laut.de-Kritik

Temperamentvolle Songrevue mit der Wucht eines Livekonzerts.

Review von

Jools Holland ist vielen als Gastgeber seiner musikalischen Late Night-Show "Later With ..." bekannt, manchen auch aus seiner Zeit mit Squeeze in den 1970ern. Sein neues Album "Piano" ist ein furioses Feel-Good-Album geworden, das nebenbei Brian Eno als Gast auffährt.

Die Tracklist teilt der 59-Jährige in eigene Stücke und Coverversionen. Obwohl die Platte ein reines Studioprodukt ist, versprüht sie den Livespirit eines Konzertabends. Hollands Inspiration zu "Piano" entstammt schließlich auch einem Überraschungsgig im Londoner Bahnhof St. Pancras International Station.

Von den eigenen Tracks sticht gleich der Opener "May" heraus, ein schnurriges, kleines Lied über das Werk des französischen, 1992 gestorbenen Komponisten Oliver Messiaen. Dieser ließ sich mitunter von Vogelstimmen inspirieren. Holland verwendet nun einen Mitschnitt solcher Gesänge und komponiert eine Prélude als kontrastierenden Dialog. Das Ergebnis entfaltet intensive Schönheit.

Nach diesem eher getragenen Beginn schwenkt der Engländer um 180 Grad und hämmert sich als Ragtime-Pianoman durchs ausgelassene "Grand Hotel". Wie eine wilde Harlem-Absteige voll boogiesken Honky Tonk-Irrsinns, versetzt mit dezentem Dance-Beat. Letzterer möchte gern den Rahmen bilden, wird von der tosenden Klaviatur jedoch kurzerhand hinweg gefegt. Ein großartiges Detail! Holland komponierte die temperamentvolle Nummer mit seinem Kumpel Sting.

Floyd Cramers "Last Date" nimmt den Fuß etwas vom Gas und und lässt Eno Raum für ein paar Spielereien mit Vocals und Soundscapes. Richtig mitreißend gelingen die Blues- und Jazz-Tupfer: "Dorothy" interpretiert das Original von Voodoo-Blues-Legende Dr. John als sonnige Thekennummer.

Der für mich intensivste Moment ist das im Zentrum des Tonträgers platzierte "I Had It But It's All Gone Now" des großen Altmeisters des New Orleans Jazz Sidney Bechet. Dessen Einfluss reicht bis zu Van Morrison oder Radiohead. Hollands große Leistung besteht darin, den 70 Jahre alten Klassiker seiner angestammten Schablone zu berauben, ohne die Atmosphäre zu nivellieren. Gekonnt übersetzt er den Standard aus seinem Saxophon-/Klarinetten-Kontext für eine Solonummer am Piano.

Trackliste

  1. 1. May
  2. 2. Grand Hotel
  3. 3. Last Date
  4. 4. Bumble Boogie
  5. 5. Dorothy
  6. 6. Eruption
  7. 7. Upright and Grand
  8. 8. Christabel
  9. 9. Midnight Hour Blues
  10. 10. I Had It But It's All Gone Now
  11. 11. How Long Blues
  12. 12. Blue Lamp
  13. 13. Romantic Ruin
  14. 14. Bang and Pop
  15. 15. Red Ragtime
  16. 16. Strange Cargo
  17. 17. Roll 'Em
  18. 18. I'm In the Mood for Love

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