aufenthalte sie nicht, zieht die Engländerin ihr Fazit.

Immerhin, ihren Namen mit dem grünen Tee holte sie sich in Peru. Das Pseudonym fiel auf einem Mixtape von The Streets auf, und zwar nicht nur Hip Hop-Fans, sondern auch dem Konzern Universal. Hinter dem Debüt beim Major stand große Marketing-Power, jetzt jedoch kehrt Frau Peng gewandelt zurück: Als Artist without any label, beim Dienstleister AWAL, der ihr die nötigsten Lizenz- und Terminplan-Fragen abnimmt, als Mutter einer Zweieinhalb-Jährigen, drogenfrei, weniger spirituell, spielerischer, manchmal härter im Sound und vor allem als Adeptin eines ur-britischen 90er-Jahre-Genres: Drum'n'Bass. Mit ein bisschen Jungle versetzt, zum Beispiel im so stringenten wie lässigen "Whatcha Mean" mit Beats, die wie Rotoren eines Hubschraubers auf Highspeed klingen.

Überhaupt regieren die Bässe vor allem die zweite Hälfte dieses zweiten Albums - grollende Tieftöne, Gewitter-Elektronik, schnalzende Jungle-Kaskaden, Musik zwischen Blitz und Donner. Drum'n'Bass und Jungle bildeten sich aus Kreuzungen elektronischer Strömungen mit Dub, Breakbeats und Raggamuffin heraus und sind die engsten Verwandten von Trip Hop, der im wärmstens instrumentierten und nahbarsten Track, "Green", einen heißen Auftritt hat. Und das "Bali Skit Part 2" treibt durch sehr ähnliche Midtempo-Melancholie-Gestade wie Massive Attacks "Safe From Harm". Dadurch ist die Veränderung kein Bruch mit "Man Made", sondern eine Anknüpfung daran.

Trotzdem stellt "Tell Dem It's Sunny" einen gänzlich anderen Ansatz dar als "Man Made", jedenfalls wenn man die beiden Platten als Entitäten nimmt und nicht Song für Song. Zugegeben, es gibt zwar eine Reihe von Parallelen, wie bei "Glory", gerade dem Lied, aus dem die Titelzeile "Tell Dem It's Sunny" stammt. Dazu könnte man auch am Ende einer Session im Yoga, das die Sängerin privat ausübt, meditieren. Das lange "Meditation" und der Titelsong von 2021, "Man Made", enthielten bereits gehörige Portionen solchen cozy Neo-Souls, und bei "Glory" flammt dieses spirituelle Retro-Feuer wieder auf.

Doch dieser repetitive Loop-Track mit seinen Tranquilizer-Tönen oder das "Bali Skit Part 1" dienen dazu, die Hörer*innen mit besänftigenden Klängen (paradoxer Weise) auf die Folter zu spannen, als Steilvorlage für mehr Gewusel. Sanft blubbernde Tunes, wie dann noch einmal "Stones Throw" als letzte retardierende Zwischenstation, bereiten in der Gesamt-Abfolge einer insgesamt quirligen Scheibe den Weg, die auf die Explosion, auf die Entladung angestauter Energie hinaus will. Herunter beamen, um dann in die Eruption auszubrechen, lautet hier das Yin und Yang. Die Explosion vollzieht sich immer wieder, angefangen mit dem Lied über und gegen die eigenen Nackenverspannungen, "My Neck feat. Wu-Lu", mit seltenem Einsatz eines Feature-Gastes.

In "Create + Destroy 432" steigern clashende, schneidende Rap-Metal-Riffs den Dröhn-Anteil in plakativer Tonqualität. Das harte "I Am (Reborn)" setzt einen drauf. Das Manko: Weil sie produktionstechnisch in solchen Momenten nicht ganz so gut wie die erste Scheibe klingt, mitunter skizzenhaft, berührt "Tell Dem It's Sunny" nicht ganz so tief und so oft. Rational wirkt zwar alles wie ein klug ersonnenes Konzept, dessen Funke aber nicht ganz überspringt, denn es flowt nicht so mühelos wie der Erstling. Wie bei Bowie gilt die Gesetzmäßigkeit: Sogar das, was nicht so gut produziert ist, erscheint zumindest interessant. Auch ohne alle Feinheiten perfekt geschliffen zu haben, legt Peng mit ihren drei Ko-Producern zwar keinen Quantensprung, aber doch ein hochwertiges Album vor.

Trackliste

  1. 1. Bali Skit Part 1
  2. 2. Tardis (Hardest)
  3. 3. One Foot
  4. 4. Nowhere Man
  5. 5. Glory
  6. 6. My Neck feat. Wu-Lu
  7. 7. Create + Destroy 432
  8. 8. Green
  9. 9. Raw
  10. 10. Stones Throw
  11. 11. The End (Peace)
  12. 12. Whatcha Mean
  13. 13. I Am (Reborn)
  14. 14. Bali Skit Part 2

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