laut.de-Kritik

Show, don't tell!

Review von

Cole sieht das Rapgame athletisch und sich in der Tabelle weit oben. Hat er Micskills? Verdammt viel. Charisma? You bet. Punchlines? Kann er! Features? Oha! Und trotzdem: Kunst ist mehr als ein Haufen Zahlen und Potential. "Might Delete Later" ist ein weiterer mystischer Fall von J. Cole, der nach epischem Feature-Run das Studioalbum in den Sand setzt. Nur diesmal irgendwie noch viel härter als sonst.

Dieses Tape ist unglaublich mid. Hatten andere Projekte wie "4 Your Eyez Only" oder "KOD" immer noch die Prämisse, irgendeine Einsicht oder irgendein Konzept zu verfolgen, haben wir es jetzt nach "The Off-Season" schon mit dem zweiten Studioalbum zu tun, das nichts zu tun vorhat, als Cole vor "The Fall-Off" warmzurappen, weil das so ein eindeutiger Klassiker werden wird, boah, ihr glaubt es gar nicht, jeden Moment ist es so weit.

"Might Delete Later" stellt jedes Klassiker-Potenzial von Cole grundlegend in Frage. Er hat auf diesem Tape überhaupt nichts zu erzählen und muss sich mit interessanteren Rappern umgeben, um überhaupt irgendeinen Flavor zu haben. Im Intro baut Young Dro Atmosphäre auf, das klingt nicht schlecht, Ari Lennox besingt, wie Gangster Jermaine sei (hört, hört), Gucci Mane darf am Ende sogar den Albumtitel bedeutungsschwanger hauchen, ihr wisst schon, wie richtige Album-Artists das machen würden. Bringt nur nichts, weil der Albumtitel ultra-beschissen ist.

Und was macht Cole dann? Grob zusammengefasst: Er kündigt vierzig Minuten an, dass es gleich richtig geil werden wird. Jeden Moment. Und wenn sagen, dass man der Beste ist, einem zum Besten machen würde, dann wäre Cole definitiv ... vielleicht in den Top 3. Aber dafür, dass er eh schon nichts sagt und dabei cool wirken will, ist die Dichte an guten Lines sehr niedrig und die Dichte an absoluten Scheißlines erschreckend hoch.

Auf dem Intro rühmt er sich, auf die Schule des Lebens gegangen zu sein. Auf "Ready '24" reimt er: "My second worst fear is stickin' dick in the wrong thot / 'Cause child support supervision is gon' knock / It's crystal clear, bitch, I got the vision y'all don't got". Über Cancel Culture beschwert er sich auf diesem Tape zweimal, als würde dieser sehr nette Mann irgendetwas sagen, für das man ihn canceln müsste. Er versucht es auf "Pi": "They plead the fifth, I'm seeing hints of a trans fella / In cancel culture's vicinity, he's no killer, trust me / Beneath his chosen identity, there is still a pussy, period", aber selbst da bin ich mir nicht einmal sicher, ob das transphob gemeint ist oder nur der komplett verquere Versuch einer rohrkrepierenden Punchline. Also nicht falsch verstehen, transphob ist es allemal, aber eher aus Inkompetenz als aus Gehässigkeit?

Und es wird nicht besser. An irgendeiner Stelle buchstabiert er das ganze Alphabet minus eins. Weil er einfach nicht weiß, was ein L ist. Lachkonserven, bitte. Und dazu diese ständige Selbstbeweihräucherung, wie geil und lyrisch und klug das gerade ja sei. Bruder, ich höre die Musik, sie widerlegt sich selbst. Ich kann nicht wiedergeben, wie sehr dieses Album aus oberflächlichen Selbstbeweihräucherungs-Fillerlines besteht. Cole ist der Champion darin, das Image eines klugen Kopfes zu haben, ohne das in seiner Musik je mit Substanz unter Beweis zu stellen. Jeder Hohlkopf könnte diesem Album folgen, gar kein Problem. Da ist nichts drin, das einem über den Kopf wachsen könnte.

Und das Schlimmste? Hört man nicht so genau hin, dann klingt "Might Delete Later" ziemlich gut. Die Produktion reißt keine Bäume aus, aber schmiegt sich an den aktuellen klassischen Hip Hop-Sound an. Es klingt wertig. T-Minus ist ein bisschen wie Ulreich statt Neuer im Tor, nicht Weltklasse, aber bombensolide. Und wenn Cole etwas auf allerhöchster Klasse kann, dann flowen. Er rattert schon oft einfach beeindruckend durch diese Parts. "Huntin' Wabbitz" oder "Crocodile Tearz" klingen super. Wenn man einfach nur etwas im Hintergrund pumpen möchte, das hart und ein bisschen sophisticated klingen soll, dann ist das hier sicher keine schlechte Wahl. Auch die Features machen Spaß: Central Cee kommt, um die Energie von "Sprinter" ein kleines bisschen anzuzapfen, Cam'ron und Trae Tha Truth versprühen Legenden-Status. Das hin und her zwischen Ab-Soul und Battlerap-Legende Daylyt ist der beste Moment des Albums. Und Cole steht in Sachen Präsenz immer solide daneben.

