laut.de-Kritik
Der Affe fällt nicht weit vom Stamm.
Review von Yan Temminghoff"The Mountain", Hakens bislang bestes Album, lieferte bereits auf textlicher Ebene Material für die beiden zusammenhängenden Alben "Vector" & "Virus". Nun greift die britische Prog Metal-Formation den bandeigenen Klassiker erneut auf, allerdings mit Blick auf dessen ungezügelte Vielfalts-Vision. So vielseitig und vielgestaltig wie auf "Fauna" waren Haken bislang nicht unterwegs.
Das schmissige, an The Police angelehnte "Lovebite" oder das epische mit Genesis sympathisierende "Elephants Never Forget" bilden die Klammer des Machbaren. Dabei bleibt der Prog Metal-Markenkern der Formation stets erkennbar. Mit Blick auf das Artwork bleibt festzuhalten: Der Affe fällt nicht weit von Stamm.
Den songorientierte Ansatz begünstigt die Wahl des konzeptuellen Überbaus. Jeder Track bringt einen Vertreter aus dem Tierreich mit dem Handeln der menschlichen Spezies in Verbindung. "Taurus" etwa behandelt Fluchtbewegungen von Stieren. Die Verbindung zum Flüchtlingsaufkommen 2015 oder jüngst im Zuge des Ukraine-Konfliktes ist offenkundig. Den Tod des Vaters von Gitarrist Richard Henshall setzt die Band in "Eyes Of Ebony" gleich mit dem Aussterben des weißen Nashorns. "Lovebite" behandelt das Paarungsverhalten der Spinnen-Gattung Schwarze Witwe. Nach vollzogenem Akt verspeist das Weibchen ihren männlichen Sexual-Partner. Hier ist die Analogie zum Menschen eher symbolisch zu sehen.
Haken begeben sich auf die Suche nach außergewöhnlichen musikalischen Ausdrucksweisen. Dabei behilflich ist dem Sextett der Wechsel an den Tasten. Diego Tejeida kehrt der Band den Rücken zu, dafür macht die Formation wieder Sache mit Gründungsmitglied Peter Jones. Auf keinem regulären Longplayer als vollwertiges Bandmitglied zu hören, feiert der Tastenmann auf "Fauna" seinen Einstand. Er tut dies in der nötigen Subtilität und Songdienlichkeit - mutmaßlich eine Reaktion auf das Nebeneinander der einzelnen Parts auf "Vector" & "Virus". Heuer formulieren Haken wesentlich kohärenter.
Jeder Song bekommt ein passendes Soundgewand geschneidert. Eine Abkehr etwa von der Achtziger-Hinwendung auf "Affinity" oder der modernen Metal-Melange auf "Vector" & "Virus". "The Alphabet Of Me" kokettiert mit der Pop-Zugewandtheit, wie sie Leprous seit "Pitfalls" umsetzen. Das Krönchen auf dem Track ist das Trompeten-Solo, das an Stings "Englishman In New York" erinnert. "Elephants Never Forget", das elf-minütige Opus Magnum des Albums, lehnt sich an die britische Prog-Legenden Gentle Giant, Queen und Genesis an. Hier zeigt Sänger Ross Jennings seine vokale Bandbreite. Sein Timbre setzt der Frontmann jenseits von Glas sprengenden Höhen an. Ein Umstand, der den Tracks gut tut.
Die Suche nach ungehörten musikalischen Momenten treibt Haken nach den eher bemüht wirkenden Vorgängern zur bunten Blumenwiese, die "Fauna" darstellt. Dass der Prog Metal mitsamt seiner metrischen und harmonischen Finessen für viele Ohren unerhört klingt, nimmt das Sextett in Kauf.
7 Kommentare mit 34 Antworten
Ist noch weit von "The Mountain" entfernt, weil es vor lauter vertrackten Prog-Klischees das wirklich Anspruchsvolle vergißt: Die genialen Melodien und Hooks, die ihre beste Platte damals ausmachten. Verrückte Takte und fettes Gebretter auf einer Note sind höchstens schwer zu spielen, aber nicht zu schreiben. Vor allem hat diese Art des Songwritings eine enorm kurze Halbwertzeit.
Das hier ist aber ein großer Fortschritt für die Band. Werde mich wahrscheinlich noch mehr damit anfreunden als mit Vector und Virus, auch weil mehr Abwechslung geboten wird. Einziger Standout-Track, und wirklich würdig, als exzellenter Füller auf "The Mountain" zu landen, ist "Elephants Never Forget". Props für den Song! ♥
Hätte ich nicht gedacht, dass du trotz Prog-Aversion "The Mountain" so schätzt, noice!
Ist aber auch eines der besten Alben aller Zeiten.
