laut.de-Kritik
Die Londoner Elektro-Szene ist nicht mehr genug.
Review von Andrea TopinkaNach ihrem Karrierebeginn als Sängerin für SBTRKT, Disclosure oder Jack Peñate gelang es Jessie Ware sich 2012 mit ihrem Debüt als Solokünstlerin zu etablieren. "Devotion" wurde in ihrer Heimat mit einer Nominierung für den Mercury Prize geadelt. Ihre zweite Platte "Tough Love" soll nun an den Erfolg anknüpfen und schielt gleichzeitig in Richtung eines größeren Publikums abseits der (Süd-)Londoner Elektro-Szene.
Der sinnliche Zweitling liebäugelt noch offener mit Pop-Elementen als der Vorgänger, mal in Form eines eingängigen Mitsingrefrains ("You & I (Forever)") oder einer chartgerechten Ballade mit Chorfinale, für die sie sich als Co-Writer den Briten Ed Sheeran an Bord holte ("Say You Love Me"). Der Ansatz ist vielleicht ein bisschen abgedroschen, funktionieren tut er im rückwärtsgewandten R'n'B/Soul-Kontext von Wares Schaffen trotzdem.
Ein vielseitiges und meist glückliches Händchen beweist die Dame aus London bei der Wahl ihrer Co-Songwriter und Produzenten. BenZel, bekannt als "Japanese teenage duo", sorgen bei knapp der Hälfte der Songs für die Hipness hinter den Reglern. Auch Grammy-Gewinner Emile Haynie ist beim düsteren, Streicher-versetzten "Pieces" am Werk. Zuletzt hatte der Produzent seine Finger bei FKA Twigs "LP1" im Spiel, mit der Jessie Ware nicht nur stilistische und stimmliche Ähnlichkeiten aufweist, sondern einen weiteren Co-Writer.
Alleskönner Dev Hynes, auch bekannt als Blood Orange, sorgt mit "Want Your Feeling" für ein spritziges Keyboard-Gitarren-Highlight, dessen Synthies an 80er Dancefloor-Hits erinnern. Eine willkommene Abwechslung auf einem in seiner Grundstimmung recht getragenen Album. Gastschreiber Miguel gelingt es nur, einen seiner beiden Beiträge auf die Britin zuzuschneiden. "You & I (Forever)" reicht nicht über die Durschnittsmischung aus R'n'B und Pop hinaus. In "Kind Of...Sometimes...Maybe" hingegen verführt Jessie Ware ihre Hörer mit samtig langgezogenen Noten, die von plätschernden Synthies und leisem Flüstern begleitet werden.
Wie nahe sie trotz der stärkeren Pop-Einflüsse dem elektronischen Sound rund um SBTRKT und Konsorten steht, scheint auf Tracks wie "Cruel" nach wie vor durch. Unterstützt unter anderem von Simian-Mitglied und Klaxons-Produzent James Ford sowie Producer Dave Okumu (Amy Winehouse, St. Vincent) pochen kühle Beats und Synthies unter den souligen Gesangsmelodien. Der von Kid Harpoon mitgeschriebene Closer "Desire" verzichtet auf überflüssige Spielereien und lebt vom Kontrast zwischen harten, monotonen Beats und Wares vor Emotionen vibrierender Stimme.
Im Titeltrack "Tough Love" haucht sie sich begleitet von fragilen Beats die Seele aus dem Leib, erreicht dabei eine ähnliche Gänsehautatmosphäre wie erwähnte FKA Twigs. Leider gelingt es Jessie Ware nicht immer, ihre Stimme richtig einzusetzen, sondern lässt sie von all den Halleffekten und Beats gerne vernebeln ("Keep On Lying").
Trotzdem festigt "Tough Love"definitiv Jessie Wares Stellung als herausragende Sängerin, die ein ebenso beeindruckendes Gespür für die richtigen Kollabopartner wie einen stimmigen Mix aus Retro und Moderne hat.
1 Kommentar
Großartiges Album. Merkwürdig, dass sie noch keinen wirklichen kommerziellen Durchbruch hatte. Keep on Lying könnte ich in Dauerschleife hören!