laut.de-Kritik

Der Komfort der Underdogs.

Review von

Das Schicksal von J.I.D ist es, underrated zu sein. Er ist Dreamvilles Mörderspitter und Geheimwaffe Nummer eins. Er ist der originelle Pick, der Hipster-Favorit, der irgendwann alsbald definitiv in die großen Drei aufrücken wird. Je nachdem, wen man fragt, hat er nun mehr vier Mal schon sein "Section.80" oder sein "Good Kid, M.a.a.D. City" veröffentlicht. Dass er jetzt mit Mitte dreißig schon seit fast zehn Jahren vehement next up ist, scheint dabei kaum jemanden zu stören. Dabei glaube ich ehrlich, dass die Rolle des Underdogs vermutlich sehr komfortabel für ihn bleibt. Denn sein neues Album "God Does Like Ugly" zeigt einmal mehr, dass er bei genauerer Prüfung in jeder Disziplin abseits des reinen Spittens ziemlich schnell an Grenzen stößt.

J.I.D ist ein großartiger Techniker und handwerklich ein phänomenaler Rapper. Er hat Agilität, Variantenreichtum und eine flexible Stimme, die er auf diesem Album wieder von Pusha T bis zu Vintage-Eminem durchdeklinieren kann. Leider Gottes macht ihn das weder zu einem guten Lyricist, noch zu einem besonders guten Songwriter.

Es ist ein bisschen albern, weil ihm diese Qualitäten immer wieder wie von selbst zugesteckt werden. Aber es gibt kaum einen Rapper, der regelmäßig für seine Lyrik gelobt wird, der so überhaupt nicht zitierfähig ist. Genius hatte zur Feier des Releases von "God Does Like Ugly" eine Liste mit den besten Bars des Albums herausgegeben. Stand jetzt scheint die meist hervorgehobene Line dieses Prachtstück auf "Community" zu sein: "I'll put a bullet in Bob the fuckin' Builder / 'Fore they try and kick us out the building, what about the children?". Bitte, entschuldigung? Das ist die Killerline? Warum nicht gleich die Perle "My mindset on thinkin' out of the box like a Rubik's cube / Them dudes stupid as Rubi Rose booty" vom Ende des Albums?

Ein anderer Moment, der hängenbleibt, findet sich auf "Gz", wo er für ein verlängertes Schema in acht Lines Nummern hochzählt. Ihr versteht schon, so wie A$AP Rocky das damals auf "Peso" mit den Buchstaben gemacht hat, aber dann ist die Sechs die "Six" wie in Atlanta oder die Acht ist "ate" statt "eight". Es ist ein so forciertes und irgendwie auch offensichtliches Pattern, dass ich einfach ganz genau weiß, dass Leute die Augen rollen würden, wenn ein Rapper vom Coolness-Grad eines Logics damit aus dem Tran kommen würden. Und glaubt mir, er würde.

An vielen Stellen schwant mir, dass J.I.D mit einer Lyrical-Spiritual-Miracle-ness davonkommt, mit der andere nicht davonkommen. Er ist selten per se corny. Aber nicht unbedingt, weil er nicht corny Sachen sagt. Es ist eher, dass seine Technik-Versessenheit seine ganzen Parts so überzüchtet und verwurstelt macht, dass man generell wenig mitbekommt, was er eigentlich sagen möchte. Er ist überraschend schlecht darin, sich mal einen Reim zu Gunsten der Kohärenz oder der Delivery zu sparen. Fast alle Parts auf diesem Album sind entsprechend sehr technische Rodeoritte, in denen jedweder intendierte Inhalt Reimschema um Reimschema weiter davongeschwemmt wird.

