laut.de-Kritik
Trotz großem Weltallsound noch lange nicht Coldplay.
Review von Josef GasteigerSpindeldürr sieht es aus, das Männchen auf dem Cover des erst vierten Albums in 26 Jahren Jane's Addiction. Ausgehungert vielleicht von ewigen Konflikten, die die Band schon mehrfach auseinander trieb. Trotzdem finden Perry Farrell, Dave Navarro und Stephen Perkins immer wieder zusammen, um der Bandgeschichte ein neues Kapitel anzuhängen.
Immer, wenn Jane's Addiction an den schillernden, mit Exzentriken gespickten Persönlichkeiten ihrer Mitglieder implodiert, ist die Wiedervereinigung so ausschweifend, dass man gar nicht anders kann, als zusammen neues Material auszuarbeiten. Für Ur-Bassist Eric Avery reichte aber schon eine Tour, um sich wieder aus dem Kosmos der Band zurückzuziehen, die einst das Aushängeschild der Outsider und Freaks von Los Angeles darstellte.
Zu erdig erwies sich auch Averys Nachfolger, Ex-Gunner Duff McKagan, mit dem die ersten neuen Songs entstanden, der aber nach sechs Monaten wieder die Studiotür von außen zumachte. Man war nicht auf derselben Wellenlänge unterwegs, für den Rocker kam TV On The Radio-Tüftler David Sitek, was schon in etwa das Feld abstecken sollte, auf das "The Great Escape Artist" aus ist.
Symbolischer als mit dem Abgang des Altpunks McKagan könnte man die neuen Soundabenteuer des neuen Albums kaum darstellen. Viel von der energischen Kraft wurde zurückgeschraubt, das Tempo gedrosselt, die Hooks vervielfacht. Durch Sitek finden vermehrt elektronische Sounds und Synthesizer ihren Weg in den sonst recht gitarrendominierten Gesamtklang, der zuletzt auf "Strays" für gute Stimmung sorgte.
Navarros Axt steckt ordentlich zurück, beschränkt sich auf Schichtungs- und Texturenarbeit und hat seit neuestem sicher eine Wagenladung Effektbretter mehr eingestöpselt. Umso schärfer fahren dafür die Solospots wie der kurze Ausbrecher aus dem "Underground" ins Mark, perfekter dosiert, dafür schneidend wie winterlicher Eiswind.
Spätestens bei der Hälfte von "End To The Lies" drängt sich die Bezeichnung "Spacerock" unweigerlich an die Gehirnlappenfront, Musik fürs Weltall. Überlebensgroße Echosphären rudern mit Farrells Sirenengesang um die Wette, ziehen mächtigere Wände auf, als auf jedem JA-Album zuvor. Gewaltig produziert, weicht der metallische Funk wuchtigem, düsterem Psychedelic-Rock.
Nun dürfte das für keinen Beobachter und Fan der Band wirklich überraschend kommen, wenngleich das erste Hörerlebnis sicher einige Ewigneunziger auf dem falschen Fuß erwischen wird. Die psychedelische und spirituelle Seite von Jane's Addiction war selbst auf dem Alternative-Eckstein "Ritual De Lo Habitual" schon vorhanden, 21 Jahre später leben sie sie erstmals mit größerer Breitseite aus. Und eigentlich funktioniert es grandios.
In solchen Slowjams wie "Splash A Little Water On It" oder dem durchzechten und sonnenaufgänglichen "Broken People" wird gar pinkfloydisch präzise gearbeitet, den Chorus der "Twisted Tales" ziert eine unglaublich träumerische Melodie, nachdem Perry in den Strophen fast nach Maynard James Keenan klingt. Für eine harmonische Passage braucht Herr Farrell nach wie vor auch nicht zwingend englische Wörter, wabernde Ohs und Ahs reichen vollkommen aus, wie das hymnische "Irresistible Force" zeigt.
Auf diesem Track brilliert auch Drummer Stephen Perkins mit seinem gewohnt sublimen Schlagzeugspiel. Nach wie vor nützt er die gemeinen Formen des Standard-Rockbackbeats nur, wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt ("I'll Hit You Back"). Gefinkelt und doch klar verständlich schlängelt er sich durch seine vielschichtigen Grooves, die zusammen mit den kräftigen Basslines die immer noch bärenstarke und hörenswerte Rhythmsection von Jane's Addiction ausmachen.
Die Aufgaben am Viersaiter auf "The Great Escape Artist" übernahm schließlich Sessionexperte und Tourbasser Chris Chaney sowie Dave Sitek, der neben seiner Produzententätigkeit auch Instrumentenmädchen für alles war. Seine Eingriffe in den Sound der Band konnte dem Songwriting und gewissen Jane's-Trademarks aber kaum etwas anhaben. Einige der alten Schrulligkeiten sind gefallen, damit auch die Zugangshürden. Trotz eines allumfassenden Spacerock-Sounds sind sie jedoch noch lange nicht Coldplay.
Die Ruppigkeit eines "Ultimate Reason" mit fernöstlich anmutenden Akkorden erfrischt, und so manche Breaks hin zur pausierenden Stille halten die Dinge stets ansprechend. Hin und wieder blitzt auch Gitarrist Navarro bewusst in den Vordergrund, zum Beispiel beim typischen Wahwah-Solo in "Splash A Little Water On It". Denn die Gitarre fügt sich diesmal nur als ein Teil in den monströsen Gesamtsound, nicht als der Tonangeber, der Navarro an der Seite von Farrell immer war. Verkraftet man diesen Rückschritt im Gitarristenego, lernt man auch seine minimierte Texturarbeit nach und nach zu schätzen.
Mit "Words Right Out Of My Mouth" packte die Band schließlich einen überhitzten Punkausbruch als Rausschmeißer aufs Album. Rasante Tribaldrums samt schnörkelloser Bassline treiben das krachige Riff geradeaus zurück in die beiden Frühwerke. Wäre nicht der seufzende, akustische Zwischenteil, der Back-to-the-roots-Track fiele glatt aus dem Albumkonzept heraus.
Für die Nostalgie sorgt zusätzlich der beigelegte Livemitschnitt einer Mexikoshow, vollgepackt mit alten Hits. Perry Farrell ist über fünfzig, sein Lollapalooza nicht mehr Hafen der äußeren Alternative-Szene, sondern Mainstream, wo diese Scheibe in der Band-Diskographie mit dem geringsten Abstand eingeordnet werden kann.
3 Kommentare
war ehrlich gesagt über die relativ schlechten bewertungen aus amerika überrascht. ich würde sagen, es ist etwas besser als strays, wobei ich auch strays geil fand. außerdem sind die ersten vier songs absolute knaller.
ja, für mich bisher die platte des jahres ... absolut geil!
Bin extrem entzückt, dass die Herren Farrell/Navarro sich trotz Alter und Status hier noch mal hör- und spürbar an neuen Einflüssen versuchen, ohne allzu anbiedernd zu klingen oder, schlimmer noch, mit einer halbgaren Retro-Scheibe mit durchschnittlichen Songs im alten Soundgewand daher kommen, wie es viele Bands ihres Ranges getan hätten/immer wieder tun