laut.de-Kritik

Teenagerinnen-Musik, niedlich und schwerelos.

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Vielleicht spricht es nicht für aktuelle Aufmerksamkeitsspannen, wenn man einem Debüt-Projekt von neun Minuten gleich noch einmal als eine Sped-Up-Version hinterherliefert. Ich mein, wer hat schon die Zeit? Nein, ich weiß natürlich: "Super Real Me" ist die nächste konsequente Evolutionsstufe davon, wie sich TikTok als dominierendes Medium im K-Pop-Songwriting niederschlägt. Die nächste, nachdem NewJeans musikalisch das ganze Genre-Gebäude abgerissen und zum Neuaufbau freigegeben haben. ILLIT kommen nun frisch vom selben Label und zeigt – diese kontinuierliche Reduktion kann durchaus auch fruchtbar sein.

Der Matchwinner ist natürlich allen voran der Titeltrack "Magnetic", der thematisch wie in Sachen Präsentation relativ klar an die Schwesterngruppe anknüpft: Das ist Teenagerinnen-Musik, cutesie, schwerelos. Es hat im Video ein verdammtes Sailor Moon-Motiv. Wunderbar. Tatsächlich hören in Optik und Branding die NewJeans-Vergleiche aber schönerweise auch schon bald wieder auf, denn das einzige, was "Magnetic" mit "Super Shy" zu tun hat, ist der endlose Wiederholungswert.

Ja, es ist schon wieder ein Song zum Darauf-Kleben-Bleiben. Er gehört zur besten Britney Spears-"Toxic"-Schule der Songs, mit denen man sein Schritttempo instinktiv erhöht. Das ist Speedwalk-Pop. Rechnet 25% von der Google Maps-Laufdauer runter, wenn ihr diese EP hört. Musikalisch drängt sich natürlich auf, dass die futuristischen Synth-Motive mit diesem unwiderstehlichen Bass-Bounce wirklich ein bisschen wie sich an- und abstoßende Magneten klingen.

Es ist interessant, weil man durchaus merkt, dass hier ein ähnlicher Pop-Ethos wie hinter NewJeans steht – der Song ist lowkey, unaufdringlich, aber trotzdem sehr markant. Aber die musikalischen Ideen, derer er sich bedient, sind ganz andere. Thema TikTok: Das ist ja seit je her dafür berüchtigt, die Nostalgiespirale zu beschleunigen, und so wundert es nicht, dass dieses ILLIT-Debüt hart in die Nostalgie für die 3. Generation des K-Pops schlägt. Der Song ist im Schnitt ein wenig tighter, aber musikalisch schwingt hier viel vom Sound zwischen 2016 und 2018 mit. LOONA Odd-Eye-Circle, "Love Cherry Motion", quasi all die Sachen, die in der Zeit ein wenig vom Girl Crush-Hype verdrängt worden sind.

Und das ist definitiv ein schönes musikalisches Wiederauflebenlassen, vor allem, weil es sich so konsequent durch dieses Projekt zieht: "Midnight Fiction" knüpft trotz des sehr Taylor Swift-esken Titels klar an "Magnetic" an – und mir ist dabei eins klar geworden: Die interessante Spannung an ILLIT ist eine untypische: Das Einzigartige an ihrem Sound ist, dass sie eine sehr unterschwellige, beiläufige Stimmung mit musikalisch überraschend maximalistischen Mitteln erzeugen. Auch "Lucky Girl Syndrome" und "My World" haben diese Eigenschaft, dass relativ viel im Mix passiert.
Es brauchte wohl ein geniales Mixing-Hirn, damit diese Beats nicht in sich selbst versinken.

Aber irgendwo ist das eben die anfangs erwähnte positive TikTok-ness von ILLIT: Als NewJeans 2022 "NWJNS" veröffentlicht haben, endete das Wettrüsten um die größte und lauteste K-Pop-Abrissbirne. ILLIT definiert dieses neue Meta wohl als etwas aus, das aus einer Balance von geschmacklich coolen und gekonnt verbauten Verweisen in möglichst reduzierte, prägnante Tracks lebt.

"Super Real Me" zeigt, dass das durchaus eine Formel mit Potential sein kann: Es baut in die Karosserie eines etwas älteren K-Pop-Sounds einen neuen Motor ein. Und vielleicht möchte man Musik verschreien, die so kurzweilig und anschmiegsam ist, dass sie einem das Denken und Reagieren quasi aus der Hand nimmt. Das ist ja die TikTok-Logik daran: Overstim-Pop wie die Videos, in denen fünf Sachen gleichzeitig passieren. Aber wenn wir schon in der Ära der Overstimulation leben, macht doch wenigstens irgendwas draus, das es vom Handwerk zur Kunstform erheben könnte.

Trackliste

  1. 1. My World
  2. 2. Magnetic
  3. 3. Midnight Fiction
  4. 4. Lucky Girl Syndrome

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