laut.de-Kritik
Überfülle an Einflüssen.
Review von Hannes HußNaja, so ganz passt hier etwas nicht. "Complex Happenings Reduced To A Simple Design" klingt nach dem großen Schritt nach vorne. Nach den zwei hochgelobten Alben "Leoniden" und "Again" hatten sich die Leoniden einen ziemlich guten Ruf erspielt. Mit einem energetischen Mix aus 2000er Indie-Rock und Anleihen aus Techno, Pop oder Hip Hop waren sie nicht nur die Lieblinge der Musikpresse, sondern auch gern gesehene Festival-Acts. Eine Indie-Band aus Deutschland, die international und frisch klang, anschlussfähig für so ziemlich alle.
Die dritte Platte fährt die Ambitionen nun deutlich hoch. 50 Minuten lang erkunden die Kieler um Sänger Jakob Amr noch einmal viel viel mehr Teile der Musiklandschaft. "Medicine" nimmt sich Hardcore vor, "Disappointing Life" klingt wie ein überwältigender 90s Alt-Rocker mit Fanfare, "Home" experimentiert mit schwerfälligen Rock-Elementen. Dazu kommen natürlich noch die fünf Interludes, alle betitelt als "Complex Happenings". Jeweils eine ungefähre Minute lang toben sich die Kieler hier vollends aus. Blubbernder Techno, Free Jazz-Anliehen oder Hardrock werden hier aufgeführt, aber (wie an den Songlängen vielleicht zu erkennen ist) nie zu Ende gedacht. Es klingt mehr nach einem "Schaut mal her, was wir alles können" als einem substanziellen Beitrag zum Album.
Am besten sind die Leoniden dabei, was sie schon so oft brillant exerziert haben. Knackige, clevere Indierock-Songs, schamlos vollgepackt mit Pop-Appeal und überlebensgroßen Refrains. Die Vorabsingle "LOVE" beginnt ganz reduziert am Klavier, überdreht aber schon in der ersten Strophe, lässt im Refrain alle Hemmungen am Straßenrand, vermischt Streicher, Chöre und Riffs so heavy, dass Tony Iommi die Vaterschaft gerichtlich überprüfen lassen will. Eben ein klassischer Leoniden-Hit.
"New 68" hingegen klingt anders. Die Band fordert eine neue 68er-Bewegung, die auf die Straßen geht und endlich den Wandel bringt, den sie so dringend vermissen. Besser spät als nie. "Good to know / there's something in our hearts". So politisch kannte man die Band in ihrem musikalischen Schaffen bisher gar nicht. Im Video zum Song wird Aktivistinnen wie Carla Reemtsma von Fridays For Future oder Mattea Weihe von Sea Watch eine Bühne geboten. Das Herz dieser Band sitzt wirklich am rechten Fleck. Musikalisch überzeugt die Single leider nur bedingt. Trotz knackiger drei Minuten scheint ihr nach dem ersten Refrain die Luft auszugehen. Wo die Leoniden ansonsten immer dafür gut sind, einem Song unvermutet eine neue Richtung zu verpassen, wiederholen sich in "New 68" die Textzeilen und der vorsichtige Pathos der Streicher führt zu nichts.
"Blue Hour" ist einer der herausragenden Songs des Albums. Ebenso wie "New 68" mit überzeugender Message ausgestattet, greifen hier auch die musikalischen Ideen stimmig ineinander. Während Sänger Amr offen und reflektiert von psychischen Problemen singt, entfaltet sich der Song um eine wunderschöne Klaviermelodie herum. Der Fokus bleibt auf dem Wesentlichen, was bei den Leoniden immer noch Chöre, Synthesizer, Drum-Fills und Kopfstimme beinhaltet.
Leider verliert das Album immer wieder seinen Fokus. Die Überfülle an Einflüssen nimmt Songs die Wucht, lässt sie unfertig und unrund klingen. Das treibend-melancholische, ganz stark auf 2000er Indie verweisende "Deny (feat. Ilgen-Nur)" geht zwischen dem Air-inspirierten "Complex Happenings Pt. 3" und dem Alarmsirenen-Rock in "Complex Happenings Pt. 4" vollkommen unter. Auch die Kollaboration mit den Berliner Hipster-Schweinerockern Pabst "Freaks (feat. Pabst)" hinterlässt einen seltsamen Beigeschmack. Sowohl die erste sehr Leoniden-hafte Indie-Poprock-Hälfte als auch das breitbeinige Gitarrensolo im zweiten Teil funktionieren für sich. Zusammen in einem Song nehmen sie sich nur leider etwas die Luft, es wird nicht klar, worauf die Aufmerksamkeit liegt.
"Funeral" knöpft thematisch gleichzeitig an "LOVE" und "New 68" an. Zwei Liebende lernen sich auf der Beerdigung der Erde kennen. Hallo Klimawandel! Aus der Ausweglosigkeit ihrer Situation heraus halten sie sich aneinander fest, in einem "house on shaking ground". Dazu legt die Band allerfeinsten High-Energy Indie auf, mit Two Door Cinema Club-Gitarre in der Bridge, die im Refrain ähnlich turbulent explodiert, wie das Innenleben der Protagonist*innen. Vor allem die Bläser zum Ende hin, irgendwo zwischen Abrisskapelle und Trauermarsch sind große Kunst.
Deswegen sind die Schwächen auf "Complex Happenings Reduced To A Simple Design" so unerträglich. In diesem Album schlummert ein gigantisches Potenzial. Doch es geht immer wieder unter, zwischen nur halb durchdachten Soundexperimenten, die stellenweise herausragendes Songwriting unter sich begraben.
3 Kommentare
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
gute Kritik - Hauptproblem identifiziert. Sind immer wieder ganz große Momente dabei, aber eben auch Verwirrendes.
Das Album ist schon interessant mit ein paar Perlen dazwischen. Sich ausprobieren ist auch was schönes. Beim dritten Album kann man das sicher mal machen. Eine schön positiv klingende Band.