laut.de-Kritik
Der Mann ist einfach zu platt für den Wettbewerb.
Review von Yannik GölzLil Baby ist ein amerikanischer Rap-Superstar. Muss man erst mal nicht verstehen. Lil gehört zur grassierenden Gattung namens 'Local Hero'. Er rappt für seine Nachbarschaft und hält die Flagge mit nicht besonders markanten Trap-Songs für Atlanta hoch - genau wie es A Boogie Wit Da Hoodie für New York und Roddy Ricch für Compton tun. Man würde gar nicht glauben, wie groß der Mann mit dem bescheuert generischen Bühnennamen in der aktuellen US-Szene ist, bedenkt man, dass der Young Thug-Zögling keinen auf den ersten Blick ersichtlichen, eigenen Sound mitbringt.
"My Turn" ist das neue Studioalbum, das nach einer Serie immens populärer Songs und Mixtapes seinen Status zementieren soll und dabei zeigt: Man kann souverän abliefern, auch ohne innovativ zu sein. Natürlich plätten die zwanzig Nummern ordentlich, aber Lil Baby ist kein Albumartist. Er geht weder konzeptuell noch besonders dramaturgisch vor. Lil feuert stattdessen einen vollen Köcher Trap-Realness ab, hält eine mehr oder weniger beliebige Reihenfolge ein und reagiert eher auf die Beats, als ein größeres Ganzes zu schaffen.
Das hat zur Folge, dass das Album ein paar klar ersichtliche Schwächen aufweist. Die Songstrukturen sind sehr vorhersehbar, es variiert fast gar nichts. Und gerade die typische Art, eine Hook zu schreiben, mündet mit sich wiederholenden Kadenzen in Monotonie. Der Mann aus Atlanta hat eine sehr eigenwillige Stimme, und man muss sich an diese erst mal gewöhnen. Bei aller Kritik: Sollte man sich von der schieren Menge an Material nicht abschrecken lassen, gibt es auf "My Turn" dennoch Perlen zu entdecken.
Auch wenn Lil Baby auf den ersten Blick wenig von Belang zu erzählen hat, gibt es Charakteristika, die den Protagonisten sympathisch machen. Zum Beispiel ist er für einen Rapper erstaunlich wenig kompetitiv, ähnlich wie sein Kollege und Geistesbruder Gunna gilt die Devise 'Leben und leben lassen'. "I want everybody to ball", rappt er auf "Can't Explain", an anderer Stelle streift er das Streben nach GOAT-Titeln ab und betont, es wäre ihm egal, ob er als erster oder zweiter durchs Ziel käme. Erfrischend, in diesem permanenten Ellbogengeplänkel mal jemandem zu hören, der einfach nur jedem sein Hak gönnt und ohne negativen Gefühle sein eigenes Süppchen kocht.
Dieses Süppchen besteht vor allem aus Reichtum, Opulenz und Luxus. Gut, kennt man, ist abgedroschen. Doch selbst hier gibt es Momente, in denen es Lil Baby nicht mal so recht um die eigene Dekadenz zu gehen scheint. So betont er gebetsmühlenartig, wie sehr er alles für seine Nachbarschaft tue, wie sehr er sein Glück und sein gutes Schicksal mit seiner Verwandtschaft und mit seinen alten Freunden teilen wolle. "My niece asked if my diamonds real, I said 'of course'", heißt es auf "Emotionally Scarred", und statt Angeberei spürt man echte Dankbarkeit, dass er es geschafft hat.
Das mag den emotionalen Kern seiner Musik treffen: Lil Baby klingt wie ein ernsthaft traumatisierter Kerl. Er rappt über die Vergangenheit, die wir hier sowieso nicht mehr in Realität und Klischee unterscheiden können. Aber statt Pose oder großer Geschichte klingt er taub, apathisch und scheu, wenn er die alten Geschichten der Nachbarschaft andeutet.
Das macht ihn in seinen besten Momenten zu einem zugänglichen, auf schräge Art und Weise positiven MC: Natürlich gibt es aggressive, bombastische und raue Songs wie "Live Off My Closet" mit Future, dem atmosphärisch-unheimlichen Murda Beatz-Feature "How?" oder dem vorab erschienen Hit "Woah". Aber die wirklich starken Momente finden sich auf der zweiten Hälfte, wenn er mit alten Produzenten wie Quay Global oder Wheezy kooperiert und die Atmosphäre einer erschöpften Geruhsamkeit etabliert.
"Can't Explain" ist ein angenehmes Stück, "We Should" eine affirmative, nach vorne gerichtete Retrospektive mit Mentor Young Thug und "Catch The Sun" ein Song über seine Beziehung, der klingt, als würde man sich nach einem langem Arbeitstag ausgelaugt aufs Sofa setzen und sich freuen, dass wenigstens dieser Teil der Welt noch intakt ist. Schrägerweise erinnert der Vibe dieser Songs fast ein wenig an "Sitting On The Dock Of The Bay" von Otis Redding. Der Mann ist platt, der Mann hat viel Mist gesehen, aber zumindest das Hier und Jetzt bleibt schön. Was interessiert da schon der Rest?
Dennoch sind 20 Songs für dies Platte zu viel. Gerade die ersten beiden Tracks ziehen mit viel zu gewollt epischer Stimmung spurlos vorüber. Bei manchen Features, besonders denen mit Lil Wayne und Moneybagg Yo, konnten sich die Rapper wohl nicht so recht auf eine gemeinsame Stimmung einigen. Etwa um das erste und zweite Drittel schaltet "My Turn" dann in Hochphasen, dem Einstieg und in der Mitte fehlen dagegen der Biss. Schade, denn auf zwölf oder dreizehn Songs getrimmt, läge hier ein bombensolides Tape vor. So bleibt ein stimmungsvolles Traktat darüber, warum dieser Rapper, der auf den ersten Blick so generisch wirkt, doch interessante Facetten zu bieten hat.
2 Kommentare
tuen
Review geht klar. Paar Bretter sind drauf.