Sein ganzes Spitterding hat kaum Highlights und wenig natürliche Dynamik, aber es prasselt so schnell und virtuos an einem vorbei, dass man gar nicht in Frage stellen möchte, dass da gerade sicher sehr kluge Dinge von sich gegeben werden. Trotzdem: Wenn Clipse für zwei Überparts auf den absoluten Highlight-Track "Community" vorbeikommen, lobe ich mir so sehr einen Pusha T, der schon mit den zwei ersten Lines "What's missin' in my hood, I identified / Then I brought white to my hood, shit, I gentrified" ein Gefühl von Klarheit und Kontingenz in seinen Part und seine Bildsprache bringt, den J.I.D nicht einmal auf dem Album erreicht.

Der Grund, warum J.I.D mit Dingen davonkommt, die andere Rapper längst als corny gebrandmarkt hätten, ist sein Gefühl für Ästhetik. Lasst mich nicht lügen: "God Does Like Ugly" ist kein Konzeptalbum. Nicht im Geringsten. Ja, da sind ein paar Stellen, an denen er die Worte Gott und Hässlichkeit in seine Punchlines einbezieht. Aber macht mir nicht vor, man könne irgendwelche tieferen Gedankengebäude oder irgendeinen tieferen Sinn in dieses Framing packen. Besonders, wenn der Mittelteil des Albums ein fragwürdig kommerzieller und glattgeleckter Trabritt durch ein paar wahllose R'n'B-Features ist. Ist das die Hässlichkeit? Oder ist das Gott? Nein, es ist ein Typ, der auch gerne Mal einen Hit hätte, auch wenn er weiß Gott nicht zwischen Anfang und Ende des Albums passt.

Aber trotzdem: "God Does Like Ugly" weiß ganz genau, wie es wie etwas Konzepthaftes aussieht. Erstmal ist da ein vielsagender Titel und ein abartig cooles Albumcover. Dann machen die Tracks die ganze Zeit auch diese Gesten, die man von anderen klassischen Rap-Alben kennt. Wir kriegen fünftausend Beatswitches, Moderationen, einen Gospelchor statt einem Refrain. Auf gar keinen Fall dürfte ein Track einfach nur auf der Stärke seines Songwritings stehen, es muss die ganze Zeit extravagantes Brimborium passieren, das uns daran erinnert, dass wir gerade etwas besonders Wertvolles hören. Muss ja auch, nachher liest sich sonst noch jemand ernstlich die Texte durch.

Und wenn ich 'klassische Rap-Alben' sage, dann meine ich allen voran: Kendrick. Es ist mir ehrlich ein Rätsel, warum J.I.D nicht viel mehr auf den Deckel dafür bekommt, wie hochgradig offensichtlich und dreist er sich an der Kendrick-Sauce bedient. Bei fast jeder musikalischen Idee, die im letzten Absatz benannt wurde, kann man eigentlich eins zu eins einen Kendrick-Track benennen, der genau das so zuerst gemacht hat. Aber auch die tiefe, bebend-wütende Stimme, die er ein paar Mal auf diesem Album andockt, ist in der musikalischen DNA so deeply Kendrick.

Und das wäre ja alles okay, wenn es denn zu etwas führen würde. Aber selbst bei den weniger eindeutig legendären Kendrick-Alben wie "Mr. Morale", von denen "God Does Like Ugly" einige Ideen abzwackt, ist mir sehr viel klarer, an was Kendrick sich abarbeitet. Diese Alben ringen mit etwas und sie haben eine Kohärenz in ihren musikalischen Entscheidungen, die "God Does Like Ugly" einfach nicht bieten kann. J.I.D macht musikalische Taschenspielertricks schlicht und einfach, weil sie cool klingen und Eindruck schinden, aber dieses Album hat kein Hinterland, es hat keine tieferen Gedanken, es behandelt nichts und ringt mit nichts.

