laut.de-Kritik
Das Gangstertum macht ehrlich empfundenen Gefühlen Platz.
Review von Dani FrommBöse kuckende Jungs wollen "Alles Oder Nichts". Geldbündel stecken in Tennissocken, diese in Nike-Tretern, ein wenig Bling-Bling und das Sägeblatt-Logo obendrauf: Herzliche Grüße aus Abschaumcity. Da mir, unabhängig davon, was ich schreiben werde, ohnehin Voreingenommenheit unterstellt wird, gestatte ich mir, an diesem Punkt ein tief empfundenes BÄH! in die Runde zu werfen. Sehr verlockend erscheint die Aussicht auf einen weiteren Trip in die Straßen der Hauptstadt tatsächlich nicht.
Man lässt sich aber trotzdem gerne überraschen: Vom Hocker reißen mich die "Typen Aus 361" zwar keineswegs. Insbesondere die Themen-Auswahl, falls man bei fast durchgehendem Verharren in vielfach durchgenudeltem Gangster-Dealer-Hustler-Sumpf von einer solchen überhaupt sprechen darf, langweilt ungemein. "Den ganzen Tag roll ich mit dem Gangsta-Shit." Aber, warum denn? "Weil ich ein verdammter Gangster bin." Ach, so.
Dazu gibt's dann den einen oder anderen Clubsong. "Clubfieba", "Er Ist Ein Player" und "Clubmub" mit Unterstützung von anderer Leute Lieblingsrapper Harris und Sido wetteifern um das inhaltbefreiteste Party-Szenario. Die übliche Schmachtnummer, hier stilecht in Form von "Stift, Zettel Und Zeilen" aus dem Knast, rettet auch die Beteiligung Bintias nicht vor ekelerregender Absehbarkeit. "Du und ich ... Nur für dich ... Mit Dir an meiner Seite macht das Leben wieder Sinn." Ja, ist denn heut' schon Kuschelrock?
"Ihr wisst nichts darüber, wie es ist, hier zu wohnen." Besser erscheint mir das: Der Reiz einer Gegend, in der gilt "Hass und Gewalt regier'n den Asphalt", verschließt sich mir doch eher. Dort hat man nicht den dicken Pulli, wohl aber die breitesten Hosen an, ist "nicht aufzuhalten", "nicht mehr wegzudenken": "Wir Sind Gut", "die zwei, die wie Flutlicht scheinen", "ein Bonbon" gar. Erstaunlich, dass derart harmlose Leckereien überhaupt bekannt sind. Ich dachte bisher, im Ghetto lutsche man andere Dinge. "Sag, seh ich aus, als würde ich Witze reißen oder im Sitzen scheißen?" Im Stehen kackte Dendemann bereits vor gefühlten hundert Jahren. Die Vorstellung pflanzt allerdings nach wie vor recht amüsante Bilder in meinen Kopf. Doch Spaß beiseite, es wird schließlich kaum noch gelacht.
"In diesem Game bist du nicht mehr als ein Entertainer" heißt es in "Du Bist Kein Gangsta". Auch, wenn der Entertainer hier als Schimpfwort gebraucht wird: Etwas ausgeprägtere Fähigkeiten, sein Publikum bei Laune zu halten, stünden Jom & Said durchaus gut zu Gesicht: Man versucht sich - zumindest mit diesem Album - gerade auf dem Unterhaltungssektor statt in illegalen Aktivitäten.
Trotz der ganzen Mäkelei: "Alles Oder Nichts" stößt mir nicht halb so bitter auf, wie manch andere Absonderung aus Berlin in letzter Zeit. Abgesehen von der inhaltlichen Ödnis begegnet mir raptechnisch solide Wertarbeit. Die immer mehr um sich greifende Unsitte, die Betonung am Zeilenende hochzuziehen, nervt zwar zuweilen ein wenig, dennoch beißen sich Jom & Said - vollkommen ironiefrei, aber darauf kommt es bei der Betrachtung der Technik schließlich nicht an - sauber durch ihr Set. "Det läuft, Alter. Alter, det läuft."
Alpa Gun tönt in "Tut Mir Leid" zwar weniger wie der Löwe, der er gerne wäre. Sein kindliches Stimmchen weckt eher Erinnerungen an knuddelige Plüsch-Goleos. Ganz im Gegensatz dazu sticht unter den Feature-Partnern einmal mehr Harris heraus. Knurrig wie immer begleitet er den Weg "Von Unten Nach Oben" und sorgt (zum ersten Mal, in Track Nummer 8) für Anlass zum Schmunzeln. Danke dafür.
Dank auch an Kay Maaßen, der den Löwenanteil der Produktion zu verantworten hat und für wahrhaft stimmige Kompositionen Sorge trägt: Dicke Bässe, Streicherklänge und dazwischen wehende Stimmfetzen bereiten im Intro die Atmosphäre für wuchtige Beats, denen untergequirlte Gesänge, klimpernde Melodien oder auch mal Flötentöne oder eine Rührtrommel Luftigkeit verleihen. Dunkel wabert die Einleitung zu "Clubfieba", für dessen Instrumental Jom selbst ein schweißtreibendes, drückendes Monster kreiert. Die üppig verwobene, detailreiche Basis zu "Er Ist Ein Player" bastelt wieder Kay Maaßen, ebenso das Brett, das einem in "Überall" um die Ohren fliegt.
Ja ... und dann wäre da noch "Smile Now, Cry Later": der Hauptgrund, warum ich "Alles Oder Nichts" ein zweites, drittes und viertes und bestimmt noch nicht das letzte Mal aus dem Schrank geholt habe: Das Gangstertum, ob aufgesetzt oder nicht, fliegt endlich in die Ecke und macht ehrlich empfundenen Gefühlen Platz. Der Zorn, den menschliche Enttäuschung hervorbringt, scheint mit Händen greifbar. Geleitet von einem gepitchten Stimmsample gelingt die Gratwanderung zwischen gnadenloser Abrechnung und sentimentaler Rückschau ohne peinlichen Ausrutscher ins Heulsusentum. Nein, "Alles" ist das nicht, das Jom & Said zu bieten haben. Aber auch ganz und gar nicht "Nichts".
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