laut.de-Kritik
30 Songs: Eine Album-Trilogie mit Schwächen im Mittelteil.
Review von Ulf KubankeAls Haudegen bezeichnet man den Typus "eines verwegenen Menschen, der ohne Zögern mit Elan ein Ziel anstrebt und sich dabei auch nicht von etwaigen Gefahren abhalten lässt. Er kennzeichnet sich durch einen robusten, nicht wehleidigen Charakter, der mehr spontan als überlegt, oft tollkühn, schwierige Herausforderungen annimmt." Mit der quantitativ tatsächlich draufgängerischen Sammlung "Blut Schweiß & Tränen" hauen die Herren Stoll und Gillert den geneigten Fan ein monumentales Paket um die Ohren: 30 neue Songs kommen als Stream, Download oder Box um die Berliner Ecke.
Jeweils zehn Tracks ordnen sie als Trilogie wechselnden Gemütszuständen zu und bieten damit eine facettenreiche Nabelschau eigener Befindlichkeiten, die sie ihrem Publikum als Emotionsschablone andienen. Dabei stehen in Haudegens Soundgarten wie immer die Harten und die Zarten. Zwischendurch tauchen Gäste wie Kool Savas oder Manuellsen auf.
Das "Blut"-Kapitel bündelt ihren Zorn. Stoll: "Bei 'Blut' hörst du eine Wut. Die Platte ist sehr stur, aggressiv und voller Energie. Wir nehmen kein Blatt vor den Mund und sprechen die Dinge so an, wie sie sind. Wenn man seine Wut immer nur unterdrückt, dann geht es einem damit nicht besser. Wut kann dich kaputt und depressiv machen." Ein zwiespältiger Ansatz. Wer aus seinem Herzen eine Mördergrube macht, gewinnt in der Tat selten Gesundheit oder Blumentöpfe. Doch in einer ohnehin postfaktischen Ära, in der die Wutgrätsche vom Weißen Haus den heimischen Aluhut-Fan, cordhutige Neurechts-Parteien oder selbsternannte APO-Straßenkämpfer längst zum allgegenwärtigen Bild freidrehenden Grauens wurde, scheint es hieran eigentlich keinerlei Nachholbedarf zu geben. Oder doch?
Entsprechend grobmotorisch geht das Duo hier zu Werke. Statt Rock steht hier zünftiger, handwerklich tadelloser und sehr klassischer Heavy Metal auf der Karte. Dabei zeigen sie deutlich mehr Talent als gängige NDH-Vertreter sowie die üblichen Onkelz- oder Frei.Wild-Schinken. Deutlich näher stehen sie im deutschsprachigen Segment der gelungenen Metalphase von Abwärts ("Herzlich Willkommen Im Irrenhaus") oder der kultisch verehrten Band Schweisser.
Auch textlich kann man ihnen kaum etwas vorwerfen. Freilich darf man weder Rilke noch neue Weisheiten erwarten. Dennoch verirren sie sich nur selten in altbackenen Hülsen typischer Leberwurtst-Lone-Ranger. Stumpfer Antagonismus war ohnehin noch nie ihr Ding. Haudegens Blick bleibt weitgehend individuell und konstruktiv. Als Gast funktioniert Kool Savas besser als Manuellsen. Und mit "Patriot" sowie "Einigkeit, Recht Und Freiheit" verspotten sie rechtsextreme Tendenzen angemessen deutlich und zeigen Rassismus den weltoffenen Stinkefinger.
Teil zwei - die "Schweiß"-Stücke - sind eine Fortsetzung ihres typischen Stadionrocks. Der hymnische Touch liegt ihnen durchaus. Doch songwriterisch bieten sie hier weder Fisch noch Fleisch. Statt voller Melodien gibt es hier nur leere Gesten. Fast alles versackt in inspirationslosen Allerwelts-Nummern, die klingen als wären sie zu Recht verschmähte Überbleibsel der "Lichtbilck"-Sessions. Drama auf Outtake-Niveau funktioniert nicht. Übrig bleibt "Blut Schweiß und Gähnen". Jenseits der beinharten Fanriege kann man diesen Mittelpart niemandem empfehlen.
Im letzten Drittel steigt die Formkurve wieder deutlich an. Große Gefühle regieren. Während zu viele ihre überbordende Emotionalität zynisch als Heulsusentum brandmarken, pfeifen Hagen und Sven auf derlei Spott und legen noch eine Empathie-Schippe drauf. Dafür bauen sie ein Gleisdreieck aus Balladen, Liedermacherei und Schlager. Der schlagereske Anteil orientiert sich dabei zum Glück mehr an der Autherntizität von Udo Jürgens als an Helene Fischers Gefühlsimitaten. Die Liedermacher-Elemente sind besonders textlich erkennbar noch nicht auf dem Level von Ikonen wie Rio Reiser oder Reinhard Mey angekommen, punkten jedoch mit ungekünstelter Echtheit. Spätestens wenn sie in "Einmal Für Mich" auch noch die Chanson-Karte mit dem ihnen gut zu Gesicht stehenden Piano ausspielen, muss man sie einfach gern haben.
