laut.de-Kritik
Tristesse im musikalischen Überangebot.
Review von Dominik LippeEin gedemütigter Gelegenheitsclown bescherte Warner Bros. 2019 einen der größten Kassenerfolge des Jahres. Stilistisch zwischen Scorseses "Taxi Driver" und "The King Of Comedy" angesiedelt, rückte Todd Phillips den berühmten DC-Widersacher in ein neues Licht. Neben Hauptdarsteller Joaquin Phoenix und den grünstichigen Bildern von Kameramann Lawrence Sher war es insbesondere die Musik, die die triste Erzählung von "Joker" stilistisch zusammenhielt. Die isländische Cellistin Hildur Guðnadóttir erwies sich als wahrer Glücksgriff, um der lebensfeindlichen Welt Gotham Citys Ausdruck zu verleihen.
Todd Phillips sah das wohl ähnlich. Ihre Musik sei "im Grunde die zweiwichtigste Figur im ersten Film" gewesen, gestand der Regisseur zum Start der Fortsetzung ein. Und auch Joaquin Phoenix betonte, sein Joker und der Score der Isländerin seien "sehr eng miteinander verbunden". "Ich glaube, ich habe die Figur gefunden, als ich am Set ihre Musik hörte, während die Dreharbeiten liefen", erzählte er Pinkvilla, "Und es ist immer ein ganz besonderes Gefühl, wenn etwas auf diese Weise lebendig wird und auf Film festgehalten wird." Früh habe festgestanden, Guðnadóttir für die Fortsetzung ins Boot zu holen.
"Ich kann nur sagen, dass es jede Menge Musik geben wird", kündigte die Komponistin im Vorfeld an. Tatsächlich begleiten gleich drei Alben "Joker: Folie À Deux". Neben Guðnadóttirs neuem Score erschienen das Begleitwerk "Harlequin" von Co-Star Lady Gaga sowie ein Soundtrack-Album, das ihre Duette mit Joaquin Phoenix enthält. Denn tatsächlich hat Todd Phillips auf seinen psychologischen Thriller "Joker" einen Film folgen lassen, der über weite Strecken als Jukebox-Musical daherkommt. So singen und tanzen sich die beiden Stars durch "To Love Somebody" oder "(They Long To Be) Close To You".
Die Chuzpe Phillips' ist bewundernswert. Im Ergebnis hat sie zudem den positiven Nebeneffekt, allzu toxische Anhänger des ersten Teils erfolgreich zu vergraulen. Und doch misslingt der Film, denn die häufigen Gesangseinlagen, die auch noch um weitere eingebaute Songs wie "That's Life" von Frank Sinatra oder "That's Entertainment" von Fred Astaire und Oscar Levant erweitert werden, stehen fortwährend in Konkurrenz zum Score. Und mit ihrem feinfühligen Halldorophon, eine in Island entwickelte und vor allem dort verwendete Art E-Cello, unterliegt sie der knalligen Inszenierung.
"Joker: Folie À Deux" folgt Arthur Fleck in seinem Gefängnisalltag und vor Gericht. Nachdem er zuletzt in "Napoleon" als Fehlbesetzung des Jahrzehnts zu sehen war, hat sich Phoenix wieder auf Oscar-Niveau runtergehungert. Das ironisch betitelte "It's Showtime" begleitet seine Figur beim morgendlichen Gang durch die Gänge des Arkham Asylums. Das Dröhnen des Cellos knüpft an den schicksalsergebenen Sound des ersten Teils an. Halleffekte unterstreichen seine Vereinsamung. Doch schon "That Dumb Laugh" oder "Same Ol' Joker" gehen kaum über trostlose Hintergrundbeschallung hinaus.
