laut.de-Kritik
Starkes Solodebüt des Fontaines D.C.-Sängers.
Review von Alexander KrollGrian Chatten wusste es von Anfang an. Mit den Worten "I'm gonna be big" prophezeite der irische Sänger seiner Band Fontaines D.C. gleich im Eröffnungstrack des Debütalbums eine große Karriere.
Innerhalb von nur drei Jahren gelangen den Postpunks aus Dublin drei Erfolgsalben. Ihr jüngstes, "Skinty Fia", stieg bis an die Spitze der UK-Charts. Es gab einen NME Award, einen Brit Award und eine Nominierung für den Grammy. Dazwischen tourten die Musik-College-Freunde kreuz und quer über den Globus.
Doch der steile Aufstieg forderte seinen Preis. Viel Energie hatte Grian Chatten in sein Songwriting und die intensiven Live-Shows investiert. Gleichzeitig zermürbten ihn die ständigen Ortswechsel im engen Tourbus. "Es kam zu einer Ansammlung von Dunkelheit. Ich spürte eine Menge Hass, Bitterkeit und Wut", erklärt Chatten in der Album-Notiz, "einen echten Glaubensverlust in die Menschheit und mich selbst".
"Chaos For The Fly" bietet einen Ort der Einkehr. Ganz bewusst entfernt sich Grian auf seinem Solodebüt von der musikalischen Basis. "Es war so, als hätte ich ein Foto von der Band gemacht und eine Linie um mich herum gezogen, um mich zu erinnern wo ich stehe", erzählt der Sänger dem New Musical Express. Aus dem Fontaines-Kreis sind nur Drummer Tom Coll und Produzent Dan Carey (auch Foals, Kae Tempest) an Bord.
Jenseits der elektrisch geladenen Schroffheit seiner Band entwirft Chatten eine melancholische Singer/Songwriter-Meditation. Mit sonor tragender Stimme, direkter Akustikgitarre und Streichern spiegelt der Wahl-Londoner seinen Schmerz in neun Folk- und Pop-Erzählungen aus der Küstenstadt Skerries am Stoney Beach, nördlich von Dublin.
Während des Lockdowns verbrachte der Sänger viel Zeit an dem Ort, an dem er aufgewachsen war. Auf dem Album transportieren die dort eingesammelten Bilder der Wellen, Docks und Casinos ambitionierte Arrangements zwischen Schönheit und Leid. Gerahmt durch den filmreifen, an Simon & Garfunkel erinnernden Choral "The Score" und die brodelnde Grunge-Variation "Season For Pain" entwickelt das Album eine dichte Spannung der stillen Töne, die letztlich doch nicht weit von der Fontaines-Intensität entfernt ist.
"All Of The People" saugt die Farbe aus sämtlichen Pop-Illusionen. Entlang perfekt schimmernder Pianoklänge, die auch einen Mega-Hit von Adele begleiten könnten, rechnet Grian mit ruhiger Stimme erbarmungslos mit der ganzen Menschheit ab. Erwartet man beim Refrain-Auftakt "All of the people / They can fly" noch einen plötzlichen Euphorie-Schub, enthüllen die Anschlussverse eine bittere Brechung: "Straight to the white hotel / Up In the sky". Später trägt der Ire noch dicker auf ("People are scum / I will say it again / Don’t let anyone tell you that / They wanna be your friend"), doch der kathartische Cohen-Effekt überwiegt.
Auch "Salt Throwers Off A Truck" besticht mit einem scharfen Fokus. Als hätte ihm Bob Dylan kurz vor der Aufnahme ein Seminar gegeben, gelingt dem Fontaines-Frontmann ein packendes Folk-Stück. Mit Mikro, knarzender Akustikgitarre und Violine führt er durch ein nostalgisch delikates New York-Wintergemälde ("When February came it came straight for New York / Any colder - they said - we’ll be skating to work / Salt throwers were taming the sidewalks with haste / Til the whole of the city was seasoned to taste").
Die poetischen Qualitäten des Albums verdichten sich in der Single "Fairlies". Angepeitscht von Streichern stürmt das Lied durch einen Britpop-Hit-Refrain, Morrissey'sche Lebensweisheiten und internationale Schicksalsmythen. Anhand der Fabel strafender Feen steuert der Songwriter das übergreifende Küstenmotiv eindrucksvoll auf die Ebenen der irischen Migrationsgeschichte und existenziellen Schifffahrt ("If I get the ferry over will the fairies follow me? / Will they throw me to the sea? / We'll see"). Als Chronist, der den Mythos fortschreibt, trotzt Chatten sogar dem Tod – "Across the River Styx I'll row along", singt er am Ende, "but I've got one more song".
Das Lied als Mittel zum Überleben, als Weg des Songwriters zur Unsterblichkeit. Nicht alle Tracks des Albums können eine solche Konzentration aufweisen. "Bob's Casino" und "East Coast Bed" etwa verlieren im entspannten Klangspektrum an Kontur. Auch an manch anderer Stelle fehlt die Balance.
Trotzdem ist Grian Chatten mit "Chaos For The Fly" ein starkes Solodebüt gelungen, das auch viel für die Zukunft verspricht. Der Musiker plant nicht nur "one more song" oder "one more album". Dem NME sagte er: "Ich mag die Vorstellung von vierzig Alben". Gut, dass es da noch eine Band gibt, die mithelfen kann.
Noch keine Kommentare