Aber ob das der Anspruch ist? Genau das zerschellt dann am letzten Track. Cole hat ja neulich mit seinem Feature auf Drakes "First Person Shooter" quasi einen Rap-Bürgerkrieg ausgelöst, weil er sich neben Drake und Kendrick in die Big 3 einreihen wollte. Tragisch, oder? Er wollte nur neben den ganz Großen stehen dürfen und Kendrick war so sauer, dass er jetzt zurückdissen muss. Und wow, ist "7 Minute Drill" ein handzahmer Diss.

Kein Plan, ob er keine guten Beats mehr hatte, oder ob er mit diesem endbeschissenen Wannabe-Detroit-Beat einsteigen musste, damit der Conducter-Beat mit dem Drake-Sample im Direktvergleich ein bisschen cool klingt. Aber zu erzählen hat er Kendrick überhaupt nichts. Sein bester Treffer: Kendrick ist klein. Nicht mal mit einer Pointe. Er ist einfach klein. Got him! Dann versucht er die Jay-Z gegen Nas-Mathe-Textaufgabe-Taktik, die lächerlich ist. Will Cole wirklich Kendrick erzählen, "To Pimp A Butterfly" wäre langweilig? Wieso, Cole? Hat er auf dem Album keine Wäsche gemacht?

Es ist doch so offensichtlich, dass er mit all den dummen Gimmicks seiner letzten Studioalben (erinnert sich jemand an Blödsinn wie die "Kill Edward"-Features) Kendricks Händchen für Alben-Konzepte offensichtlich hinterher gerannt ist. Und dieser Respekt tönt aus seinen Versuchen an Disrespekt heraus. "My text flooded with the hunger for a toxic reply". Da haben wir's wieder! COLE! SHOW, DON'T TELL! Es ist kein Diss, jemandem zu sagen, dass man ihn richtig gut dissen könnte. Am Ende sagt er dann, er könnte jeden Moment nicht einen, sondern gleich zwei Klassiker droppen. Mit Verlaub: Dieses Album wäre kein Indiz dafür.

Trackliste

  1. 1. Pricey (feat. Ari Lennox, Young Dro & Gucci Mane)
  2. 2. Crocodile Tearz
  3. 3. Ready 24 (feat Cam'ron)
  4. 4. Huntin' Wabbitz
  5. 5. H.Y.B. (feat. Bas & Central Cee)
  6. 6. Fever
  7. 7. Stickz N Stonez
  8. 8. Pi (feat. Daylyt & Ab-Soul)
  9. 9. Stealth Mode (feat, Bas)
  10. 10. 3001
  11. 11. Trae The Truth In Ibiza
  12. 12. 7 Minute Drill

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6 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor 8 Monaten

    j cole voll cooler rapper jeder beat klingt wie 10 euro youtube lease und wenn euch das nicht reicht schießt er auch noch gegen trans menschen wirklich derbe cool und chillig ja er ist safe einer der big 3

  • Vor 8 Monaten

    Dieser Kommentar wurde vor 8 Monaten durch den Autor entfernt.

  • Vor 8 Monaten

    Cole hat mich schon immer irgendwie an MoTrip erinnert. So ein rein vom Appeal her und wie sein Standing im Game ist. Beide machen halt irgendwie so Rap wie der Typ von nebenan bloß in professioneller und mit mehr skill. Der Unterschied ist, dass MoTrip nach zwei Alben selbst gemerkt hat dass die Luft raus ist und er nichts zu erzählen hat. Cole dagegen hatte bis auf einige Tracks noch nie irgendwas zu erzählen, was ja nichts schlimmes sein muss aber er hat ja noch nicht mal nen eigenen Sound. Ja sein flow ist krass aber nicht markant, seine Lyrics klingen routiniert aber sind beim genauen hinhören banal. Er hat einfach keine Ecken und Kanten und ist schlichtweg einfach langweilig. Seine Musik ist alles andere als schlecht aber einfach banal. Was meiner Meinung nach mindestens genauso schlimm ist.

  • Vor 8 Monaten

    Das ist die schönste Analogie, die mir dieses Jahr begegnet ist.

  • Vor 8 Monaten

    Wenn J. Cole ein Sportler wäre, würde man wohl ihn als „ewiges Talent“ bezeichnen, das nie sein volles Potenzial ausgeschöpft hat. Denn dass Potenzial vorhanden ist, hat er ja schon vor 15 Jahren gezeigt, seitdem hat er zwar einige solide Alben (und einige schwache Alben) rausgebracht, aber eben keinen Klassiker. Da hilft es natürlich nicht, sich mit Kendrick Lamar in eine Reihe zu stellen, auf den ähnlich große Hoffnungen gesetzt wurden und der diese im Gegensatz zu ihm erfüllt hat. Was das angeht, passt J.Cole eher zu Drake, der ebenfalls mit großen Ankündigungen viel Hype erzeugt, aber musikalisch enttäuscht.

  • Vor 8 Monaten

    Finde sowohl Kendrick, als auch Cole und Drake allesamt gleich langweilig, die nehmen sich nichts.