laut.de-Kritik
Der Sänger von Fischer-Z erzählt Geschichten, wie sie das Leben schreibt.
Review von Giuliano Benassi2006 begab sich der ehemalige Sänger von Fischer-Z auf eine lange Zugfahrt durch Europa und sammelte die Geschichten von zufällig getroffenen Mitreisenden. Eine aus jedem Land nahm er als Grundlage für die Stücke auf diesem Album. Eine potentiell interessante Angelegenheit also.
Es liegt in der Natur der Sache, dass es hauptsächlich um existentielle Themen geht. Dabei bestätigen sich mehrere Klischees: Inge aus Deutschland spricht von Glück durch harte Arbeit (die gute alte protestantische Ethik), Corrado aus Italien über Gott, Mariza aus Portugal über Fado, Xavier aus Spanien über Nächte in Barcelona, Gilles aus Frankreich über die Tiere, die einen Spaziergang durch Paris zu einem Spießrutenlauf geraten lassen.
Die Texte haben eindeutig Vorrang, weshalb Watts hohe, dünne Stimme im Zentrum des musikalischen Geschehens steht. Begleiten lässt er sich von akustischen Gitarren, Klavier und einer mal sanften, mal schnelleren Rhythmusgruppe. So erinnert er an Barden wie Woody Guthrie oder Billy Bragg, ohne aber deren politischen Hintergrund zu teilen.
Watts geht es hier nicht um das Anprangern von Umständen, sondern um ein Zeitzeugnis. "Dies ist das 21. Jahrhundert. Egal, in welche Existenz du hineingeboren wurdest: Es handelt sich um dein 'wahres Leben'. In einer Zeit, in der Reality-Shows das Fernsehen dominieren und der Promikult oberste Priorität hat, wärst du nicht viel lieber im 16. oder 19. Jahrhundert geboren, oder im alten Rom?
Natürlich nicht. Denk mal drüber nach! Denke an Pest, Syphilis, kurze Lebensdauer, katastrophale hygienische Verhältnisse. Was, es gibt keinen Latte Macchiato mit fettarmer Milch?! Das wahre Leben ist dennoch gut genug – It Has To Be," schreibt er im Booklet.
Auch wenn die musikalische Begleitung doch etwas zu einfach gestrickt ist: Das gleichnamige Album ist lebendig, stellenweise lustig und regt zum Nachdenken an.