laut.de-Kritik
"Ich wünschte, es täte einen Knall, und die Psyche wäre aufgeräumt."
Review von Artur Schulz"Wir können nie mehr nach Manderley zurück, das ist gewiss. Aber im Traum zieht es mich immer wieder dorthin - zurück zu jenen seltsamen Tagen meines Lebens..."
Was die Erzählerinnen-Einführung aus Alfred Hitchcocks stilvoll-düsterem Romantik-Thriller "Rebecca" des Jahres 1940 mit "Blick Ins Tal", dem neuen Album von Kitty Hoff & Forêt Noire zu tun hat? Nun, alles begann mit einem Post-Umschlag. Ich öffnete ihn erwartungsfroh, doch statt neuer Alben enthielt er lediglich ein zwar kleines, doch gewichtiges leinenes Büchlein. Vorsichtig schlug ich es auf - ein Fotoalbum. Eines im Stile jener alten, vergangenen Tage, das man vielleicht noch bei den Urgroßeltern findet; mit schwarzen Seiten, und darüber durchscheinendes, spinnennetzartig geädertes, pergamentenes Schutzpapier. Vorsichtig schlug ich es auf und begann zu blättern: Mit verblasster Patina vergangener Tage versehene Fotos sind darin eingeklebt, darunter sind seltsam anmutende, poetische Texte zu lesen - und ganz hinten, auf der letzten Seite, schimmert einladend eine CD. Kompliment an die Promotion-Abteilung: Eine derart liebevolle und elegante Präsentation einer CD ist mir bislang noch nicht untergekommen.
Kitty Hoff und ihrer Band Forêt Noire gelingt auf den vierzehn Titeln des Albums Erstaunliches: Sie entführen vordergründig häufig in eine Welt, die schon lang, lang zurückliegt. Das Entscheidende dabei: Hier handelt es sich nicht um den faden, Cocktail-heischenden Aufguss vergangener Stilformen - nein, Rumba, Tango, Chanson, 20iger Jahre-Schlager und Jazz, eingebettet in einen mondänen Pop-Appeal, gehen eine beschwingte Ehe ein - wirken dabei absolut frisch und verursachen nachhaltiges Prickeln. Ein außergewöhnlicher Geniestreich: Die überzeugende Entführung in vergangene Zeiten, die frei von jeglichem Retro-Moder daher kommt und mit einer intelligenten Text-Wucht versehen ist, was in deutschen Landen selten genug geschieht.
"Blick Ins Tal" hat seine heiteren, beschwingten Momente - doch hinter manch luftiger, freundlich schimmernder Song-Fassade lauert Unausgesprochenes, Bedrohliches, latent Neurotisches. Hörer, gib acht! An jenem Abend tauchte ich tief in die Arbeiten von Kitty Hoff und ihren wunderbaren Begleitern - und ständig änderten sich Raum und Zeit; war dies noch mein Wohnzimmer? Mir schien, ich stand auf einem Flur im Obergeschoss jenes sinistren Hauses Manderley - und hinter jeder Song-Tür, die ich öffnete, erwartete mich ein neues, aufregendes Abenteuer.
Hinein also in andere Welten, in oft schon verloren geglaubte Zeiten von Stil, Eleganz, Noblesse und versteckten Boshaftigkeiten. Schwelgerisch-romantisierend deutet Kitty Hoff den landläufigen Begriff der Blauen Stunde in der Traumwelt zwischen schwindendem Tageslicht und heraufdämmerndem Abend vollkommen neu und erscheint in seiner thematischen Ausführung als konsequente Fortentwicklung von Rosenstolz' schwärmerischer Suizid-Ballade "Perlentaucher": "Blaue Stunde/wir tauchen tief/denn auf dem Meeresgrunde/ist Zeit relativ". Verpackt in leise schwingenden, von jazzigen Applikationen unterlegten Wohlklang, zieht der elegante Song unwiderstehlich in jene Tiefen hinab, in denen die wirklichen Fragen warten. Nachdenklich klingen Kittys Betrachtungen aus dem Zugfenster in "Finis": "Draußen fliegen sie vorbei/die Orte, wo man nicht mehr hält". Der Kampf um den (Berufs-) Erfolg geschieht mit charmanten Metaphern in "Gipfelsturm": "Die Berge rücken näher/Und die Lüfte werden dünn/kurzer Blick hinauf/da - muss ich hin".
