laut.de-Kritik

Die surreale Vervollständigung eines tragischen Melodramas.

Review von

Bereits wenige Wochen, nachdem Lil Peep am 15. November des vergangenen Jahres an einer Überdosis verstorben war, kündigte sein Produzent Smokeasac an, in enger Zusammenarbeit mit dessen Freunden und Verwandten ein posthumes Album zu veröffentlichen. Den Nachfolger zu "Come Over When You're Sober Pt. 1", das seinerzeit das Emo-Trap-Genre auch kommerziell endgültig in den Mainstream versetzte. Das Projekt, das Gustav Åhr zu einem Superstar gemacht hatte.

Nun ist "Come Over When You're Sober Pt. 2" erschienen. Was für eine eigenartige Situation, immerhin schien sich Peeps Musik schon immer auf eine Ironie zu berufen, der nur sein eigener Tod eine morbide Pointe hätte liefern können. "I wanna die too", "When I die, bury me with the lights on" oder "Everybody's telling me, life's short, but I wanna die": Solche Lyrics fanden sich konstant auf seinen Projekten. Nun ist der Wink mit dem Zaunpfahl Realität geworden, und das posthum kuratierte Projekt könnte sich kaum surrealer anfühlen.

Die cineastische Synthesizer-Einleitung auf "Broken Smile (My All)" über die verwaschenen Alt-Rock-Samples auf Tracks wie "16 Lines" oder "IDGAF" bis hin zum theatralischen Ausstieg über die Leadsingle "Sunlight On Your Skin", all das ist quintessenziell Lil Peep. Tatsächlich stellt bereits das Vorgängeralbum einen Übergang in kommerziell freundlicheres Terrain dar, weswegen man diesem Release seine etwas sauberere Politur verzeihen kann. Sie schließt sinnvoll an seinen Katalog an.

Sehr schön, dass Songs wie die Marshmello-Kollaboration "Spotlight" oder andere Sellout-Ideen keinen Weg auf die Platte gefunden haben. Lediglich über die Inklusion des offensichtlich ungewollt zusammengeflickten XXXTentacion-Features "Falling Down" lässt sich streiten.

Nichtsdestotrotz ist die Atmosphäre der Platte beeindruckend dicht. Natürlich bleibt der klassische Peep-Kitsch, der nie Hemmungen hatte, seine Erfahrung in ein wehleidiges und etwas egozentrisches Drama zu verdichten. Aber genau das macht gewissermaßen auch einen großen Teil seines Appeals aus. Peeps Musik bekennt sich zum Melodrama, zum Affekt und zur Banalität großer Gefühle. Da gibt es keine Ironie, keine Deckung, kein Versuch, die eigenen Gefühle von sich abzuweisen.

Entsprechend emotional klingt die Platte nun auch: Langsames Tempo, viel Hall, Peep bewegt sich allen voran in seiner Komfortzone und singt schüttere, verwundbare Quotables über eine Fusion aus Metro Boomin und den Pixies, aus Post Malone und Nirvana. Highlight-Songs gibt es zahlreich, so zum Beispiel das hymnenhafte "Fingers", das eine der ambitioniertesten Produktions-Kulissen aufbringt, das minimalistisch Nirvana-eske "Cry Alone" oder der kathartische Abschluss auf "Sunlight On Your Skin" mit IloveMakonnen.

Dass das Projekt trotz der recht ähnlichen Ansätze nie monoton erscheint, ist der innovativen und detailverliebten Produktion von Smokeasac zu verdanken. Immer wieder findet er den ein oder anderen Weg, um simple Demos zu vollwertigen Songs aufzuwerten. Der energetische Drop auf "Leaning", die passenden Pop-Elemente auf "Hate Me" oder die dichte Atmosphäre zum Einstieg von "Broken Smile (My All)" überzeugen, ohne den Fokus von der eigentlichen Idee abzuwenden.

Das Album bietet Vielfalt, aber wendet sich an keiner Stelle von der alles übergreifenden Melancholie ab. Peeps Musik war seit je her nicht gerade fröhlich, aber im Anbetracht seines Todes erscheint gerade die Entscheidung, dieses Projekt so still und unterschwellig zu halten, nicht nur angemessen, sondern atmosphärisch sogar sehr sinnvoll.

Einen besonderen Höhepunkt markiert die Single "Life Is Beautiful", die noch einmal intimer und zerbrechlicher als die anderen Titel im Tracklisting anmutet. Der Optimismus, die verlorene Produktion inklusive schwereloser Synthesizer und die überraschend konkrete und konzeptuelle Art, den Text anzugehen sorgen hier für einen Moment, der sehr an frühe Peep-Klassiker wie "Crybaby" erinnert. Der Minimalismus geht auf und, gerade im Kontext des Albums, unerwartet unter die Haut.

"Come Over When You're Sober Pt. 2" könnte das Album sein, das die Fans sich von Lil Peep´noch erhofft haben: Ein etwas eindimensionales, aber deshalb sehr markantes Projekt, das sich darauf fokussiert, der Stimmung und den Markenzeichen von Peep gerecht zu werden.

Als Ergebnis entstanden nicht nur eine Menge Track-Highlights, sondern auch ein Longplayer, der zumindest ein Stück des Potenzials einfängt und kondensiert, das Lil Peep zu seinen Lebzeiten angedeutet hat. Ein surrealer Hördurchgang, nicht zuletzt aber ein lohnenswerter und intensiver, wenn man denn zuvor schon ein bisschen mit der Musik anzufangen wusste.

Trackliste

  1. 1. Broken Smile (My All)
  2. 2. Runaway
  3. 3. Sex With My Ex
  4. 4. Cry Alone
  5. 5. Leanin'
  6. 6. 16 Lines
  7. 7. Life Is Beautiful
  8. 8. Hate Me
  9. 9. IDGAF
  10. 10. White Girl
  11. 11. Fingers
  12. 12. Falling Down (feat. XXXTentacion)
  13. 13. Sunlight On Your Skin (feat. ILoveMakonnen)

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