Fleck darf sich einer Gesangsgruppe aus Insassen anschließen, in der er Lady Gagas Charakter kennenlernt. Schon am Ende ihrer ersten Unterhaltung setzt das musikalische Überangebot ein. Eben ging es noch um die Vorzüge von Mord und Totschlag, schon stimmt die angehende Geliebte des Jokers "Get Happy" an. Harley Quinn interessiert sich für sein "wahres Ich", das sie in der öffentlichen Persona auszumachen meint. Damit untergräbt sie die Bemühungen von dessen Anwältin, die den kranken, unter einer "psychischen Spaltung" leidenden Mann vor Gericht herausarbeiten möchte.
Es mag als "Trial Of The Century" erachtet werden, Guðnadóttirs hochgestochen betitelte Stück schleppt sich letztlich nur genauso desorientiert dahin wie der zugrundeliegende Film. Es fehlt ihr der Raum, um große Aufschläge wie den "Bathroom Dance" unterzubringen. Eine besonders konfuse Szenenfolge beginnt mit der großen Musicalnummer "Gonna Build A Mountain". Anschließend fährt Fleck unter Begleitung von "Dancing In The Moonlight" von King Harvest zurück in die Anstalt, wo dann Guðnadóttir wieder ganz kurz Abgründe eröffnen darf, während Wachen den Angeklagten misshandeln.
Eigentlich müsste an dieser Stelle das Gesundheits- und Gefängnissystem hinterfragt werden. Stattdessen folgt ein weiterer Bruch, indem sich nun Lady Gaga in einer Soloszene schminkt und dazu "I've Got The World On A String" singt. Erst mit dem Schlussplädoyer holt sich die Cellistin die atmosphärische Gestaltung zurück. "Knock Knock" versinkt nachdenklich im Seelenschmerz Flecks, den seine selbstbewusste Zweitpersona Joker nur kurzzeitig zu überdecken vermochte. "That's All, Folks" beschränkt sich auf schwaches Herzklopfen, bevor "Old Neighborhood" wieder zum ersten Teil zurückkehrt.
"Joker: Folie À Deux" will sich von der eigenen Anhängerschaft distanzieren und die vermeintliche Kultfigur auf Fleck-Niveau zurückschrumpfen, verliert dabei aber völlig die innere Balance. Statt die tieftraurige Musik mit Musicaleinlagen wetteifern zu lassen, wäre es wohl geschmeidiger gewesen, gleich All-In zu gehen und gänzlich auf die Musical-Form zu setzen. Mit diesem Ansatz hätte der Joker weitgehend in seiner Traumwelt bleiben können, in der er eine beliebte Bühnenfigur darbietet, während sich die ohnehin bekannte, triste Realität hinter dem Vorhang verborgen hätte.
2 Kommentare mit 3 Antworten
Faszinierende rise-and-fall Studie
Echt, DA hat Hildur was für zusammengeklöppelt? Obwohl die Gaga durch schauspielerisches Engagement quasi auch für den Soundtrack gesetzt gewesen sein wird?
Hmpf. Werde aus reinem Interesse mal drüber hören, aber so was hat die Hildur doch an und für sich überhaupt nicht nötig - die Klanglandschaften und Soundkosmen, die sie webt, brauchen keine filmische Vorlage: Die Filme dazu entstehen beim Hören ganz von selbst in deinem Kopf... also, bestenfalls. Ergebnisse können in Abhängigkeit zum individuellen Vorstellungsvermögen unterschiedlich ausfallen.
Ach, im ersten auch schon? Stimmt, da scheppert dumpf irgendwas in den unteren Schichten meines Neokortex...
...damn, ich bin in Sachen Popcorn-Kino so dermaßen abgehängt worden die letzten 15 Jahre... Jetzt kann wohl nur noch Schwingos Medienkompetenztrainingszentrum mich davor bewahren, dass ich diese Wahrheit™ für einfach alle ständig bemerkbar wie Hesses Demian als Kainsmal auf meiner Stirn vor mir her trage...
Mein Vorstellungsvermögen ist groß genug, um mir schön einen auf die Amigos abzuwedeln.
Film natürlich, mehr noch als der erste Teil, saudummer Schmonz.
Der Film ist auch vollkommen fehlbesetzt. Bernd Ulrich hätte sicher den besseren Joker abgegeben.