Verspielt-neurotisch tanzt der "Psychosenswing" unwiderstehlich den Hörer an: "Ich wünschte, es täte einen Knall/und die Psyche wäre aufgeräumt" ist die Hoffnung Hoffs, dazu "Ein Glitzern, ein Glänzen überall/Vom Komplex bis zum Tablettenschrank". In bester Gassenhauer-Tradition der zwanziger und dreißiger Jahre beleuchtet die Künstlerin das Aufmerksamkeit heischende "Toc-Toc-Toc" der Menschheit - und findet amüsante Wortspiele für das ewig andauernde (Rythmen-)Spiel um die eigene Nichtigkeit, die schlussendlich stets in austauschbarer Belanglosigkeit gipfelt. Als besonders funkelnder Edelstein unter Kitty Hoffs ausnahmslos einzigartigen Song-Pretiosen hinterlässt "Take Care (Prophylaktisch)" ziemliches Unbehagen beim aufmerksamen Zuhörer.
Zwar ist die Sängerin hier voll der Vorsicht und Hingabe um den Geliebten - und schnürt ihm deshalb das wohl wunderlichste Waffen-Bündel der (Musik-) Geschichte: "In New York werd' ich Magnolien holen/in Oslo kauf' ich ein Seil/auf dem Hochsitz irgendwo in St. Moritz/schnitze ich einen giftigen Pfeil/in Rom kauf' ich Schiffe und eiserne Griffe, in Rotterdam Kerosin/in Odessa sind sie besser, die Messer/den Rest gibt es sicher in Wien". Sie ist besorgt um den Geliebten: "Vorsicht mit den Klingen, sie springen/wenn man sie zu hastig versteckt/die dunklen Gläser enthalten Reste für Gäste/die man in der Kammer versteckt". Doch mit zunehmender Hördauer wird es dem Geliebten bang ums Herz, mit wem er sich da eigentlich eingelassen hat: "Doch prophylaktisch bitt' ich dich/verlass mich nie", haucht sie mit drohendem Unterton in der Stimme, die danach ein düsteres, furchteinflößendes Heavygitarren-Solo unterstreicht.
Doch Kitty lässt ihm die Wahl, seine "Große Freiheit" zu suchen, denn sie weiß, was ihn erwarten wird: "Dann stehst du am Strand im weißen Sand/und das große blaue Meer rauscht dir das Köpfchen leer". Das beschwingte "Sommer Auf dem Land" erfüllt natürlich auch nicht unbedingt genormte Hörerwünsche: Zu Beginn prasselt Regen aus den Boxen. Keine Spur von sonnendurchfluteten Tagen. Die "Walzerkönigin" führt im Arrangement einen spannenden Kampf zwischen Walzerseligkeit und perlenden Jazz-Läufen. Es ist ein wunderbarer, aufregender Ort, das Song-Manderley von Kitty Hoff; mitsamt all seinen mondänen Salons, versteckten Fluchten und dunklen Geheimnissen, die in den Keller-Gewölben lauern. Elegant-pathetisch, an ein verlorenes Filmmusik-Fragment erinnernd, beschwört "Wintermeer" an der Küste vergangenen Glücks das Gestern: "Gedanken fliegen weit zurück/ich rausche mit dem Meer ein Stück".
"Wir können nie mehr nach Manderley zurück, das ist gewiss. Aber im Traum zieht es mich immer wieder dorthin..." Immer, wenn es mich danach gelüstet, werde ich ein kleines, leinenes Büchlein vom Regal nehmen, die darin enthaltene CD in den Player einlegen, und eintauchen in eine "Blaue Stunde", untermalt vom "Psychosenswing", bis die Stimme der "Walzerkönigin" mir prophylaktisch "Take Care, My Dear" ins Ohr haucht. Danke, Kitty Hoff - ich werde Deine mir zugesandten Schätze pflegen und bewahren; und nicht verzagt sein, wenn mir doch noch etwas fehlen sollte. Denn: Den Rest gibt es sicher in Wien.
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