laut.de-Kritik
Starke Stimme aus Shaggys Umkreis.
Review von Philipp KauseKhalia Smith ist eine dezent lasziv klingende Newcomerin aus Jamaika, die in ihren Grundschul- und Teenie-Jahren in London aufwuchs, "Stay True" heißt ihre Debüt-EP. Die Beat-Muster des dortigen Reggae vermählt sie mit R'n'B, womit sie fortsetzt, was in den 2010ern schon Tessane Chin und Denyque machten oder in den 1990ern Diana King. Khalias Standard-Stimmlage und -farbe sticht als tief und rauchig im R'n'B-Umfeld heraus. In manchen Momenten, zum Beispiel im Refrain des Openers "Waiting On You" schwingt sie sich zu Whitney Houston-Tonhöhen auf, was ihr sehr gut gelingt.
Die 28-Jährige veröffentlicht bei einem US-Label, eine Strategie, die auch demnächst ihr Duettpartner und Soul-Reggae-Crooner Mortimer McPherson verfolgt, dessen Debüt im ersten Halbjahr 2024 bevor steht. Im tiefenentspannten "Tings And Time ft. Mortimer" harmonieren die beiden Nachwuchs-Artists zauberhaft. Warum überhaupt ein Debüt mit 28? Der Lockdown bremste Khalia mitten im ersten Tournee-Aufwind.
Wie man den wichtigen US-Markt für Reggae knackt, weiß keiner besser als das berufsjugendliche Chamäleon Shaggy, der mir mal wörtlich in einem Interview einhämmerte, er sei auf Spotify bei den Reggae-Acts "immer unter den Top 3. Ich habe mehr Streams als diese ganzen Motherfuckers", wobei er offen ließ, wer diese Motherfuckers denn sind. Die von ihm durch ein Demo-Tape entdeckte Khalia hoffentlich nicht. Seit ein paar Wochen Betreiber einer Radiostation, inzwischen Sinatra-Cover-Künstler und auf hundert Hochzeiten am Tanzen, pflegt er in "Double Trouble ft. Shaggy" den gewohnten unbestimmbaren Shaggy-Wabbelsound und lässt unweigerlich Extremitäten zucken.
R'n'B-Ambitionen kann man auch der Dancehallerin und Lovers-Poetin Tanya Stephens nicht absprechen, und mit ihr ein Feature zu machen, zeichnet jede Newcomerin aus. Khalia erzählt überall, wie geschmeichelt sie sich fühlt, und nutzt die Chance für einen Track mit viel Content und Message. Nach einem Tanya-Album, das 2010 nur einem deutschen Printmagazin beilag, hielt sich die Rasta-Röhre bis auf den Bernie Sanders-Wahlkampfsong "Bernie A Di Realist" ein ganzes Jahrzehnt lang zurück. Bis sie den Lockdown nutzte, um jeden Tag einen neuen Track auf YouTube hochzuladen. Über 50 neue hat sie nun, 50 Jahre ist sie als und fügt sich natürlich ins Stelldichein der Generationen: "No Answer ft. Tanya Stephens".
Auch ohne Bernie claimen die beiden starken Kehlen hier politischen Gestaltungswillen. Mimisch, körpersprachlich, schnitttechnisch und in seiner Klarheit zählt der Clip zu den gehobenen Visuals des Video-Jahres. Darauf legt Khalia großen Wert. "Ich hab festgestellt, dass Leute mit ihren Augen hören", eröffnet sie im Magazin JamaicansMusic. "Schöne Visuals von allem, was ich mache, zu liefern, ist also eine Sache, auf die ich mich zurzeit fokussiere."
Brennende Autos, Meldungen über Inflation, viel Zustandsbeschreibung in den Medien, kaum Bewegung in der Politik. "Protestmusik ist - leider - etwas, das stattfinden muss, weil sie die Wirklichkeit widerspiegelt", gibt Khalia im DancehallMag zu bedenken. "Ich würd's ja bevorzugen, wenn ich diese Songs nicht singen müsste. Aber es braucht diese Message. Wir müssen das System herausfordern und auf Veränderung dringen."
Es handelt sich nicht ums erste Lied, in dem Khalia auf den Brain-Drain, gut ausgebildete Fachkräfte ohne Job-Chance, aufmerksam macht und aufs Phänomen, dass die jungen Akademiker:innen in Scharen nach Kanada, New York oder Florida abströmen. Die Wirtschaftspolitik der Insel Jamaika halten Khalia und Tanya für verfehlt, Stephens kläfft "it seems the master plan / is to censor opposition", und Khalia kritisiert, dass Abgeordnete sich erst im Wahlkampf um die Mehrheit scherten: "politician only care when election ah come 'round."
Für die fetten Beats und geschmeidigen Harmonien sorgt auf fast allen Tracks Shaggys alter Buddy Tony Kelly. Auf sein Konto gehen Mad Cobras Superklassiker "Flex (Time To Have Sex)" und Sean Pauls "Like Glue". Er kassierte insgesamt vier Grammys für Alben, die er produzierte, vernetzte Khalia frühzeitig mit "Cheerleader" OMI und übernahm die Rolle ihres Managers.
Das rhythmisch sehr effektive "Go ft. Blvk H3ro" - der Gast spricht sich 'Black Hero' aus -, und der Titelsong "Stay True" pulsieren auf Dance-Pop-Terrain. Auch diese beiden sind markante Tunes und machen die EP gehaltvoll. Ein Longplayer ist das zwar noch nicht, eine EP mit sieben Cuts in diesem Musik-Genre heute aber beinahe etwas Außergewöhnliches. "Ich glaube, Beyoncé sprach es aus: 'Leute veröffentlichen keine Alben mehr'. Aber ich finde das immer noch wichtig", insistiert Khalia im DancehallMag. "Es ist wichtig, etwas Gesammeltes zu haben, so dass Hörer:innen auf einen zeitlichen Rahmen referieren können, wenn sie verfolgen, wie du als Artist größer wirst und dich entwickelst. Es ist gut, wenn Leute sagen können, 'ich mochte Khalia in ihrer 'Stay True'-Phase', und dann definiert mich das Album in einer bestimmten Zeit. Belasse ich es bei einer Serie von Singles, woran lässt sich dann die künstlerische Weiterentwicklung bemessen und auf den Punkt bringen?" - Gut jetzt schon zu wissen, dass man auf diese EP in 20 Jahren zurück blicken wird - aber sie ist auch wirklich ein Schmuckstück.
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