laut.de-Kritik
"Ich lebe den Moment, auch wenn ich ihn vergessen hab'."
Review von Dominik Lippe"Heute noch mit Auto und dann morgen wieder Bahn. Hat sich nichts verändert, wir sind ein verpeilter Mob." Während ältere Semester wie Rhymin Simon Rap noch zur gelegentlichen Flucht vor gesellschaftlichen Zwängen nutzen, ist der Nachwuchs um BHZ bereits einen Schritt weiter. Ion Miles schwebt durch den luftleeren Raum. Ziel- und orientierungslos zieht er auf seinem Solodebüt durch das Leben. In seiner musikalischen Welt existiert weder eine Vergangenheit, die ihn geformt hätte, noch die Motivation, seine Zukunft zu gestalten. "Ich lebe den Moment, auch wenn ich ihn vergessen hab'."
Über weite Strecken handelt "In Liebe, Ion" von Rausch, Party und dem guten Leben, das Ion Miles stets gleichmütig verpackt, statt sich in den eskalierenden Party-Hochleistungssport der Atzen zu stürzen. "Powerade" steht dafür exemplarisch. Demonstrativ dreht der Rapper der Leistungsgesellschaft den Rücken zu: "Ich hab' nichts wirklich zu tun, ja, das Leben, es ist gut." Abgesehen von der recht gut gelaunten, auf MGMTs "Kids" basierenden Single klingen die Instrumentals zumeist so, als lägen sie an einem heißen Sommertag kraftlos, gut betankt und mit einem Schuss Melancholie am See.
Ion Miles verpackt seine Gleichgültigkeit auch textlich. "Akku ist im Arsch und die Sneaker voller Dreck", rappt er schulterzuckend in "Auf Ex (Intro)", als handele es sich um ein Gottesurteil, dem er ohnehin nichts entgegenzusetzen hätte. Für das Modediktat zeigt er in "BIC" ebenso wenig Interesse wie für ein traditionelles Männlichkeitsbild in "Dunkelblau". Gekleidet in pinken Schuhen tauscht er zu später Stunde auch mit seinen BHZ-Kollegen Zärtlichkeiten aus: "Brüder-Liebe, ich bin Suff. Gebe Longus einen Kuss." Dazu rauscht ein Instrumental à la Chemical Brothers auf Tranquilizern vorbei.
Für einen kurzen Moment hebt Dead Dawg in "Durstig" die sedierte Stimmung auf. Und auch "Eistee Zitrone" schaltet in den Angriffsmodus - wenn auch auf Sparflamme. Bedächtig klimpert das Instrumental, während Crew-Kollege Monk jähzornig wie Deine Freunde zur Attacke bläst: "Meine Gang ist der Renner, deine Gang alles Rentner." Offensichtlich fehlt ihnen schlicht das Konfrontative, das sonst fest zur Genre-Grundausstattung gehört. Wenn die Rapper doch einmal ein scharfes Wort finden, zensieren sie sich lieber gleich selbst.
Ion Miles zielt eher darauf ab, die unruhige Welt auszuschließen. "Ich denk' nicht mehr nach. Draußen stürmt es, doch hier drin ist warm", rappt er während dem "Gewitter", vor dem er in die tröstende Zweisamkeit geflüchtet ist, "Ganzen Tag im Bett, nein, ich will nie wieder raus." Es könnte sich auch um den heraufziehenden Untergang handeln, mit dem sich der Rapper längst arrangiert hat, solange er "Nicht Allein" ist: "Ich sterbe heute Nacht, ja, dann soll's so sein. Und die Welt zerbricht in tausend Teile."
Für eine geschichtslose Figur wie Ion Miles zählt eben nur der Moment. Und den will er bestmöglich mit den Freunden oder der Liebsten verbringen. Die Zukunft hält hingegen nur den Tod bereit, dem sich jeder alleine stellen muss. Getragen von einem schüchternen Piano segeln die verlassenen BHZ-Rapper mit "Hermes" schließlich flussabwärts. Am Ende verabschiedet sich Ion Miles mit einer einfachen Botschaft von seiner Zuhörerschaft. "Seid immer nett zueinander. Die Welt braucht mehr Liebe, nicht immer nur Hass. Also, Zähne zusammenbeißen und durch." Wer möchte da widersprechen?
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