laut.de-Kritik
Britpop-Dröhnung mit Gitarre, Schellenkranz und schiebendem Bass.
Review von Simon ConradsLangsam verhärtet sich der Verdacht: Musiker*innen auf der ganzen Welt haben abgesprochen, sich dem Verkürzungstrend, angestoßen von den Streaming-Diensten, zu entziehen und genau das Gegenteil zu machen. Lange Songs auf langen Alben, mal wieder so richtig ausufernd der Kreativität freien Lauf lassen, ohne an Algorithmen und Playlist-Platzierungen zu denken. Kanye, Black Country, New Road, Big Thief, Beach House, selbst kleine Acts wie Pauls Jets - sich kurz zu fassen ist anscheinend nicht mehr in. Vielleicht hat sich in zwei Jahren Pandemie natürlich auch einfach nur sehr viel Material angesammelt, das man jetzt, wo die Corona-Hochphase (hoffentlich) bald ihr Ende findet, schnell vor die Tür kehren möchte, um auch im Songwriting in die postpandemische Phase schreiten zu können.
Johnny Marr zieht mit seiner Platte "Fever Dreams Pts 1-4" nun mit. Die beiden ersten Parts erschienen als seperate EPs bereits 2021, das nun veröffentlichte Album ergänzt sie um weitere acht Songs. 72 Minuten Britpop-Dröhnung, mit fast durchgängig antreibendem Schellenkranz und schiebendem Bass, auf drei Stücken gespielt von Primal Screams Simone Marie Butler. Leider bietet das Album nur selten Verschnaufpausen, wodurch es etwas starr und wenig dynamisch gerät. Noch dazu fehlt etwas vom gesanglichen Elan, den Marr zu Beginn seiner Solo-Karriere auf "The Messenger" oder auch zuletzt auf "Call The Comet" versprühte. Bei den Songs auf "Fever Dreams" scheint sich die Stimme gelegentlich hinter Effekten und Hall zwischen den Instrumentals verstecken zu wollen, fast so, als wäre sie ein notwendiges Übel, dem deutlich weniger Aufmerksamkeit gebührt, als den Synths und Gitarren.
Der Opener "Spirit Power & Soul" breitet sich über einem New Order-Drumbeat und wabernden Arpeggiator-Synths aus, immer wieder spielt Marr ein prägnantes Gitarren-Lick dazu. Das kann der Maestro natürlich immer noch, an der Gitarre das Aufregende im Simplen finden. Der gesamte erste Part, also die Tracks 1-4, bleiben in der da eröffneten düsteren Soundwelt, die das Album generell prägt.
"Sensory Street" etwa, spielt auch in diesem Terrain, wird geprägt von einem fuzzigen Bass-Motiv, das auch auf eines der frühen Arctic Monkeys-Alben gepasst hätte. Generell kommt dem Bass immer wieder eine zentrale Rolle in den Instrumentationen zu, so auch im punkigen "Ghoster", das besonders in den instrumentalen Parts begeistert. Hervorzuheben ist unter diesen düsteren, treibenden Songs das nach vorne strebende "The Whirl", das mit stimmigen 80s-Gitarren richtig Laune macht. Hier wirkt selbst Marrs Gesang voller Energie.
Nur selten öffnet sich Marr aber 'schönen' oder erbaulichen Klängen. Wenn doch, etwa in "Lightning People", ist das eine sehr willkommene Abwechslung. Der Song steht mit den Streichern in einer Tradition mit Oasis und The Verve, trägt lediglich mit dem "Yeah, yeah, yeah"-Chor etwas zu dick auf. Geradezu lässig klingt Marr in "God's Gift", in dem ungewöhnlicherweise die Gesangsmelodie in den Strophen der stärkste Part ist.
Auch "Counter Clock World" gehört zu den besten Stücken der Platte. Durch die nur sporadisch eingestreute Akustikgitarre erinnert der Song immer wieder stark an "Queen Of Hearts" von Juice Newton. Zwar nicht unbedingt erbaulich, aber doch sehr anregend wirkt "Night And Day", das eine ziemlich straighte Indie Rock-Hook bietet, die zu den stärksten des Albums gehört. Gegen Ende faded der Track nur leider recht uninspiriert aus.
Generell kommen einige Stücke nicht zum Punkt, geraten zu lang und ziehen das Album so teils unnötig in die Länge. Im Englisch gibt es dafür die schöne Formulierung "They overstay their welcome", die hier ziemlich treffend ist. Das schleppende "The Speed Of Love" fällt in diese Kategorie, eine Refrainwiederholung weniger würde dem Song gut tun. "Receiver" tröpfelt mit seinem Outro etwas zu langsam aus, und "Tenement Time" gerät mit den durchgehend knüppelnden Drums zu monoton. "Rubicon" steht mit dem bedeutungsschwangeren Spoken Word über sphärischen Klängen überhaupt sehr sperrig mitten im Album. Die Texte bleiben auch teilweise etwas blass, zum Beispiel im knalligen "Hideaway Girl": "What's the day, what's the way? / Is that you, is that me?" heißt es da direkt am Anfang etwas zu phrasendrescherisch.
Im Gegensatz zu einigen der oben erwähnten Künstler*innen ist es Johnny Marr also nicht gelungen, ein durchgehend überzeugendes, langes Album zu produzieren. Einige starke Songs wirft "Fever Dreams Pts 1-4" trotzdem ab - und das Gitarrenspiel begeistert selbstredend durchweg.
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