laut.de-Kritik

Over-the-top-Balladen für ein Leinwand-Gemetzel.

Review von

Irgendwie lustig: Obwohl jeder Gagas Peak an den Anfang der Zehnerjahre sortieren würde, sind jetzt ihre zahlenmäßig größten Songs unter anderem der Soundtrack-Song "Shallow" und die Bruno Mars-Kollabo "Die With A Smile". Ja, die jetzt gerade im Radio läuft. Verrückt, oder? Dabei ist sie immer dann am wenigsten interessant, wenn sie den Boomern gibt, was sie wollen. "Lady Gaga, der gute Popstar, weil die ja Jazzgesang studiert hat. Die kann wirklich singen! Die braucht kein Autotune, das ist eine wahre Künstlerin!"

Entsprechend mag Lady Gagas Album Nummer sechseinhalb zwar ein kommerzielles, sicher aber kein kreatives Risiko darstellen. Im Rahmen des neuen "Joker"-Films, in dessen Harley Quinn-Rolle sie sich die letzten Jahre methodisch versetzt hat, liefert sie ein Begleitalbum voller Cover aus dem großen, amerikanischen Songbook. Es ist ein abartiger Theatre Kid-Move, aber im Ergebnis wenn auch beeindruckend, nicht besonders interessant. All die Songs fühlen sich an, als warten sie eigentlich nur darauf, im tatsächlichen Film mit irgendeinem Gemetzel kontrastiert zu werden. Aber ohne das Bewegtbild in der Juxtraposition bleibt "Harlequin" ein Album an Aufgaben, die einer Sängerin von Gagas Kaliber wie Aufwärm-Fingerübungen erscheinen dürften - und das interessanteste daran bleibt, dass sie viele alte Songs gefunden hat, die Clowns und Spielkarten thematisieren.

Schon die Eröffnung "Good Morning" macht eigentlich klar, was wir vor uns haben: Ein Dreißiger-Soundtrack-Song von Judy Garland, den die meisten vermutlich aus dem Film "Singing In The Rain" von 1952 kennen. Das Arrangement kommt cineastisch, aber auch sehr glanzvoll. Ohne den Vintage-Effekt der alten Recordings könnte man fast so weit gehen zu sagen, dass das alles ein bisschen steril und nichtssagend klingt. Killt Gaga die Vocals? Natürlich. Aber am Ende des Tages sagt die über Retro-Brass auch nur zehn mal am Stück "Guten Morgen".

Vielleicht ist es den Big Band-Geeks überlassen, die kleinen Wagnisse zu untersuchen. Wer hart im Game ist, wird sicherlich unerhört und gewagt finden, dass da in "Oh, When The Saints" ein ganz freches Gitarrensolo einsetzt. Klingt stabil, die verschiedenen Tonarten, durch die der Track sich bewegt, festigen sicher auch jene jazzige Kredibilität, die Gaga schon in ihrer Arbeit mit Tony Bennett bewiesen hat. Dennoch ähnelt das Gefühl jenem, als Beyoncé für ihr großes Country-Crossover ein Cover von "Jolene" voraus schickte: Die Wahl muss wirklich offensichtlich sein, so dass es auch für die allerletzte genrefremde Person Sinn macht. Die Hälfte der Songs auf diesem Album gingen wahrscheinlich schon durch die dreckigen Hände von allen amerikanischen High School-Orchestern. Wirklich frisch und gewagt fühlt sich das alles nicht an.

Retro-Pastiche ist eben schwer. Gaga kann sich ans Revers heften, dass ihr Wiederauflebenlassen dieser Showtunes immerhin um Welten stilvoller und ehrgeiziger daherkommt als der 50er-Doowop-Kitsch einer Meghan Trainor. Aber es gibt andere Alben, die diesen Sound deutlich spannender zurückholen. Vergleicht man es zum Beispiel mit "Modern Times" von IU, dann finden sich dort wesentlich spannendere Querverweise, interessanter zusammengeschusterte Soundideen und einfach die generelle Stärke, eigene Songs zu machen.

Am Ende ist es eben doch vor allem eine Projektionsfläche für Gaga, ihre Vocals in Over-the-top-Balladen zu flexen. Und sie machen die Balladen eben nicht mehr so groß, wie sie es auf "Smile", "That's Life" oder "Close To You" machen. In den großen Zeiten, in denen Hollywood noch Heilsversprechen und Herz des amerikanischen Traums war, gab es wohl einfach noch ganz andere Größenverhältnisse dafür, Pathos und Lebensweisheiten in Songform zu gießen. Gaga stellt sich dem vermutlich so gekonnt wie kaum eine andere ihrer Generation. Aber überflügelt sie die Originale? Wohl kaum. Sogar ihre Eigenkomposition "Happy Mistake", melodisch wirklich traumhaft schön, weht in so gekonnter Camouflage durch das Restsortiment, dass es zwar Lob verdient, wie wenig es heraussticht. Aber es macht doch nicht das Gefühl, etwas Neues gehört zu haben.

Sicher werden die Songs im Film ganz andere Synergien entfalten, die feine Ironie der Songzeilen, die tollen Kontraste. Aber das ist eben das Problem an diesem Album: Es fühlt sich wirklich durch und durch wie ein Begleitstück an, das die ganze Zeit darauf wartet, dass es von etwas anderem aktiviert wird. Hört man es für sich stehend, dann ist es ein handwerklich großartiges Stück Audio-Screensaver, so beeindruckend, wie es nichtssagend ist. Gaga kann wirklich singen. Aber das hat keiner in Frage gestellt. Die große Frage ist doch: Was macht sie aus diesem Talent?

Trackliste

  1. 1. Good Morning
  2. 2. Get Happy (2024)
  3. 3. Oh, When The Saints
  4. 4. World On A String
  5. 5. If My Friends Could See Me Now
  6. 6. That's Entertainment
  7. 7. Smile
  8. 8. The Joker
  9. 9. Folie à Deux
  10. 10. Gonna Build A Mountain
  11. 11. Close To You
  12. 12. Happy Mistake
  13. 13. That's Life

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1 Kommentar mit 7 Antworten

  • Vor einem Monat

    "Die große Frage ist doch: Was macht sie aus diesem Talent?"

    Vermutlich wieder Popdreck, das war irgendwie immer die Antwort, wenn es zwischendurch mal zu arthousig wird. Dabei kam da seit dem übergrossen "Poker Face" eigentlich nur aufgewärmtes.

    Mit dem, was die Frau musikalisch drauf hat, könnte man das aktuelle Gen-Z - Feld nochmal von hinten auf- wenn nicht gar überrollen. Aber dafür stehen wahrscheinlich einfach die falschen Leute im Team und pochen ein weiteres mal auf queere Grossraumdisko und Maskenball.