laut.de-Kritik

Mehr Bon Iver als Bon Scott.

Review von

In der scherzkonservativen Rock- und Metal-Szene stellt sich die Frage: Bist Du Suffkopf oder Sommelier? Ist man erstarrt in jugendlicher Freude, die Abgründe der Verlotterung auszuloten und bleibt dabei hängen im Status Quo, immer gewillt das Niveaulimbo ergebnisoffen zu gestalten? Oder verfügt man über einen Verstand, der nach strenger Symmetrie und Liebe zur Technik trainiert wurde und mit großer Anstrengung darauf getrimmt worden ist, nach Lust und Laune zu leben. Leprous lieben das Outré.

Der an Meisterwerken nicht armen Vita fügen Leprous mit "Melodies Of Atonement" ein weiteres Kapitel hinzu. Nach dem düster-depressiven "Pitfalls" und dem schillernden Vorgänger "Aphelion" nehmen die Nordlichter eine Kurskorrektur vor und liefern ein kompaktes wie kohärentes Album ab, das eine ideale Ergänzung in der Diskografie darstellt.

Der Markenkern bleibt derselbe: Sänger Einar Solbers faszinierendes Falsett, die laut/leise Dynamik und die überragende Rhythmus-Arbeit, nicht nur vom Drum/Bass-Duo Kolstadt/Børven. Die Band verlegt sich beim Songwriting noch mehr auf poppige Strukturen und Synthie-Layer, lässt dafür die Gitarren wieder stärker und härter zur Geltung kommen. Es gibt große Gesten wie in "Silently Walking Alone" und kammermusikalische Exkurse wie im Choral-artig angelegten "Self-Satisfied Lullaby", die im Kontext der düster dräuenden Drones und Subbass-Passagen und der Gitarrenorientierung eine durchscheinende Heavyness versprühen.

"Melodies Of Atonement" liefert zehn düster gescheckte Klanggebäude in denen Tiefton-Experimente und Drum-Exegese tonangebend sind, bei denen das Tageslicht resigniert und der Düsterheit Platz macht. Drones und Subbass sorgen für ein Britzeln unter der Schädeldecke und Wummern in der Magengegend. Leprous verpacken die zwei Hand voll Lieder in eine A und eine B-Seite. Die ersten fünf Stücke sind kürzer gehalten, nicht verwunderlich, dass die drei Singles allesamt aus der ersten Hälfe stammen. Die Tracks 6-10 fallen länger, ausufernder und experimenteller aus.

"Like A Sunken Ship" entfesselt eine Kraft, die in bestimmten Passagen die Sinne beisammenhält und sie in manchen Momenten eskalieren lässt. Das Gitarren-Geplucker in Form repitierender Akkord-Brechungen im Song "Unfree My Soul" rangiert näher an Bon Iver als an Bon Scott.

Der skandinavische Prog-Export ist eine esoterische Maschine aus poliertem Messing. Leprous halten sich seit jeher von der Math Metal-Mischpoke fern und verzichten auf Skalen Gegniedel à la Dream Theater. Ihre Stärken liegen, trotz im Laufe der Zeit veränderter Sound-Ästhetik, im athmosphärischen Bereich und in der Rhythmus-Arbeit. Hierzu tragen insbesondere die Gitarren bei, die anders als in den meisten Rock- und Metal-Spielarten NICHT 100% der Spielzeit für sich beanspruchen und bei weniger als einem Solo pro Minute beleidigt die Band verlassen. Allen Gitarren-Dudes da draußen sei gesagt: Bei Leprous gibt es ein Gitarrensolo pro Album.

Einar Solbergs fragiles Falsett rangiert auf höchsten technischen Niveau und passt perfekt zur sorgsam strukturierten und stufenlos zwischen hart und zart pendelnden Musik. Mit seiner wandelbaren Stimme drückt Solberg den Hörer Textzeile für Textzeile tiefer in den Sessel.

Änhlich wie Steven Wilson scheren sich Leprous einen feuchten Kehrricht um Konventionen und trotzen dem Naheliegenden. Transitionen sind die fundamentale Dynamik. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Erwarten und Erleben. Von Erwartungen befreit hat sich das Quintett spätestens mit "Malina". Auch der Hörer sollte tunlichst vermeiden, zu viel vorab an Vorstellungen zu imaginieren. Leprous leben in der hybriden Zone. Augen zu, Ohren auf und wirken lassen.

Trackliste

  1. 1. Silently Walking Alone
  2. 2. Atonement
  3. 3. My Specter
  4. 4. I Hear The Sirens
  5. 5. Like A Sunken Ship
  6. 6. Limbo
  7. 7. Faceless
  8. 8. Starlight
  9. 9. Self-Satisfied Lullaby
  10. 10. Unfree My Soul

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