Ich steh eigentlich sehr auf Prog. Finde es meistens nur dann unfreiwillig komisch, wenn mit modern-cleanem Sound halt einer auf superdüster mit diesem One-Note-Gebretter gemacht wird, das sich mehr wie nervöse Zuckungen als Badassery anhört. Bin ziemlich übersättigt von Math-Gegniedel, brauche mehr Gefühl und die höchste Kunst der Eingängigkeit in meinem Prog.
Da bin ich dann sogar ganz bei dir
Diese ganze Djentisierung des Prog, die im letzten Jahrzehnt ja echt überall war, fand ich mit der Zeit dann auch etwas ermüdend und ich würde mir auch wieder mehr Gefühle und Catchiness statt mehr 0/1/0 Robocop-Geriffe wünschen, wobei die besten Acts ja nie damit aufeghört haben, gutes Songwriting zu liefern.
Wem Haken gefällt, der sollte mal bei Dream Theater reinhören.
Find beide Bands eher lahm. Mathgegniedel it is
Wem Dream Theater gefällt, sollte sich vielleicht mal ein Haustier zulegen.
Petrucci spielt bestimmt besser als ihr alle zusammen.
Manche sind besonders schnelle Gitarristen, andere können besonders gut Gewichte heben. Schön für sie.
Bitte nicht die arme Mathematik da reinziehen. Die kann auch nix für maximal langweilige Bands.
Das kommt ganz darauf an, wieviel Determinismus man dem Universum zutraut. Ich wäre da nicht so voreilig, Caps. Auch die Theodizee im Hinblick auf Genesis hat mir noch niemand hinreichend beantwortet.
"Manche sind besonders schnelle Gitarristen, andere können besonders gut Gewichte heben. Schön für sie."
Guthrie Govan sagte mal: If you must play fast, play good stuff fast.
Geh kacken Dream Theater, King Crimson ftw
https://youtu.be/2HL-gGLu8Jo
The Mountain hat mich damals sehr begeistert, aber das ging damals auch noch sehr viel leichter. Heute finde ich technisches Können auch höchstens noch kurzzeitig interessant, weshalb auch Bands wie Polyphia bei mir einfach nicht zünden. Wie Ragi sagt, Prog muss gutes Songwriting, starke Melodien und gute Hooks mitbringen (wobei auch ein interessanter Rhythmus eine Hook sein kann). Ansonsten packt es mich so gar nicht.
Technisches Können muss halt im Dienste des Songs stehen. Alles um Steven Wilson rum war immer gut darin, alles um Kevin Moore herum eigentlich auch, weil beide es verstanden haben, was eine Komposition braucht. Moderne Progbands habens da nicht so mit.
Word, ihr letzten drei.
Ich glaube, das interessanteste Zeug findet man sowieso in den Randgebieten des Prog, auch was moderne Bands angeht. Also da, wo technisches Können sich mit Jazz (Poly-Math), Punk (Petrol Girls), Post-Punk (die neue von Chiyoda Ku!), Elektro (Luo, CLT DRP), oder Alternative Rock (The Guru Guru, No Violet) mischt.
Ach Ragi, wir hatten die Diskussion hier schon zu Genüge. Zu behaupten, Petrucci könne nur schnell spielen ist halt selbst als Gitarrengniedelablehner Quatsch.
Wenn du Gewichtheber bist, dann ist es natürlich brauchbar, gut Gewichte heben zu können, genauso ist technische proficiency als Gitarrist oder auf irgendeinem Instrument sicherlich eher Vor- als Nachteil.
Und wo wir bei Salz sind, Schwingo sorgt mit großer Verlässlichkeit immer wieder für Kopfschütteln. Was soll diese King Crimson-Erwähnung? Also ich finde die so dufte wie du aber das ist so wie wenn ich sage, "Titanic doof, 2001 Space Odyssey ftw".
Klar, kriegt man für so einen Satz vom örtlichen Filmaficionado ein anerkennendes Nicken, wie man für jede Erwähnung von "2001" auch props bekommen sollte aber abgesehen davon ist das doch einfach voll am Thema vorbei, hat nichts miteinander zu tun und nichts Konstruktives beigetragen.
@FriedlichChiller:
"The Mountain" ist für mich nicht so sehr aufgrund seiner technischen Seite so beeindruckend, sondern weil es im Kern zeitlose und große Songs sind. Aber klar, das technische fügt eine weitere Schicht der awesomeness hinzu und vor allem sind die Arrangements nicht so sehr auf Technik show-off sondern eher auf Abwechslung ausgelegt, weswegen ich da auch nach dem etlichsten Anhören was Neues entdecke.
Einem Satz wie
"Technisches Können muss halt im Dienste des Songs stehen."
würde ja fast jeder zustimmen, nur die Auslegung dürfte komplett unterschiedlich ausfallen.
