laut.de-Kritik
Gelungene Häutung: Evergreens auf Englisch.
Review von Ulf KubankeErst Blitzkrieg, zuletzt Tokio Hotel und nun Greenmeyer's Presswehengesang für die Briten und den Rest des Planeten. Deutschland hatte eben schon immer recht spezielle Ideen, um die Welt in Atem zu halten. Für Grönemeyer hingegen stellt es es einen ebenso konsequenten wie gelungenen Schritt in die einzig verbleibende Richtung dar, seine allgegenwärtigen Evergreens nun in Englisch zu präsentieren. Das Ergebnis fällt amüsanter als erwartet aus.
Hier, in der heimatlichen Wahrnehmung zwischen verdienter Popikone, Kultschauspieler und mitunter etwas belächeltem Deutschrockdino, gibt es keine Herausforderungen mehr. HGs schicker "The American"-Soundtrack für Corbijn, seit Jahren sein direkter Londoner Nachbar, hat auch lediglich international für Anerkennung gesorgt. Warum also den Fokus nicht einmal verlagern?
Nach mehr als einer Dekade in swingin' London klingt das Englisch des gebürtigen Göttingers erheblich besser als bei seinen ersten angelsächsischen Gehversuchen zwischen 1979 und 1988. Absolut kein typisch blecherner 'ze Djörmenz'-Akzent im Vortrag. Wer die englischsprachigen Lieder von Element Of Crime bis Nena kennt, weiß die zu Recht berühmte handwerkliche Professionalität 'Leutnant Werners' hier als sehr nervenschonend zu schätzen.
Versetzt man sich ein wenig in den einzig fairen Blickwinkel aus Sicht des Vereinigten Königreichs, mithin den von Menschen, die jedes Lied erstmalig hören, bekommt man ein erfrischendes Popalbum in beeindruckender Qualitätsdichte. Die Bandbreite reicht an den Rändern von Rock bis hin zu jenen kammermusikalischen Minimalismen, die er in seinen besten Momenten seit jeher wie Asse aus dem, Ärmel schüttelt.
"Keep Hurting Me" markiert einen dieser Höhepunkte. Ein Arrangement, so schwelgend, zart und schmerzerfüllt wie die "Songs Of Love And Hate" Leonard Cohens. Daneben ein schönes Ausrufezeichen an all jene, die den vielseitigen Künstler gern zum antiquiert "Männer" knödelnden Stadionpopclown mit politisch erhobenen Zeigefinger degradieren.
Wie eine Axt hackt der Deutsche sein Stakkato-verliebtes Organ in die Sprache, die auch das Scat Singing hervorgebracht hat. Ein glücklicher Umstand. Die vollkommen neue Art, mit der der gute Herbert die markant schroffe Stimme als Anglo-Rhythmusinstrument einsetzt, verleiht vor allem den schnelleren Momenten einen anderen Charakter als ehedem.
Damit glückt ihm etwas, das den meisten anderen Showbiz-Kollegen - von "99 Red Balloons" bis aktuell dem neuen Ästhetikverbrechen von Chris de Burgh - versagt blieb: eine inspirierte Interpretation des eigenen popkulturellen Allgemeinguts. Das bringt im Ergebnis eine entsprechend gelungene Variation der Ausgangslieder hervor, die künstlerisch nicht für die Tonne ist. Gelungene Häutung nach dreißig Jahren, ohne sich untreu zu werden. Chapeau!
Keine Sekunde beleckt der Pesthauch schablonesker Binnenmarktproduktionen den Sound. Grönemeyer verzichtet wohltuend auf jede Anbiederung an trendy Modernismen, agiert dabei abgezockt genug, um smarte Zeitlosigkeit zu verströmen, weit entfernt von altbackener Patina. Dazu die herzerfüllte Wärme, mit der er "Before The Morning" und sogar das ewige "Flugzeuge Im Bauch" zum Zeugnis echter musikalischer Leidenschaft macht. Im ganzen Brimborium um seine Texte blieb die Wahrnehmung der kompositorischen Klasse vieler seiner Songs ohnehin zu lange als Stiefkind auf der Strecke. Der brandneue Track "Same Old Boys" reiht sich als fast schon Pub-taugliche Litanei hervorragend ins Bild ein.
Der international gehobene Stellenwert des "Currywurst"-Schöpfers zeigt sich in der erlesenen Gästeliste. "To The Sea" feat. James Dean Bradfield lockt mit dem Charme der Manic Street Preachers. Everybody's Drama Queen Antony Hegarty ergänzt das recht neue "Will I Ever Learn" als perfekter Kontrapunkt zu Grönemeyers Timbre (es gibt hierzu kein deutsches Gegenstück). Als drehbuchhaftes Sahnehäubchen zum Schluss natürlich der Übersong "Mensch". Special Guest: Bono, mit dem Grönemeyer seit dem Protestgig beim G8-Gipfel vor Jahren eine innige Freundschaft verbindet.
"Unglaublich freundlich, bescheiden und zurückhaltend" sei die irische Nachtigall, sagt Mr. "Bochum". Die Vocals scheinen Grönes These zu bestätigen: gewohnt samtig im Abgang, indes ohne jedwede unangebrachte Egozentrik. Der scharfe Kontrast in Tonalität und Melodieführung beider Stimmen tut dem manchmal etwas anämisch bis beladen wirkenden Original hörbar gut. Eine neuartig voluminöse Lebendigkeit befreit das Lied endlich vom ihm seit Veröffentlichung stets anhaftenden Betroffenheits- und Requiemcharakter.
Mit "I Walk" macht Herbert Grönemeyer somit mehr richtig, als zu erwarten stand. Die englischen Versionen seiner Lieder stehen künstlerisch absolut gleichberechtigt neben den deutschen Originalen wie beispielsweise seinerzeit bei Kraftwerk. Endlich wieder ein interessantes Lebenszeichen. Für mich: die positive Überraschung des Jahres.
11 Kommentare
wunder mich nur mal so kurz, warum "mensch" nicht zu "human" wurde?
auf sowas stehen die briten doch. der hynkel/goethe/bauhaus faktor
Brrr...Mensch feat. Bono *örks* aber das Duett mit dem Manic Street Preacher-Sänger könnte von den Stimmen her gut passen.
Aber so alte Kamellen wie Flugzeuge... waren doch schon auf seine 80er-Englisch-Platte drauf, oder?
"Currywurst" auf Englisch wäre bestimmt ein Kracher gewesen
jetzt nicht mehr....ich danke dir für dieses bild
erstaunlich erträglich
brrr... nichts für mich.
greeny hat mir das letzte mal im "boot" gefallen.
i'm so sorry - tauche wieder ab.