laut.de-Kritik
Wie viel Nostalgie darf erlaubt sein?
Review von Johannes JimenoGroße Namen legt man selten gerne ab, tragen sie doch stets Reminiszenzen an vergangene Zeiten von Glanz und Gloria. Eben diese überstrahlen bei der Fangemeinde oftmals die abfallende Qualität, die sich in der Zwischenzeit einnistet, oder man begegnet den neuen Werken wohlwollender als bei Newcomern. Neil Barnes dachte sich vor acht Jahren, dass er den Leftfield-Rucksack auch alleine heben kann und feierte damit ein Comeback. "Alternative Light Source" überraschte mit Abwechslung und gar nicht mal so viel nostalgischen, für das ehemalige Duo bekannten Tönen. 2022 sieht das anders aus. "This Is What We Do" legt den Rückwärtsgang ein und frönt den 90ern. Ein überaus passender Albumname.
Das Anfangstrio wirft sogleich die Zeitmaschine an. Der Titeltrack brummt und poltert, stoische Rave-Ansagen, Talkbox, Cowbell und Filter-House sorgen für Atmosphäre. "Full Way Round" mit Fontaines D.C.-Frontmann Grian Chatten lädt in einen dunklen, unheilvollen Bigbeat ein, samt aufhellender Momente. "Making A Difference" lässt den britischen Autor und Radiosprecher Lemn Sissay ans Mikrofon, während spacige Synth-Flächen und leichter Trance die Bassdrum füttern. Erinnerungen an die Pet Shop Boys inklusive.
All das ist handwerklich solide produziert und macht Spaß, das Niveau nimmt bei zunehmender Spieldauer aber leider ab. "City Of Synths" verkommt zur schleppenden und lauwarmen Variante von Daft Punks "Human After All", da helfen auch die an John Carpenter angelehnte Struktur oder die ziellos eingesetzte Roboterstimme, die "unique" vor sich hin plärrt, redlich wenig. Der Acid Trance House "Pulse" pluckert ebenfalls viel zu gefällig dahin und fällt nicht groß auf.
"Machines Like Me" besitzt einen gewissen Charme. So, als würden Androiden versuchen, eine Ballade zu schreiben. Trotz erneutem Einsatz von Filter-House gerät dieser Schunkler zu lang, uninspiriert und genügsam. "Rapture 16" mit dem Reggae-Veteranen Earl Sixteen beherbergt indes interessante Ansätze, die in der Summe aber keine Kohärenz aufweisen. Der Track stolpert somit verloren durch den Gehörgang. Weitaus besser spinnt Barnes die Fäden bei "Heart And Soul" zusammen, wenn tanzbare Beats und eine feine Bassline die Melodien vereinen, die sogar einen leicht orientalischen Einschlag besitzen.
Unglücklicherweise folgen im Anschluss keine weiteren Highlights mehr. Der frenetische Progressive Techno "Accumulator" gleicht in der Mikrowelle aufgewärmten Pommes. So labbrig, bieder und altmodisch gestaltet sich der Song. Klares Lowlight des Albums. "Come On" sorgt für innere Unruhe und fehlende Balance, wenn seltsame Tempi sich überlagern und miteinander konkurrieren. Der Rausschmeißer "The Power Of Listening" beginnt zunächst homogen. Ein großflächiger Breakbeat und schöne Synths schmeicheln den Ohren. Warum muss dann in der Mitte ein atonales und völlig wahlloses Synthfanfaren-Gewitter über uns hereinbrechen? Am Ende fragt man sich zurecht "Woran hat et jelejen?". (Anm d. Red: Am Ende fragt man sich immer, woran et jelejen hat!)
Auf "This Is What We Do" stellt sich Barnes selbst ein Bein, da er gute Ansätze mit fragwürdigen Ideen torpediert. Das ist extrem schade und deswegen kann man ihm auch nicht wirklich böse sein. Nostalgische Wärme serviert er allemal, doch die Frage bleibt, wie viel darf davon noch erlaubt sein. Nach mehrmaligen Hören wirkt das Album zudem so, als wäre es sein eigenerer Radiosender auf einem "Grand Theft Auto"-Soundtrack. Zum nächtlichen Cruisen durch Las Venturas taugt es auf jeden Fall.
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