Manche finden, dass Dream Theater und Haken zu wenig technisch sind, andere finden Songs von Animals As Leaders und Car Bomb sehr eingängig und hören das zur Entspannung, wiederum andere finden die RHCP schon zu technisch.
Hier: https://www.youtube.com/watch?v=YCQb9ppHQz4
Da müssen selbst die größten Hater zugeben, dass dieses Solo toll und gefühlvoll ist.
Ist halt auch kein Skalengewichse.
Wäre halt geil, wenn sowas nicht die Ausnahme von Petrucci wäre. Als von Gitarrengewichse stets Gelangweilter langweile ich mich einfach bei 9 von 10 DT-Songs zu Tode. Mir fehlt da die für mich nötige Rohheit, das unmittelbare Gefühl, der fürs Genre notwendige Schmutz. Schwer zu beschreiben, aber Prog muß für mich immer "gefährlich" sein, mit der Möglichkeit des Scheiterns, die im Mut zum Unperfekten liegt. Bei DT sind mir zu viele Stützräder drangeschraubt. Das hat zwar auch, aber nicht so viel mit Petruccis Gitarrenkünsten zu tun. Es liegt am Songwriting der Band, an den Arrangements, vor allem an der stets ultra sauberen Produktion.
Ist so ähnlich wie das alte Steely-Dan-Thema. Ich kann bei denen auch anerkennen, wie technisch perfekt es eingespielt und produziert wurde, und wie komplex die Harmonien oder das Songwriting sind. Mich lässt es aber entweder völlig kalt oder nervt mich aggressiv, je nach Tagesform.
@Radiohead9: Ja, total. Das kam in meinem Post vielleicht ein bisschen falsch rüber, aber an The Mountain hat mich auch vor allem die Atmosphäre und die Melodien begeistert (mein Lieblingstrack auf dem Album ist Cockroach King). Mein Punkt war, dass ich damals halt noch recht neu war in der Prog-Welt und man mich mit technischem Können halt sofort überzeugt hat.
Ein anderer Punkt, der mich an neueren Haken-Platten stört, ist die Produktion. Das ist schon alles ultrakomprimiert und ... naja, eben "modern". Da hatte The Mountain schon mehr Luft zum Atmen.
"Was soll diese King Crimson-Erwähnung?"
Bezug auf Prog vs Mathgegniedel, wobei KC für mich klar in letzteres fällt.
Klar sind beide Bands nicht direkt vergleichbar. KC hat Verve und Lässigkeit in jedem Takt, DT ist seit je krampfig und freudlos.
"Klar, kriegt man für so einen Satz vom örtlichen Filmaficionado ein anerkennendes Nicken"
Eh. Titanic ist Filmemachen pur, jeder selbsternannte Filmliebhaber der das nicht schnallt, hat Filme nie geliebt.
@FriedlichChiller:
Das mit der Produktion kann ich nachvollziehen, die ist auf den letzten Haken-Platten super fett und druckvoll aber ähnlich wie überall im Prog der 10er Jahre mindestens eine Hälfte im Sound Djent sein musste, war eben auch die Nolly Getgood-Produktion Standard und fast alle sind dann diese Produktionsschiene gefahren. Ich mag diesen Sound zwar, kann aber verstehen, wenn das einem zu steril, dicht und komprimiert ist.
@Schwingo:
Mit dem Bezug "Prog vs Mathgegniedel" ist der Einwurf dann sogar irgendwie verständlich, sorry hatte ich nicht gecheckt.
"Eh. Titanic ist Filmemachen pur, jeder selbsternannte Filmliebhaber der das nicht schnallt, hat Filme nie geliebt."
Word! Titanic ist schon ein ziemlicher Bangerfilm!
Ragi, dich lassen Steely Dan kalt und "nerven dich aggressiv"?!
Das macht mich nur noch traurig
Für mich eine der besten Bands ever und der Inbegriff zeitloser Musik. Aber du magst ja auch Pink Floyd nicht, Geschmäcker sind schon was Komisches.
Steely Dan nicht zu mögen ist schon arg wack.
@ragi (und die anderen):
DT haben eben keinen Songwriter mehr, einer, der tatsächlich was zu sagen hat und versucht, das rüberzubringen was er fühlt. Kevin Moore hat gelitten in der und für die Band, mit dem aktuellen Setup kannste eine Instrumentalband füttern welche die schönsten Kapriolen dreht, aber hörbar keinen Bezug hat zu den Themen die sie da besingt, noch weiss, wie sie damit musikalisch umzugehen hat. Das ist wirklich der Klassiker von "huch, diese Ansammlung an Riffs braucht einen Text".
