laut.de-Kritik
Man sucht sich wohl besser einen neuen Gott.
Review von Franz Mauerer"Bewaffnet/ bis an die Zähne bewaffnet/ Du lachst mit/ solang der Finger nicht abdrückt" ist das erste (nach dem Tarot-Intro), was Hakan Halaç von Kora Winter auf "Gott Segne, Gott Bewahre" einem entgegenschleudert. Die Scheibe ist bis auf die Interludes und den Closer eine durchgehend aggressive Angelegenheit, die fast schon körperlich anstrengend ist, aber auch lohnend. An "Bitter" war 2019 beeindruckend, wie zielgerichtet eine deutsche Band an der Schnittstelle von allen möglichen Metal- und Core-Spielarten arbeiten. Dabei spielten sie mit abrupten Tempowechsel und besaßen auch den Mut zur Melodie mit Pop-Appeal.
Die Wandlungsfähigkeit ist nicht mehr das große Ass im Ärmel der Berliner, dafür legen sie im Vergleich zum Vorgänger zu viele Metal-Elemente ab. Kora Winter sind auf "Gott Segne, Gott Bewahre" eine Core-Band, die Gitarristen Bartels und Sayili sind zum Druckmachen da, nicht zum Gniedeln. Das funktioniert exzellent, weil beiden diese Aufgabe sehr bewusst zu sein scheint und sie in ihr aufgehen: "Neuer Tag Im Rattenloch" fungiert als Musterbeispiel für das Dauergewitter, das die beiden abschießen und immer wieder, wie auf "Mann Gegen Mann", gekonnt mit Zumbasens Schlagzeug abstimmen. Sie sind damit deutlich dominanter als Köberich am Bass, der nur auf dem schwächeren ersten Part von "Frontal Ins All" prägend auftritt, zumal er beim schwachen, weil kitschigen, Closer "Schuld" am Mikrofon steht.
"Gott Segne, Gott Bewahre" überzeugt mit seiner Homogenität und seiner Kohärenz, die sich auch inhaltlich durchzieht. "Der Missratene Sohn" ist ein Grower, dessen auftrumpfende Wellen wie ein Springbrunnen immer wieder nach oben streben, nur um zu verrecken. Nicht jede Idee auf dem Album kommt eine sehr guten gleich, aber vor allem Halaç fängt immer wieder die Musik ein. Sei es am Ende von "Der Missratene Sohn", wenn er einen, zum Rest des Songs völlig unpassend, aber musikalisch großartig, verständnisvoll verabschiedet oder wenn er auf dem im Riff starken, aber fast schon überkomplexen "Neuer Tag Im Rattenloch" die Konstante bildet, die der etwas disparate Song braucht.
Inhaltlich bilden die 15 Sekunden des Intros den Rahmen, in dem Halaç über sich nachdenken kann; ein netter Kniff, der die Hast des Albums organisch erklärt. Kora Winter geben weiter keine einzige Antwort, die Idenitätszweifel des Sängers geraten aber sehr unterhaltsam, da sie immer wieder von Profanem gebrochen werden. Hakan selbst ist offensichtlich bewusst, dass seine Migrationsgeschichte einzuordnen im Vergleich zu vielen anderen Leiden weltweit ein krasses first-world problem ist. So auf "Das Trauma, die Trauer" in der Dissonanz zwischen Textstellen wie "Müde Beine an der Kreuzung vor der Auffahrt Tempelhof/ meine Sehkraft immer schlechter mit den Jahren" und "Ich bin gefangen in meiner Klasse/ seh' nich' aus wie ein Kanacke/ Dann erzähl mir/ wie ich auszusehen hab". Das nimmt nicht an Legitimität, im Gegenteil ist diese Reflexion wohltuend und die Suche umso authentischer. Wenn Taby Pilgrim auf "BBDDSSMM" fragt: "Wovor hast du Angst?", dann steckt da ein "eigentlich" drin.
"Marmelade" und "Das Trauma, Die Trauer" sind das stärkste Paar des Albums, beide klingen deutlich stärker als der Beginn der Platte. Punktet "Marmelade" mit seiner Dynamik, ist "Das Trauma, Die Trauer" ein egomanischer Strudel, der auf beiden Songs punktuell mit für Kora Winter neuen elektronischen Elementen ergänzt wird. Sorgfältigst konstruiert und doch fast schon deterministisch organisch, eine einzige Freude. Dazu gesellt sich das durchgehend gutturale "BBDDSSMM", bei dem jeder Konsonant für einen Schlag in die Magengrube steht, und zum Schluss hin in eine Art Speed Sludge abdriftet. "Alle Gegen Alle", die stärkste Leistung von Halaç, lebt eben davon, dass die Band und er sich nicht immer genau treffen und miteinander wettstreiten.
Die Idee von "Frontal Ins All" trägt nicht weit genug und "Mann Gegen Wand" fällt zu simpel aus. Das schmälert den hervorragenden Eindruck von "Gott Segne, Gott Bewahre" aber wenig. Mit so viel kunstfertiger Aggression wird man in hiesigen Gefilden selten versorgt, zumal, wenn die Lyrics tatsächlich Spaß machen. Alleinstellungsmerkmal erhalten.
1 Kommentar mit einer Antwort
Warum vergleichen die sich mit Turbostaat (auf was auch immer)? Turbostaat sind natürlich einfach wunderbar, aber die Band hier braucht den Vergleich nicht, find ich.
Solche Bands gibt es ja öfter, aber so cool wie hier hab ich das lange nicht gehört. Voll gut!
Detlef wird wieder alles mit Gitarre für 3000 Jahre killen. Trotzdem ist das hier ne super Platte, oder ich hab Midlifecryschiss.
Tippe auf letzteres. Wenn Turbostaat auch nur rudimentär als Vergleich taugen, ist die Platte hier natürlich komplett für die Tonne, ebenso wie alle, die folgen werden. Sehr schade ist das, von daher leider nur 1/5.