laut.de-Kritik

Spirituelle Countrysongs mit zu vielen Ansätzen.

Review von

Er sei die Schnittmenge aus Bob Dylan, Bruce Springsteen, Tom Petty und Billy Joel, schreibt die britische Zeitung The Guardian 2017 über den Musiker aus Indiana. "Über die Jahrzehnte hat John Mellencamp ein Americana des gewöhnlichen Mannes entwickelt und stellt eine herzlichere Art des Populismus dar."

Trotz der großen Namen, die da fallen, klingt das nicht wirklich wie ein Kompliment - und trifft den Nagel auf den Kopf. Einerseits bezieht Mellencamp durchaus Position, andererseits schweift er allzu oft in arg kommerzielle Gefilde ab.

Der interessanteste Track hier ist das abschließende "Easy Target", in dem Mellencamp mit rauer Stimme, Gitarre, Klavier und Fiddle über Rassismus und Waffengewalt sinniert: "So, black lives matter / Who are we trying to kid / Here's an easy target / Don't matter, never did / Crosses burning / Such a long time ago / 400 years and we still don't let it go." Das klingt weicher als bei Ben Harper ("Call it what it is: murder") oder Body Count ("It's unfortunate that we even have to say 'Black Lives Matter', I mean, if you go through history nobody ever gave a fuck). Immerhin veröffentlichte Mellencamp das Video dazu am Tag vor Donalds Trumps Amtsantritt.

Ansonsten enthält sein 23. Album Stücke, die über mehrere Jahre entstanden sind, einige davon mit Carlene Carter, Tochter von June Carter, Stieftochter von Johnny Cash und Ex-Frau von Songwriter/Produzent Nick Lowe. Die Zusammenarbeit war aber offenbar nicht überzeugend genug, um Carter als gleichwertige Autorin anzugeben, weshalb sie nur ein "Feature" darstellt.

Erstaunlich, wie ähnlich Mutter und Tochter klingen. So richtig harmonieren Carters schnarrendes Organ und Mellencamps raues aber nicht, da passt Martina McBrides sanftere Stimme in "Grandview" schon besser. Das Stück schrieb ein Cousin Mellencamps in den 1990er Jahren. Einen Auftritt mit Seltenheitswert hat hier Ex-Guns N'Roses-Rhythmus-Gitarrist Izzy Stradlin.

"Sugar Hill Mountain" entstand für den Soundtrack von "Ithaca" (2016), ein Drama unter der Regie von Mellencamps Ex-Freundin Meg Ryan. "What Kind Of Man Am I" und "You Are Blind" schrieb er dagegen für das Musical "Ghost Brothers Of Darkland County", zu dem Stephen King das Libretto beisteuerte und das 2012 uraufgeführt wurde.

Zwei Covers sind schließlich auch noch mit dabei: "Mobile Blue" des verstorbenen Songwriters Mickey Newbury aus dem Jahr 1971 und "Early Bird Cafe" des Gitarristen Jerry Hahn, das Mellencamp in der Vergangenheit immer wieder gespielt hat. Der Text zu "My Soul's Got Wings" stammt gar von Woody Guthrie.

Ursprünglich haben Carter und er "spirituelle Country-Stücke" schreiben wollen, herausgekommen ist aber ein Album mit zu vielen Quellen und Ansätzen, auch wenn Mellencamp persönlich die Rolle des Produzenten übernommen und das Cover gemalt hat. Sein Erfolg in der Heimat wird darunter freilich nicht leiden. Sonst hätte sich Emmylou Harris bei der anstehenden US-Tour wohl kaum dazu überreden lassen, die Rolle des Openers zu übernehmen.

Trackliste

  1. 1. Mobile Blues
  2. 2. Battle Of Angels
  3. 3. Grandview (feat. Martina McBride)
  4. 4. Indigo Sunset
  5. 5. What Kind Of Man Am I
  6. 6. All Night Talk Radio
  7. 7. Sugar Hill Mountain
  8. 8. You Are Blind
  9. 9. Damascus Road
  10. 10. Early Bird Cafe
  11. 11. Sad Clowns
  12. 12. My Soul's Got Wings
  13. 13. Easy Target

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