Die Chance, dass Petrucci, Rudess oder LaBrie mit Tränen in den Augen vor der Glotze hocken und danach das grosse Album über die kleine Einsamkeit schreiben, tendiert gen null. Da ist die Mucke längst zu Kraftsport verkommen.
Zumindest Portnoy hatte seinen Kampf gegen den Alkohol ja in ein paar Songs untergebracht. Dem kaufe ich schon ab, dass ihm seine Texte da wichtig waren.
Seitdem Mangini da ist, klingts für mich noch mehr nach Maschine und "Dream Theater"-Songbaukasten. Allein ihre Rock Opera war ja schon unerträglich. Da haben sie dem Kitsch freien Lauf gelassen.
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.
Was geht denn bei Euch? Steely Dan ist der Soundtrack dafür, am Tresen eines Kreuzfahrtschiffs von einem schnauzbebarteten Typ, Ende 40, Roofies in den Drink geschüttet zu bekommen.
Erfahrung?
Ja, leider halt nicht, wenn es das Letzte ist, woran man sich noch erinnern kann
Es ist mal wieder ein großes Albung geworden! Und dazu tolles Artwork.
geil, zu der mucke auf wacken mal biedosen am kopf zerdrücken... ein traum!
Waren live neulich jedenfalls klasse. Das meiste war aber von Virus. Mit gefällt aber, einfach mal die eier zu haben auf nem Co-Headliner-Konzert 17 Minuten Messiah Complex I-V hintereinanderweg zu spielen
Der Knüppelgig (war Freitag auch) hat mich irgendwie tatsächlich mehr angepisst als erfreut, als nicht-gerade-Fan der V - Alben. Schon klar was das Package sein sollte, hat gerade im Verbund mit BTBAM auch ordentlich gezimmert, aber da war echt nur die Dresch-Abteilung im Set, ich hoffe dass da noch eine Headliner-Tour folgt, die der Variabilität der Band mehr Rechnung trägt... ich vermisse ihre 1-Band-3h-Konzerte, wie ich sie noch zu "The Mountain" mit 50 anderen Nasen in irgendwelchen nerdigen Schuppen erlebt habe.
Ganz abgesehen davon; so kacke ich die V-Alben finde, so sehr lag bei "Invasion" die Kinnlade aufm Boden. Das zimmert live schon echt. Und "Alphabet" hat mich kurz danach zumindest für einen Moment mit der Situation versöhnt. Und dass sie die Eier haben, Messiah Complex zu spielen, statt ein weiteres mal Architect oder, (würg), Crystallised, dafür kann man sie nur loben.
*huch, da gibt's ja noch ein drittes V-Album, das meine ich aber nicht, auf Visions lass ich nix kommen, und die Schweine hätten mal lieber davon Minds Eye - Portals - Shapeshifter spielen sollen statt zwei andere Songs, die ich jetzt nicht nenne, um niemanden zu spoilern.
War schon echt ein "Knüppelgig" mit seehr viele Noten, warum haben die so wenig vom neuen Album gespielt?
Und wie, ntrlydbstp, könnte man sich über ein weiteres Mal "Architect" oder "Crystallised" beschweren?
Virus musste ja noch irgendwie betouren, nachdem die Doppelalbum-Tour schon coronert wurde. Glaube die Gigs waren auch schon vor der Albumverschiebung geplant, jedenfalls kam das Album mitten in der Tour raus und das ist bei einer fixen Setlist am Timecode hängend natürlich scheisse - die einzige Alternative wäre Self-Leak gewesen. Und das neue ist so proggy, dass es an dem Abend vermutlich quer in der Landschaft gestanden hätte. Sofern da noch ne Headliner-Tour folgt, soll mir das recht sein.
Und @radio; man hat Crystallised und den Architecten einfach schon genug gehört live. Mit den Epics muss man eben haushalten.
Übrigens gehört 3/5. Besser als die beiden letzten, aber warum verweigern die sich seit Jahren einer griffigen Melodie und warum diese disruptiven Keyboards, egal ob der alte (Analoggefurze) oder der neue (digitaler Krach). Alphabet definitiv S-Tier und ihr bester Song seit zehn Jahren, aber der Rest schwankt zwischen sehr passabel (Eyes, Taurus, Lovebite) und hochgradig nervig (Beings, Nightingale und das interessanterweise von Ragi hochgelobte Elephants). Mal wieder harmonisch, wäre schon geil. Affinity bleibt 5/5.
Wundert mich ein wenig, dass niemand Sempiternal Beings erwähnt...für mich ein absoluter Killersong auf dem Album.
Habe Haken letztens live in Hamburg gesehen und es war neben Porcupine Tree eines der besten Konzerte die ich erleben durfte.