laut.de-Kritik
Brenn, Weihnachtsmann, brenn!
Review von Rinko HeidrichDu bezeichnest Weihnachtsmärkte als dein zweites Zuhause, isst auch bei 35 Grad Lebkuchen und dekorierst schon Mitte das Büro mit singenden Nikoläusen? Dann dürfte die Musik von Health absolut nicht auf deiner "Christmas In The Heart"-Playlist landen, mit der du die Kolleg:innen auf der X-MAs-Party jedes Jahr auf's Neue begeistert. Der polterige Industrial-Sound spricht seit nun schon 15 Jahren verstärkt die Menschen an, die ab Anfang Dezember in Survival-Modus schalten und dem dicken Klaus alljährlich den Fall vom Dach samt Genickbruch wünschen. Tür zu, Rollläden runter und Max Payne 3 zocken. Genau für diesen grimmigen Shooter spielte die Band aus Los Angeles einst einen psychedelischen Electro-Score ein. In einem Drogenrausch-ähnlichen Trip ging es mit der Hauptfigur durch einen brutalen Revenge-Plot, was eine perfekte Kombi aus ständigem Adrenalinschub und dem pumpenden Electro-Sound ergab. Ein kurzer Moment in der Popkultur der 10er-Jahre, danach gab es kaum noch nennenswerte Andockmöglichkeiten an den Mainstream, und so bleibt der eigenwillige Sound von Health weiterhin ein Nischenthema.
Auch "Demigods", der Opener ihres neuen Albums "Rat War", fasziniert mit seinen harten Metal-Riffs und der eigentlich zerbrechlichen Stimme von Sänger Jake Duzsik. Seine Tonspur getrennt von dem Song wäre ein lupenreiner Indie-Pop, doch er geht schon fast in der unwirklichen Cyberpunk-Atmosphäre unter, die nahtlos in "Future Of Hell" übergeht. Ein sehr beklemmendes Industrial-Theme, wie geschaffen für eine hoch technisierte Dystopie, in der Menschlichkeit kaum noch vorkommt und im Schatten von Mega-Konzernen Dunkelheit herrscht. Eine düstere Welt des Machtmissbrauchs, während die Unterwelt lieber Krieg gegeneinander führt. Highspeed-Krach, wie gemacht für Videogames. "Major Crimes" landete dann tatsächlich auf dem Soundtrack von "Cyberpunk 2077". Auch "Rat Wars" klingt im Grund genommen wie ein Soundtrack zu einem weiteren Add-On des mittlerweile nun doch erfolgreichen Games. "Hateful", eine brachialer EBM-Bastard, durften die Nutzer des Spiels "Ultrakill" vorab bewundern. Auch hier entstand eine perfekte Symbiose aus Shooter-Nervenkitzel und aggressivem Presslufthammer-Geschredder.
Nun sind diese harte Boller-Beats im Kosmos keine Ausnahme, um so erstaunlicher der groovige Metalcore-Einsatz zu Anfang von "Children Of Sorrow". Das kurze und knackige Riff stammt von Lamb of Gods Willie Adler, ebenso greift die Band auf "Sick" fremde Einflüsse, respektive ein Sample von Godflesh "Like Rats" auf. Deren Sänger beklagte schon Mitte der Neunziger die Abwesenheit von Mut im rückwärtsgewandten Rock-Genre und sah nur noch Elektronic und Hip Hop als Gegenwartsmusik. In diesem Sinne gehen auch Health vor und möchten hörbar irgendwas anstoßen und emotionalisieren. Das sollte jedenfalls passieren, wenn sie als Support-Act von Sleep Token auf ein Publikum mit mehr Pop-Affinität treffen. Es ließe sich natürlich kritisch anmerken, das in ihrem Trademark-Sound langsam eine gewisse Wiederholung Einkehr hält, aber dieser Stil bleibt wie schon 2009 immer noch einzigartig.
Wie der finale Track "Don't Stay" beweist, bleiben sie nicht nur auf der Brutalo-Schiene hängen. Diese kleine Ambient-Ballade und das ähnlich ruhige "Of Being Born" legen noch einmal eine Verletzlichkeit frei. Health vermitteln hier wirklich eine todtraurige Stimmung, die nicht aufgesetzt klingt. Es bereitet nicht wirklich Freude, solche niederschmetternden Lieder zu hören, aber darum ging es bei Health auch nie.
"Rat Wars" nimmt all die negativen Gefühle auf und erzeugt daraus eine Kraft, die manchmal schmerzhaft, aber auch heilsam wirkt. Die schönste Beschreibung dieser Musik kommt zum Schluss von Health persönlich: "It's The Downward Spiral for people with at least two monitors and a vitamin D deficiency." Brenn, Weihnachtsmann, brenn.
4 Kommentare mit 8 Antworten
Tür zu, Rollläden runter und Max Payne 3 zocken.
Los, mach die Mille endlich voll für unseren Marvin: https://www.youtube.com/watch?v=ue3kfclhVCQ
oder natürlich auch die 2022 Version für Elden Ring
https://www.youtube.com/watch?v=T4n6eDJSvqc
Hatte es schon im Sleep Token Konzertbericht geschrieben: mir erschließt sich bei Health leider null, warum ich mir das anhören sollte. Musikalisch wird da einiges aufgefahren, nur um dann im immer gleichen, monotonen Gesinge zu enden. Zumindest habe ich das live so empfunden.
Ein Album ist aber kein Live Auftritt. Wird leider häufig verwechselt.
"The Downward Spiral" für Leute, die keine Ahnung haben, was "The Downward Spiral" ist. Ernsthaft - das ist kompletter Szenestandard ohne irgendwelche Highlights oder Besonderheiten. Sowas könnte man auch locker eine AI generieren lassen.
War auch mein Gedanke. Da wäre sogar dem Highlander seine Zeit zu schade.
Trent Reznor sieht das offenbar anders. Zumindest sind sie ihm für ne Zusammenarbeit gut genug.
Ist der noch relevant?
Klar, sonst würde er Outmodet Reznor heißen.
Schön, daß die sich so gut verstehen. Großmeister Trent können Health aber null das Wasser reichen. El Rezzo steht ja für Abwechslung, Health für komplette Gleichförmigkeit.
@chris I see what you did there.
Nach mehrmaligem Anhören des Albums muss ich sagen, dass es in der Tat wie eine Mischung aus NIN (grundlegende Stoßrichtung des Sounds) und Cigarettes After Sex (repetitives Gejammere) klingt.
um es mit Marty McFly`s Mutter zu halten... das war eine sehr interessante Musik.... oder so ähnlich. Habe sie live im Rahmen des Sleep Token Konzerts gesehen. Dachte die ganze Zeit der Gesang wäre einfach nur schlecht gemixt, aber das klingt leider digital auch so als hätte man eine alte Kassetten Aufnahme von Neil Tennant hinzugefügt. 3 Sterne sind aber schon sehr wohlwollend....