laut.de-Kritik

Get in the ring, motherfucker.

Review von

Verschwitzt und verbunden steht Iggy Pop an der Wand, wie ein Boxer, der gerade den Kampf seines Lebens bestritten hat. Die Haut straff und die Muskeln gemeißelt, zeugen lediglich die Furchen in seinem Gesicht vom fortschreitenden Alter. Auch der Blick ist immer noch der gleiche – stechend, tiefgründig, wild, aber irgendwie doch nicht Angst einflößend. Das war bei ihm schon immer so: Einerseits fordert er in seinen Zuhörern den Schweinehund heraus, andererseits scheint er stets nach Schutz zu suchen.

In seiner Karriere dürfte er weit mehr als eine Million an Preisgeldern eingesteckt haben, weshalb der Untertitel des Albums kryptisch wirkt. Fest steht, das es einen ausführlichen Blick in sein Schaffen bietet, von seinem Debüt mit den Stooges 1969 bis hin zum 2003 veröffentlichten "Skull Ring", auf dem neben seinen alten Kumpels auch die Jungspunde von Sum 41 zugange sind.

Erstaunlich, wie gut sich seine Stücke behauptet haben. Die Gitarre von "No Fun" und "I Wanna Be You Dog" klingt 2005 – ganze 36 Jahre nach der Veröffentlichung – immer noch erstaunlich fies. Leder, Blut und Schweiß sind aus den ersten elf Stücke deutlich herauszuhören. Man sich gut vorstellen, wie sich Pop auf der Bühne mit Rasierklingen und Glassplittern den Oberkörper aufschlitzte und das Publikum in Ekstase trieb. "Search And Destroy", eben.

Mit "Nightclubbing" begann 1977 nicht nur Pops Solokarriere, sondern auch eine fruchtbare Freundschaft mit David Bowie. Die beiden zogen nach Berlin und arbeiteten an gemeinsamem Material. Der Rest von CD 1 und das erste Stück von CD 2 stammen aus den Alben "The Idiot" und "Lust For Life", die mit "The Passenger" und dem Trainspotting-Titeltrack "Lust For Life" die zwei bekanntesten Stücke Pop enthalten. Mit dabei ist auch die Originalversion von "China Girl", das Kumpel Bowie in den 80er Jahren zu einem seiner größten Erfolge verhalf.

In der ersten Hälfte der 80er Jahren sank der Stern des Sängers vorübergehend. "I'm Bored" hieß bezeichnenderweise eines der Stücke jener Zeit. Erst 1986 fand Pop mit seinem siebten Soloalbum "Blah Blah Blah" und der Single "Real Wild Child" den Weg zurück in die Charts. Seitdem gilt er als Ikone des Punk, des Garage, des exzessiven Rockers. Ein Image, das er zu gut zu pflegen weiß. Einerseits gibt er den Charmeur, der Duette mit Kate Pierson von B-52s ("Candy"), Debbie Harry von Blondie ("Well Did You Evah!") und Françoise Hardy ("I'll Be Seeing You") aufnimmt, andererseits spielt er das ungezügelte Bühnentier, wie das 1993 bei einem Konzert in Irland aufgenommene "T.V. Eye" zeigt.

Pops größter Coup im neuen Jahrtausend ist wohl die Stooges-Reunion 2003 (das abschließende "Skull Ring"). Sein interessantestes musikalisches Werk stammt jedoch von 1999, als er "Avenue B" aufnimmt. "Corruption" und "I Felt The Luxury" geben nur bedingt den Schmerz wieder, den Pop in ungewohnt nachdenklichen Tönen auf Platte bändigte. "Mask" vom Nachfolger "Beat 'Em Up" (2002) beweist, dass er schnell wieder zur alten Rohheit fand.

Die zwei Facetten des Iggy Pop kommen auf der empfehlenswerten DVD "Live At Avenue B" zum Vorschein. Erhältlich ist sie sowohl in einer Sonderausgabe mit den CDs als auch einzeln. Im Dezember 1999 in einem berstenden Club in Brüssel aufgenommen, enthält sie Stücke vom damals neuesten Album und auch seine größten Erfolge aus der Vergangenheit. Faszinierend, wie die tieftraurigen "No Shit" und "Nazi Girlfriend" nahtlos in die gewaltigen "Espanol", "Raw Power" und "Search And Destroy" übergehen. Ein mitreißender Auftritt, der mit Richard Berrys zigfach gecovertem "Louie, Louie" nach knappen 90 Minuten zu Ende geht.

Das ohnehin üppige Angebot verfeinert die aufwändige Verpackung. Im dicken Booklet finden sich zwischen detaillierten diskographischen Angaben auch Aussagen von Freunden und Kollegen. Die charmanteste stammt von Leonard Cohen. "Iggy Pop has a physique to rival my own" gibt er – sicherlich schmunzelnd – zu Protokoll. Das ist dann doch eine Überraschung: Wenn etwas in Pops musikalischer Welt fehlt, dann ist es das Lachen. Eher steigt er wieder in den Ring, um den nächsten Kampf anzuzetteln.

Trackliste

CD 1

  1. 1. 1969
  2. 2. No Fun
  3. 3. I Wanna Be Your Dog
  4. 4. Down On The Street
  5. 5. I Got A Right!
  6. 6. Gimme Some Skin
  7. 7. I'm Sick Of You
  8. 8. Search And Destroy
  9. 9. Gimme Danger
  10. 10. Raw Power
  11. 11. Kill City
  12. 12. Nightclubbing
  13. 13. Funtime
  14. 14. China Girl
  15. 15. Sister Midnight
  16. 16. Tonight
  17. 17. Success
  18. 18. Lust For Life
  19. 19. The Passenger

CD 2

  1. 1. Some Weird Sin
  2. 2. I'm Bored
  3. 3. Pleasure
  4. 4. Run Like A Villain
  5. 5. Cry For Love
  6. 6. Real Wld Child (Wild One)
  7. 7. Cold Metal
  8. 8. Home
  9. 9. Candy
  10. 10. Well, Did You Evah!
  11. 11. Wild America
  12. 12. T.V. Eye (Live At The Feile Festival, Ireland)
  13. 13. Look Away
  14. 14. I'll Be Seeing You
  15. 15. Corruption
  16. 16. I Felt The Luxury
  17. 17. In The Death Car
  18. 18. Mask
  19. 19. Skull Ring

Live At Avenue B (DVD)

  1. 1. No Shit
  2. 2. Nazi Girlfriend
  3. 3. Espanol
  4. 4. Raw Power
  5. 5. Search And Destroy
  6. 6. Shakin' All Over
  7. 7. Corruption
  8. 8. Real Wild Child (Wild One)
  9. 9. I Wanna Be Your Dog
  10. 10. I Felt The Luxury
  11. 11. Home
  12. 12. Lust For Life
  13. 13. The Passenger
  14. 14. Cold Metal
  15. 15. Avenue B
  16. 16. TV Eye
  17. 17. I Got A Right
  18. 18. No Fun
  19. 19. Death Trip
  20. 20. Sixteen
  21. 21. Louie, Louie

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