laut.de-Kritik
Raven für den Weltfrieden.
Review von Mirco LeierJoosts Disqualifikation vom Eurovision Songcontest 2024 schmeckte damals schon etwas sauer, sie wirkt rückblickend im Angesicht des tatsächlichen Tatbestandes aber geradezu lachhaft. Seinen Kindheitstraum, auf dieser Bühne zu stehen, bekam er einen Meter vor der Ziellinie aus den Händen gerissen. Insofern kann man den Niederländer schon verstehen, wenn das in ihm eine tief sitzende Abneigung gegenüber der europäischen Rundfunkunion gebar. Deren Motto "United by Music" nimmt Klein auf seinem neuen Album in der Folge in die eigene Hand, er liefert einen persönlichen Gegenentwurf zur benutzerfreundlichen Auffassung des ESC. In seiner musikalischen Welt hätte "Europapa" nicht nur die letztjährige Show gewonnen, sondern eröffnete fortan auch jedes Jahr als offizielle Hymne das Event.
In diesem Kosmos findet sich "Unity" vorrangig auf dem Dancefloor. Egal, ob auf den mehrere Hektar umfassenden Laser-Höllen der Großraumdisse, oder high von was auch immer die Jackentasche gerade hergibt in Onkel Rubens Garage: Solange getanzt wird, ist die Welt in Ordnung, und getanzt wird auf Joosts fünften Album fast immer. Nicht jede Person mag dafür empfänglich sein, aber wer zum Spaß keine intellektuelle Stimulation braucht, kann hiermit sicherlich eine gute Zeit haben.
Der Niederländer knüpft mit einem Großteil des Materials nämlich auf stumpfeste Art und Weise an jene Endorphin-Rezeptoren unserer Hirne, die seit den 90ern so gut wie niemand mehr ausreichend gefüttert hat. Das Resultat ist eine bunte Trash-Bombe aus Eurodance, Gabber, Happy Hardcore, und allem anderen, das die 150 BPM übersteigt und Spaß macht - und wenn ich "Trash" sage, dann meine ich Trash. Aber eben auf genau die liebevolle Art, die hier den Grundstein für diese Art Musik legt.
"Luchtballon" webt Richard Marx' "Right Here Waiting" in fast tranzendente Eurodance-Wonne, "1" münzt unter verstrahlter Zuarbeit von Scooter die Hook von Funs "We Are Young" mit dem Feingefühl eines in Pommes herumstochernden Wurstfingers zur Chipmunk-Hymne um, und "Kunst Und Musik" samplet ein virales Kinderlied über Lieblingsschulfächer quer durchs Strobo-Labyrinth. Mehr als einmal fühlt man sich wie ein Reh im Scheinwerferlicht eines Fünftonners, wenn die Erkenntnis einsetzt, was für unheilige Ausgeburten der Happy Hardcore-Hölle da gerade über einen drüberrollen.
Das ist jedoch als Kompliment zu verstehen, denn genau darin liegt der Reiz. Man rennt ja sehenden Auges in diese artistischen Bärenfallen, weil auf der anderen Seite der nächste, noch größere Endorphinschub wartet. Man kann sich über gute Tanzmusik sicherlich den Mund fusselig reden, aber man kann auch einfach mal den Rand halten und seine niedersten Triebe befriedigen, indem man seine Hände in die Luft streckt, während der Prophet H.P. Baxxter zu den Klängen eines Presslufthammers irgendwelche Wandtattoo-Sprüche vorliest, als wäre er Moses.
Den schmalen Grat zwischen Tribut und Parodie meistert Joost in diesem Gefilde weitestgehend, da trotz seiner überdrehten Persona und seinen Nonsens-Texten die tiefe Verehrung, die er für diese Art Musik verspürt, nie verloren geht. Für ihn sind diese Genres kein Witz, er versteht, wie sie ticken. Auf Songs wie "Gabberland" und "Filthy Dog", die den Humor etwas runter-, und dafür die BPM noch weiter hochschrauben, wird das besonders deutlich. Insbesondere letztgenannter Song weist mit seinem verzerrten Bass fast schon Industrial-Elemente auf und fährt eine härtere Gangart, die Joost grandios zu Gesicht steht.
Etwas anders sieht es jedoch aus, wenn der Niederländer den Safe Space des Dancefloors verlässt. Joosts musikalische Palette mag bunt sein, aber allzu versatil fällt sie bislang noch nicht aus. Mit sämtlichen Versuchen, seinen Sound etwas zu diversifizieren, fällt er über die eigenen Füße. "Why Not???" beißt sich am Pop-Punk relativ trostlos die Zähne aus. Der EBU-Disstrack "United By Music", der deren Doppelmoral angesichts seines Rauswurfs aufs Korn nimmt, mag einen wahren Kern haben, aber klingt dennoch nach der Balla Balla-Comedy eines Oliver Tree, über die man am Ende des Tages meist eher die Augen verdreht, bevor sich die Mundwinkel nach oben bewegen. Auch der Nederpop-Song "Discozwemmen" und der fade Dance-Closer "Last Man Standing" gehen angesichts der Energie, die das Album sonst so hergibt, ziemlich sang- und klanglos unter, und das mittlerweile zu Grabe gespielte "Friesenjung", fühlt sich rückblickend wie ein etwas halbgarer Kompromiss für den deutschen Mainstream-Gaumen an, der in Ski Aggus Diskographie deutlich besser aufgehoben scheint als in der von Joost.
Hier und da versucht der 27-Jähige auch noch einmal, etwas mehr emotionalen Wert und vielleicht sogar die ein oder andere Träne aus seinem ESC-Debakel zu wringen, dabei war diesbezüglich eigentlich nach den abschließenden Worten von "Europapa", die hier einen eigenen Spot in der Trackliste bekommen, schon alles gesagt.
"Unity" ist eine Knalltüte von einem Album, die ebenso spaßig wie auch zusammengewürfelt und wie aus der Hüfte geschossen daherkommt. Viele Ideen hätten sicherlich noch einmal in den Ofen gemusst oder gar komplett auf ein anderes Projekt gehört. Dennoch erweist sich der Rave im Kern dieser LP als resilient und unwiderstehlich genug, um einem seine Message mit ausreichend BPM und Nostalgie aufs Trommelfell zu tätowieren. Viele der Songs hier hätten es verdient gehabt, auf der ESC-Bühne stattzufinden. Aber alle, denen auf dem Heimweg vom Club schonmal die Ohren surrten, wissen, dass sie sich woanders ohnehin deutlich wohler fühlen.
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