laut.de-Kritik
Funktional auf den Streaming-Erfolg ausgerichtet.
Review von Yannik GölzLil Baby ist der fantasieloseste und großartigste Rapper der Welt. Sobald man einmal durch einen Song wie "Drip Too Hard", "The Bigger Picture" oder einen seiner unendlichen, unglaublichen Feature-Parts auf den Geschmack seiner Stimme gekommen ist, weiß man, wie hart dieser Kerl aus Atlanta rappen kann. Auch ein paar seiner alten Mixtapes liefern brachialen Straßenrap. Und dann steht man vor diesem neuen Album, nickt bei jedem Song mit, könnte jedem Song attestieren, dass er da gerade sehr gut rappt, und trotzdem nickt fast ein. "It's Only Me" zeigt auf die drögestmögliche Art, was Feature-, Single- und Albumartist voneinander trennt.
Dabei ist das Gemeine: Der Erfolg wird trotzdem eintreten. Lil Baby hat eine eisern eingespielte Formel, nach der er wirklich jeden Song hier generiert, die manchmal auch von einem Feature aufgelockert wird. Und diese Formel ist ein Segen für Playlisting. Wenn die Songs funktionieren, können sie komplett in den Boden gestreamt werden. Und ein paar funktionieren durchaus: "California Breeze" mit dem Flip eines L.A.-Indie-Tracks klingt sommerlich und wunderbar, auch die Hook ist eine der glücklichsten auf der Platte. "Not Finished" erinnert an "Harder Than Ever"-Highlights, er klingt hungrig wie sonst kaum wo. Und die Nardo Wick-Kollabo "Pop Out" hat wohl das größte virale Potential; der "Pushin P"-eske Beatswitch auf den eigenwillig murmelnden Nardo, alle Parts klingen stark, beide Beats funktionieren.
Falls man auf die Tracktitel geachtet hat, ahnt man aber schon ein bisschen das Problem des Ganzen: Ein großer künstlerischer Appeal von Lil Baby ist seine Bodenständigkeit. Er war immer dieser relativ normale Typ aus den schlechteren Nachbarschaften Atlantas, er flext, aber nicht ins Absurde. Er macht Rap als Business und macht sich nicht durch überbordende Ansprüche oder Ambitionen unbeliebt. Und genau dieses Selbstverständnis hält ihn auf Albumlänge in sehr engen Schranken. Schaut man sich Tracktitel wie "Heyy", "Forever", "Danger", "Not Playing" oder "FR" an, merkt man, dass hier kein Track ist, der die Grenzen seines Sounds auslotet.
Und diese Beständigkeit macht ihn tatsächlich sympathisch und angenehm berechenbar, aber mehr noch als beim ebenfalls seine Längen mitbringenden Vorgängeralbum "My Turn" entsteht hier eine Einförmigkeit, die man kaum entschuldigen kann. Im Schreiben nennt man schlechtes Pacing, wenn jeder Satz genau gleich lang ist – guter Stil entsteht immer dann, wenn man Sound, Rhythmus und Fokus nach eigenem Ermessen fantasievoll einsetzt. Dieses Album ist wie zwanzig Seiten Prosa im Blocksatz – und jeder Satz hat genau den gleichen Satzbau, die gleiche Länge und die gleiche Betonung. Irgendwann kann man ihm nicht mal mehr ganz die Ambition abnehmen, es für die Kids in Atlanta zu tun, während er andernorts schon das dritte Mal nölt, dass Google sein Vermögen falsch geschätzt hat.
Ebenso besorgniserregend ist, wie wenig die Singles dieser Platte hängen geblieben sind. Niemand wird etwas gegen "In A Minute" sagen, der Song ist so solide, wie er handzahm ist. Aber dass eine Nummer so lappig und unfokussiert wie "Heyy" Single-Status erreicht hat, ist doch ein Armutszeugnis für die herausragenden Momente auf diesem Album. Ja, an das seltsam in die Hook gequengelte "Heyy" erinnert man sich, leider aus all den falschen Gründen. Auch Features wie Fridayy oder Jeremih richten wenig an diesem grundlegenden Mangel an starken Hooks aus: Baby konnte das eigentlich selbst, aber musikalisch wirkt er hier satt und uninspiriert.
Da freut man sich über alle Features, die ein bisschen Akzente in diese sehr eintönige Brühe bringen. Aber es ist zu wenig und zu spät – wer "It's Only Me" am Stück durchhört, spürt, dass irgendwo in dem Sound die Luft raus ist. Ähnlich wie moderne Drake- oder Migos-Alben setzen sie die Funktionalität einer großen Album-Tracklist im Streaming-Zeitalter und den dadurch entstehenden kommerziellen Erfolg über eine wirklich gelungene Album-Erfahrung. Außerdem merkt man, dass Baby für einen so erfolgreichen Artist doch das Ohr für die Beats fast gänzlich abgeht, für die ihn die enge Zusammenarbeit mit Gunna früher doch sehr nützlich war. "It's Only Me" zeigt, dass Baby in Sachen Flow und Energie eigentlich immer noch on top sein könnte, aber das Album selbst schreit dringend nach einem radikal eingreifenden exekutiven Produzenten.
1 Kommentar
Ist ok das Album… Never 2 Sterne Yannik !