Mir persönlich - und das klingt jetzt komisch, aber bare with me - gibt "God Does Like Ugly" am meisten, wenn ich es wie ein Travis Scott-Album runterhöre. Nein, es ist nicht so deep, wie es tut, aber es hat ein paar Fähigkeiten, für die es ziemlich cool zu hören ist. Und klar, es lässt sich definitiv gut runterhören. Der Gospelflip auf "Glory" ist ein Mü zu offensichtlich, aber macht Druck. Ich bin mir ziemlich sicher, dass "Gz" den Soundcloud-Klassiker "Walk" von Comethazine flippt, der zweite Part flowt wie Hölle. "Of Blue" und "K-Word" machen hintenraus nochmal zwei durchgerappte Tracks her, die wirkliche Highlights in Sachen Atmosphäre sind. Außerdem: "Sk8" mit dem Miami Bass-Beat und dem sehr schönen Ciara-Refrain, den man aus irgendeinem Grund als Bridge verschwendet hat, macht musikalisch mit am meisten Spaß auf dem Album.

Und doch bleiben mir persönlich ein paar Fragezeichen. Der R'n'B-Mittelteil klingt nett, aber auf eine nondeskripte und nicht sehr aufregende Art und Weise. Mehr als ein paar mal wird J.I.D seltsam doll von seinen Features geschluckt. Der Clipse-Track ist geil, fühlt sich aber auch mehr an, als hätte er auf "Let God Sort Em Out" gehört. Aus irgendeinem Grund gibt es Tracks, die fast gänzlich von Jessie Reyez oder Don Toliver bestritten werden. "God Does Like Ugly" hat wenig Gefühl für Sound und Genre, entsprechend klingt J.I.D immer mal wieder eher wie das Feature auf dem Track seiner Gäste als wie der Herr im eigenen Haus.

Nein, irgendwie bleibt mir persönlich hinter der flashy Fassade nicht viel an "God Does Like Ugly". Es ist ein geiler Flow und jede Menge Windowdressing, gut gewählte Features, aber wenig tatsächlicher Sinn für die eigene musikalische Identität. Underrated zu sein bleibt bis auf weiteres der größte Vorteil für J.I.D, denn als hipsteriger Mini-Kendrick muss er sich nicht den genauen Blicken stellen, die in der absoluten Oberliga die Norm wären. "God Does Like Ugly" hat nämlich ein paar ziemlich deutliche Schwächen, über die gerade nur hinweggesehen wird, weil J.I.D das Underdog-Wohlwollen scheinbar für den Rest seines Lebens gepachtet hat.

Aber ich komm einach um den finalen Eindruck nicht herum: Dieser Mann hat eigentlich keine Persönlichkeit und nichts zu erzählen. Er hat keinen Humor, er hat keinen Character-Arc abseits des Unterschätzt-werdens. Er hat keine Themen und keine Geschichte. Man könnte kein Meme über ihn machen und dieses Album nicht deuten. "God Does Like Ugly" ist genau wie der Vorgänger "The Forever Story" das Simulacrum eines Klassiker-Albums, das mit Abkürzungen, Fingerzeigen und ästhetischen Verweisen auf den Schultern von richtigen Klassikern steht. Ja, es hört sich gut an. Aber alles, was man inhaltlich oder ästhetisch daraus ziehen könnte, ist der clever kuratierte Nachhall von besseren Alben.

Trackliste

  1. 1. YouUgly (feat. Westside Gunn)
  2. 2. Glory
  3. 3. WRK
  4. 4. Community (feat. Clipse)
  5. 5. Gz
  6. 6. VCRs (feat. Vince Staples)
  7. 7. Sk8 (feat. Ciara & EARTHGANG)
  8. 8. What We On (feat. Don Toliver)
  9. 9. Wholeheartedly (feat. Ty Dolla $ign & 6lack)
  10. 10. No Boo (feat. Jessie Reyez)
  11. 11. And We Vibing (Interlude)
  12. 12. On McAfee (feat. Baby Kia)
  13. 13. Of Blue (feat. Mereba)
  14. 14. K-Word (feat. Pastor Troy)
  15. 15. For Keeps

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