laut.de-Kritik
Agallochs Reinkarnation destilliert die Essenz des Grauens.
Review von Ulf KubankeKann man die Essenz des Grauens zu Gehör bringen? Das Wesen des Bösen erfühlbar machen? Falls die Antwort "Ja" lautet, bedarf es dazu eines ganz und gar leeren Raumes, eines Orts der Einkehr, der dem Medium als Gefäß dient. Der Name Khôrada stammt aus dem Altgriechischen und bezeichnet solch ein Behältnis.
Zur Verwirklichung des Plans könnte es kaum einen geigneteren Kandidaten geben als diese Band. Immerhin sind sie quasi die Reinkarnation von Agalloch. Genauer gesagt, handelt es sich bei Khôrada um drei Viertel Agallochs plus Giant Squid-Kopf Aaron John Gregory. Nach dem betrüblichen Dahinscheiden beider Acts erhebt sich "Salt" aus deren Asche. Kein Phönix, eher ein Brachvogel, der alle Verkommenheit auf den Schwingen trägt, um selbige den Menschen als Spiegel vorzuhalten.
Dieses sieben Lieder währende "Salz" trägt keinerlei Brot an seiner Seite. Es vernichtet Ernten und ruiniert den letzten Rest Fruchtbarkeit. Die wurmstichige Tönung des von Cedric Wentworth entworfenen Artworks findet ihre Entsprechung in der eitrigen Klangfarbe der Musik. Eine passende Schublade existiert nicht. Epischer Metal? Gothic Prog? Sludge auf Koks? Im marschierenden "Glacial Gold" vernimmt man sogar angedeutete Postpunk-Elemente. Spätestens nach zwei bis drei Durchläufen erschließt sich dem Hörer peu à peu die nuancierte Komplexität, ihr virtuoser Umgang mit Tönen wie Worten und der hohe Unterhaltungswert dieser Kaputtheit.
Bezeichnenderweise verzichtet das Quartett auf stereotype Szene-Okkultismen. Alle Verderbtheit entspringt einer rein irdischen Quelle: dem Menschen. Die Fäulnis entsteigt dem Pesthauch von Krieg, Umweltzerstörung, Totalitarismus, Rassismus, Terror und Gleichgültigkeit. Ohne das hauseigene Biest unter vielen direkt namentlich zu nennen, brandmarken die Amerikaner den Aufstieg der Alt.Right im allgemeinen und geißeln Trumps Ideologie im Besonderen. "Wir leben in bedenklichen Zeiten. 'Salt' entstand unter dem Druck und der Unsicherheit der Ära Trump und versteht sich als musikalische Erkundung des alltäglichen Irrsinns, den wir nun erleben."
A ravenous population richtet den Planeten im Anspieltipp "Edeste" fast zugrunde. Der Planet selbst stoppt die menschliche Höllenbrut mittels Seuche, Sturm und Sintflut. Khôrada legen den Song als sich selbst zersetzende Totenklage an. Man beachte die großartigen Stereospielereien. Der linke Kanal widerspricht der rechten Tonspur und ergänzt sie zugleich vortrefflich.
Inmitten des Infernos fahren sie den Song urplötzlich für ein letztes Lamento herunter. Danach macht die Natur den Sack mit finalem Getöse unumkehrbar zu, "before man has the chance to gnaw her to the bone".
5 Kommentare
4 Sterne vom Anwalt?....läuft!
Hatte das Ossify schon vor ein paar Wochen gehört und fand es da schon extrem misslungen. Insbesondere der Gesang geht gar nicht, und das sag ich als Giant Squid Fan.
Das ist vorgemerkt.
die essenz des grauens ist dein verschwurbelter schreibstil, anwalt.
Definitiv interessant. Habe komplett verpasst, dass Agalloch sich aufgelöst haben. Wie schade.