laut.de-Kritik
Ein poetisches Werk, das den Stimmlosen eine Stimme gibt.
Review von Toni HennigVor rund dreißig Jahren begann die nunmehr 61-jährige Norwegerin Kari Bremnes ihre Karriere als Sängerin und Singer/Songwriterin. Sie gewann drei Mal den Spellemannpris, die wichtigste musikalische Trophäe in ihrer Heimat, was sie jedoch nicht extra auf ihrer Homepage betont. Auch auf "Det Vi Har" präsentiert sie sich von ihrer zurückhaltenden Seite.
So beginnt das Album mit "Det Kunne Skjedd" mit einer intimen Pianoballade, die Bilder von verschneiten Winterlandschaften vor dem inneren Auge des Hörers kreiert. Nach und nach erreicht das wärmende Organ der Wahl-Osloerin immer emotionalere Sphären. Zusätzlich erzeugen die atmosphärischen Synthies in diesem Track das Gefühl von Weite und Erhabenheit. Über die Gesamtlänge dürfte daher für Kopfkino gesorgt sein.
Schon auf dem Vorgänger "Og Så Kom Resten Av Livet" von 2012 hat sich Kari Bremnes, die auf den Lofoten ihre Kindheit verbrachte, vom klassischen Bandsound gelöst und mehr Elektronik in ihre Musik eingewoben. Ähnlich arbeitete sie an diesem Werk. Synthetische Klänge beherrschen die einzelnen Songs, ohne dass sie auf organische, akustische Elemente verzichtet. Für die reduzierte Soundästhetik zeichnet größtenteils der Pianist, Keyboarder und Produzent Bengt E. Hanssen verantwortlich.
Weiterhin zieht sich eine nachdenkliche Grundstimmung durch die gesamte Platte. Schließlich beeinflussen die kalten Temperaturen nördlich der Polarkreisregion die Kunst der Skandinavierin grundlegend. Trotzdem findet sie in melancholischen Nummern wie "Det Einaste Vi Ville" und "En Sang Fra Andre Sia" stets ein paar zuversichtliche Worte in ihrer Muttersprache. In ihren Texten, die im Booklet in deutscher Übersetzung vorliegen, befasst sie sich mit den verwirklichten und verpassten Chancen im Leben.
In "Rim Sin Stemme" erzählt sie die tragische Geschichte der palästinensischen Liedermacherin Rim Banna, die während des bewaffneten Konfliktes im Gazastreifen wieder auf die Bühne zurückkam, obwohl sie gegen eine Brustkrebserkrankung ankämpfen musste. Kurz darauf verlor die selbsternannte Patriotin aus Nazareth wegen einer linksseitigen Stimmbandlähmung ihre wichtigste Waffe im Kampf gegen die Unterdrückung. Mittlerweile hat sie den Krebs besiegt. Beide Musikerinnen haben gemeinsam gesungen. Sie eint ein freundschaftliches Verhältnis.
Das Stück baut mit pluckernden Rhythmen und dunklen Keyboardklängen eine schwermütige Atmosphäre auf. Dadurch entfalten die bedächtigen Zeilen von Kari Bremnes eine intensive Wirkung. Sie beklagt in dem Song, dass der Krieg Rim Banna die Stimme geraubt hat, und ermutigt somit, sich aktiv für den Frieden einzusetzen. Ihrer Kollegin setzt sie mit dieser berührenden Nummer ein würdiges, poetisches Denkmal.
Insgesamt untermauert die Norwegerin ihre Qualitäten als Storytellerin auf dieser Scheibe beeindruckend. Deshalb verzeiht man ihr die gewöhnungsbedürftigen Spoken-Word-Einlagen in "Det Må Være Orden". Dennoch verlässt sie mit diesem Track zumindest gewohntes Terrain.
Ebenso beschreitet sie mit den beiden Electro-Pop-Stücken "Glem Ikkje" und "Kanskje", die rhythmische Bass- und Gitarrengrooves mit einer eleganten Melodieführung verbinden, neue Wege. In "Spor" erinnert sie uns zum Abschluss mit ihrem ausdrucksstarken Gesang zu dramatischen Disco-Sounds an unsere Vorfahren.
Letzten Endes transportiert Kari Bremnes auf "Det Vi Har" positive Botschaften in einem stimmungsvollen Ambiente. Auf ihre Stärken als Singer/Songwriterin besinnt sie sich. Ihre Musik weist überdies nur minimale Veränderungen auf.
Für audiophile Hörer dürfte die kristallklare Produktion darüber hinaus ein Erlebnis sein. Schön, dass es solche hochwertigen Platten im Zeitalter des Streamings noch gibt. Ein Argument dafür, dass die CD alles andere als ausgedient hat.
Noch keine Kommentare