laut.de-Kritik
Harrison Stafford setzt sich ausdrucksstark in Szene.
Review von Philipp KauseEs gab schon Jazzigeres von Groundation, so das 2018 veröffentlichte "The Next Generation", und auch schon viel Rootsigeres wie zuletzt "One Rock" 2022. Da trug der selbst ernannte Professor Harrison Stafford seine Fackel häufiger über Reggae-Terrain.
Der Kalifornier macht Rasta-Musik mit akademischem Anspruch, und das seit 1998. Nach einem Dub-Exkurs, "Dub Rock", dreht sich jetzt alles statt um erdige Bässe unterm Dub-Felsen um Feuer, Flamme, Licht, Energie und die brennende Kerze, das Lebenslicht. "Keeper Of The Flame", "The Light", "Energy" und "Candle Burning" heißen Songs hier, letzterer ist das Titelstück. Simple Stichwort-Collagen aus "Jerusalem, judgement, sunshine, lonely road" und weiterem Prediger-Vokabular sind dieses Mal das Manko, zulasten der sonst von Groundation gewohnten Sozialkritik.
Dagegen zeichnet sich schon das Erscheinen der Feature-Gäste als sozialkritische Maßnahme aus: Dass Thomas Mapfumo, Mykal Rose und Mutabaruka mit ins Studio gingen, gleicht bereits einem Plädoyer für Gesellschaftsfundamente erschütterndes Liedgut. Mutabaruka, Ikone der Bewusstseinserweiterung und weiser Guru der Roots Reggae-Foundation, philosophiert übers Absorbieren und Reflektieren von Licht und übers Funkenschlagen und -sprühen. Mit Naturgewalten am anderen Ende der Temperaturskala kennt er sich schon lange aus, galt oft als der Typ, der barfuß durch Schnee stapft. Spoken Word machte er schon, als Ursula Rucker noch zur Schule ging, später wechselte er zum Radio, wurde einer der langlebigsten Moderatoren für Reggae-Specials. Sein Auftritt hier bei Stafford ist etwas Besonderes. Denn er schlüpfte sehr selten bei anderer Leute Platten unter.
Noch ein alter Bekannter, der zur Popularisierung der jamaikanischen Musik in Deutschland einen Riesenbeitrag leistete: Mykal Rose von der Kult-Gruppe Black Uhuru. Zu ihm einen Kontakt herzustellen, ist wahnsinnig schwierig, aber Harrison Stafford ist es nun gelungen. Mykal, erster Reggae-Preisträger der Grammy-Geschichte, bringt Schärfe in den Offbeat-Flow. Ins rhythmisch bezirzende "The Youth" mischt sich außerdem noch Alpha Blondy auf Wolof mit ein. Warum das einfach so geht, liegt daran, dass "Candle Burning" in Brüssel entstand und der Musiker aus der Elfenbeinküste viel in Frankreich unterwegs ist. Nimmt man das französische Label und Musiker:innen aus den USA und der Karibik dazu, zeichnet sich die Platte durch große Internationalität aus.
Zur belgisch-amerikanisch-jamaikanischen Kooperation stößt schließlich noch ein Gast von ganz fern, quasi der Bob Dylan Simbabwes. Das südafrikanische Land zeichnet sich traditionell durch Musik am Daumenklavier in einem für den Rest der Welt exotischen Siebenton-System mit seltsam stolperndem Rhythmus aus. Bandleader Stafford und seine versierten Mitspieler von Jazz-Fakultäten wie aus der Sonoma State University trauten sich zu, Thomas Mapfumo angemessen zu begleiten. Als in den Achtziger Jahren nach dem allzu späten Ende der Kolonialzeit die Musikindustrie Simbabwes erblühte, nahm Mapfumo starke Alben auf. Damals galt Regierungschef Robert Mugabe als Held und Versprechen auf eine freie Welt, bevor er das Land in ein gewaltdurchzogenes und abgeschottetes Sorgenkind des Kontinents verwandelte. Der Polit-Songwriter hatte ihn schon früh kritisiert und floh unter Druck in die USA. Im rhythmisch komplexen "Holding On" hört man den Senior nun - ein edler Track. Schon für diesen Song und überhaupt die Idee dazu lohnt sich die ganze Platte.
Mitunter fordern Groundations Klang-Architekturen heraus. "Trust Yourself", wieder ein Tune über lodernde Flammen, zitiert stilistisch die größte Jazz-Referenz des Reggae-Eilands Jamaika, Monty Alexander, auf einem One Drop-Beat. Das beste hier ist dann bei weitem nicht die Stimme - obwohl die Band außer Harrison Stafford gar keine Konstante hat. Sondern es sind die famosen Blechbläser-Sätze! Saxophon, Trompete und Posaune gehören wieder gemäß Groundation-Markenkern zu jedem Stück. Wer sie spielt, wechselt hier erfahrungsgemäß alle paar Jahre durch.
Auch artistische Turnerei auf Orgel-Tasten und vielschichtige Percussion, mal ein tolles Fender Rhodes-Solo des jungen Spaniers Pau Dangla Valls, Melodica-Einsatz frei nach dem legendären Augustus Pablo, Fusion-Grooves Marke Toto oder eine spiralig abgemischte Rock-Gitarre zählen zu den handwerklichen Kniffen dieser jazzaffinen Produktion. Trotz aller Gefahr, ins Gniedeln abzurutschen, wie es besonders 2018 oft geschah, hält das Ensemble wacker den Balance-Akt zwischen seinen musikalischen Welten. Einzig im letzten Track "Anew" verirrt sich die Crew beim Versuch, es der Nische der Ska-Soul-Fans recht zu machen. Das Operetten-Geträller des Frontmanns ist dort schließlich zu viel des Guten.
Der langbärtige Stafford, Trommler und Gitarrist aus der Nähe San Franciscos, lässt aber auch seinen Ko-Sängerinnen Thamar Williams und Kerri-Ann Lewis, Jamaikanerin mit erdbeerroten Cornrows, gerne den Vortritt. Und die Lieder mit den männlichen Promi-Gästen wirken durch die Stimmenvielfalt reizvoll. Freilich, der selbst produzierende Harrison Stafford mit seiner eruptiven, trotzig-rebellischen Art, die Töne zu intonieren, setzt sich schon sehr ausdrucksstark in Szene. Insbesondere der melancholische Opener "Energy" mit Bob Marley-Vibes ist dafür ein gutes Beispiel. Dass sich diese manchmal Trance-artige, manchmal kreischende und manchmal schulmeisterlich anmutende Musikmischung über so lange Zeit halten würde, darauf hätte wohl vor 27 Jahren niemand etwas gewettet.
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