laut.de-Kritik
Hier duckmäusert sogar die Jazz-Polizei.
Review von Kai KoppIch wohne in einer Grenzstadt. Hier gibt es noch einen richtigen Zoll. Mit Grenzbeamten und so. Hinter dem Schlagbaum liegt die gelobte Schweiz. Dort wohnt Harald Härter. Der Saitenderwisch kämpft mit seinen wahnwitzigen Vorstellungen davon, wie man eine Gitarre behandelt, an vorderster Front der internationalen Jazzszene.
Ein mächtiges Gebräu aus Fusion- und Free Jazz, Bebop, Swing, Rock und ambienten Klanglandschaften brettern er und seine hochkarätig besetzte Band uns um die Ohren. Sie bedienen sich damit (fast) aller Spielarten, die der zeitgenössische Jazz zu bieten hat und brauen daraus ein inspiriertes und extrem scharfes Süppchen. Und ausnahmsweise hat der Beipackzettel Recht, wenn er behauptet, "explosive Sounderuptionen und hochklassige Soli sorgen für einen abwechslungsreichen Hörgenuss auf höchstem Niveau".
Aber zurück zur Grenzstadt: Alle, die nahe des Maschendrahtzauns wohnen, kennen zwei Typen von Grenzgängern. Leute, für die es eine Frechheit bedeutet, vom Zoll kontrolliert zu werden, wo man doch als Eingeborener (und EU-Bürger) gewisse Privilegien erwarten darf. Und sogenannte AaZZ, Ausweis-am-Zoll-Zücker.
"CatScan II" ist definitiv nichts für die zweite Kategorie. Nein, was Harald Härter und Co. da vom Stapel lassen, ist nur was für die Harten. Für all jene, für die Jazz nicht nur harmlos vor sich hin dudelt, um als Musik gewordene Romantik das Candlelight-Dinner mit der Angebeten intellektuell zu untermalen.
Nein, was Harald Härter, Michael Brecker, Erik Truffaz, Nils Petter Molvaer, Joe Lovano und all die anderen uns da ins Gehirn blasen, ist Fusion-Jazz ohne Rücksicht auf Verluste. Hier werden keine Gefangenen gemacht. Es geht zur Sache. Oder muss ich deutlicher werden?
Ich glaube kaum. Denn Harald Härter gehört zur Elite des globalen Jazzdorfs und spielt seit dem famosen Intergalactic Maiden Ballet in der Auswahlmannschaft der Durchgeknallten. Das Vorgänger-Album "Catscan" wurde 2004 von der Jazzzeit als beste Jazz-CD des Jahres ausgezeichnet und allen, die sich für elektrifizierten Jazz interessieren, sagen die oben Genannten etwas. Falls ihr noch nie einen dieser Namen gelesen habt: Finger weg von dieser Platte. Denn was wir auf "CatScan II" zu hören bekommen, ist so weit weg vom Mainstream, dass sogar die Jazzpolizei demütig duckmäusert.
Ein trauriger aber besonderer Reiz der Platte: Der im Januar viel zu früh verstorbene Michael Brecker lotet die Bandbreite seiner Tröte noch mal richtig aus. Dass er in der Live-Besetzung nicht als geladener Gast, sondern seit über sechs Jahren als festes Mitglied fungierte, spricht für sich - und für Harald Härter. Denn nicht er war es, der auf Brecker zuging. Als die Saxophonlegende Härters Album "Mostly Live" (1996) hörte, war er davon dermaßen begeistert, dass er gar nicht anders konnte, als mit dem schweizer Saitenzauberer zu spielen.
Seither spielten sich die Virtuosen auf zahlreichen Gigs in Ekstase, inklusive orgastischer Entladungen. Auch auf "Catscan II" spornen Härter und seine Mitmusiker sich zu immer neuen Höchstleistungen an. Immer wieder überrascht die Crew mit exzentrischen Soli und unerwarteten Wendungen. Wer den Gitarrenquäler je live gesehen hat, weiß wovon ich rede. Sieben Arrangements mit einer Spielzeit von rund einer Stunde werden offeriert. Sieben Titel, die keine Zeit zum Weghören geben. Sieben Songs, die das Nervenkostüm zerfetzen, als gäbe es kein morgen.
Danke für diese Platte! Ich werde sie zwar nicht ständig hören, aber wenn mir danach ist, die Jazzsau aus ihrem Zwinger zu lassen, ist "CatScan II" in der engsten Auswahl. Dass Schattenparker, Foliengriller, Warmduscher und AaZZ die werten Finger von "Catscan II" lassen sollen, hatte ich schon erwähnt, oder?
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