4 Kommentare mit 6 Antworten
"Oder doch?"
Die Frage ist doch eher, ob man auf der Art Attitüde nicht in post faktischen Zeiten (vor 7-8 Monaten hätte ich nicht mal das geschrieben) zu viel den Blick lenkt bzw. lenken lässt! Ob das dann auch nur eine Bewertung in Form von Punkten beeinflusst, mag ich nicht sagen. Ausgeschlossen ist das jedenfalls nicht.
Das Album gefällt mir auf Anhieb, mal schauen ob es länger anhält. Kannte die noch nicht.
interessanterweise würde ich mich bei stoll dafür verbürgen, dass es keine attitüde ist. deren emotionale aggregatzustände sind schon sehr echt. das habe ich auch im direkten kontakt bemerkt. die sind eben - wie wir alle - mal angepisst, mal traurig, mal fredudestrahlend. und jede momentaufnahme gebiert einen song.
wäre das eine reine marketingkonzeptionelle attitüde, hätten die ja bei warner bleiben können statt den steinigen weg des eigenvertriebs zu gehen.
Festhalten, bei einem Major ist die Wahrscheinlichkeit in sagen wir Förmchen gepresst zu werden, größer, als wenn man sein Ding macht! Sprich, deine Folgeverkettung, das mit Frei.Wild hätte auch denen passieren können? Gibt es eigentlich gute Major´s? Meine Antwort, nein. Leider nein, dabei ist alles denkbar und dann gerade kreativ.
so lustig (und auch inhaltlich durchaus richtig) ihr frei.wild diss auch ist... man darf nicht vergessen, wer hier derjenige war, der 2010 auf den deutschrock-zug aufgesprungen ist, weil mit Hiphop nichts (mehr) verkauft wurde
aber ich finde es gut, dass Manu landser und störkraft respektieren kann
eigentlich war das gar nicht als diss gemeint. eher als reine klarstellung. der metal klingt doch tatsächlich mehr nach schweißer oder classic metal. ebenso klingt haudegens rock mehr nach deutschrock marke klaus lage als nach den gängigen baukastenformaten der gegenwart. die sind eben mehr schimanski als weidner.
ja, das sei ihnen ja auch gegönnt. ich bin fan des crossover gedankens. von mir aus können ruhig noch mehr rapper rock sachen machen und rocker dann dafür rappen.
Aber dieses (medienwirksame)shooten gegen frei.blöd bei den linksversifften kulturmarxistischen noisey spasten war schon sehr inszeniert und jenny rostock-level.
Nein, natürlich werden wir von Hagen Stoll keine Bilder finden, wie er die Sonne grüßt. Dafür habe ich zwei tonträger da, wo er mehrfach erwähnt, er habe früher regelmäßig "fidschis/vietnamesen geklatscht" obs das jetzt so viel besser macht
und die distanzierung davon ist schon sehr f.w. mäßig
KLar, Stoll war Hooligan aus dem Plattenbau. Frei.wild kommen aus der ländlichen Mittelschicht. die kredebiler und glaubhafter ist stoll schon...aber rein zufällig hat er halt genau dann angefangen deutschrock zu machen, als er mit hiphop nichts mehr verkaufen konnte (berliner rap wurde abgelöst von nrw und ffm) und deutscher rock/hardrock durch die decke ging, kommerziell
kredebil/ kredibil :
Frei.Wild,Klaus Lage, BAP, Schweißer,Helene Fischer, Reinhard Mey und immer wieder Onkelz!
Schon lustig was da alles bemüht wird um Haudegen zu beschreiben.
Für mich einfach nur zwei tätowierte Bierplautzen die wahnsinnig viel rumheulen. Allerdings musikalisch ansprechend verpackt was aber nicht der Verdienst der Beiden ist.
Halt die Wildecker Herzbuben der Deutschrockszene um der obigen Liste noch einen Namen hinzuzufügen.
Musik für Plattenbaumuttis die sich freuen, wenn Ingo mit dem juten Henkel-Trocken und nem Straus Rosen vom Norma zum Königsberger Klopse essen vorbeikommt.
Musik für Kalles vom Bau, die das Leben zwischen Dosenravioli und Schlossbräu Dosen einfach abfucked, aber lieber kämpfend sterben, als kniend leben. Rein Symbolisch natürlich.