laut.de-Kritik

Räudige Mischung aus Country, Gospel, Blues, Rock und Folk.

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Als Les Paul 1940 eine Gitarre mit Vollkörper und elektrischen Pick-Ups entwarf, ahnte er nicht, welche musikalische Revolution er in Gang setzte. Im Gegenteil: Erst 1952 lies sich Gibson überzeugen, das nach dem Tüftler benannte Modell heraus zu bringen. Und das auch nur, weil der Konkurrent Fender mit der Esquire, später bekannt als Telecaster, bereits seit 1950 auf dem Markt war.

1953 kaufte sich Link Wray, ein junger Mann indianischer Abstammung, eine jener neuartigen Les Pauls. Da er schlecht hörte, konnte er sie besser spielen als eine Akustikgitarre, wenn er mit seinen Geschwistern musizierte. Schnell stellte er fest, dass er sich mit dem notwendigen Verstärker der Sound manipulieren ließ. Das Ergebnis war ein "Lärm", der Eltern entsetzte - und Jugendliche begeisterte.

Wray war einer der Pioniere des neuen Lärms. Zwei Finger reichten, um mit Hauptton und Quinte einen reißerischen Klang zu erzeugen - der Powerchord war geboren. Als 1958 ein Stück als Single erschien, das er bereits seit 1954 spielte, war die Sensation perfekt: "Rumble" von Link Wray and the Ray Men wurde zum Weckruf für viele Musiker der folgenden Generation. "Nach 'Rumble' habe ich innerlich mit der Schule abgeschlossen" erklärte etwa Iggy Pop. "Ohne 'Rumble' hätte ich nie zur Gitarre gegriffen", meinte Pete Townshend. "Er war ein echter Rebell. 'Rumble' hatte einen großen Einfluss auf mich", so Jimmy Page.

Doch Wray hatte auch eine andere Seite. Um sie auf Band zu bannen, zog er sich zu Beginn der 1970er Jahre auf das Grundstück seiner Familie in Accokeek, Maryland, nahe der US-Hauptstadt Washington, zurück. Dort richtete er sich im Hühnerstall ein Studio ein, das er auf den Namen Shack Three Track taufte, sinngemäß "Bruchbude mit drei Tonspuren".

Es war DIY der feinsten Art: selbst produziert, mit seinen Geschwistern und befreundeten Musikern locker aufgenommen, sinnierte Wray in zahlreichen Stücken über den Sinn des Lebens. Improvisieren war an der Tagesordnung: Als eine Zeit lang kein Schlagzeug zur Verfügung stand, stampfte er den Rhythmus in den Lehmboden und schüttelte eine mit Nägeln gefüllte Dose. Wenn er zur E-Gitarre griff, stellte er den Verstärker in den Hof und ein Mikrophon in den Fensterrahmen, um seine Mitmusiker nicht zu übertönen.

Ein Folkie der besonderen Art war Wray schon in den Jahren davor gewesen, als er gelegentlich in den Clubs des New Yorker Greenwich Village auftrat, unter anderen mit dessen bekanntestem Künstler, Bob Dylan. Der wiederum von "Rumble" so begeistert war, dass er, noch vollkommen unbekannt, 1958 ein Konzert Wrays besucht hatte und das Stück später als das einflussreichste Instrumental überhaupt bezeichnete. Eine Gelegenheit, die Neil Young dagegen verpasste. "Sollte ich jemals die Möglichkeit, ein Konzert in der Vergangenheit zu besuchen, würde ich zu Link Wray and the Ray Men gehen", so der Kanadier.

Nun hatte Wray Botschaften, die er in Worte fassen wollte. Etwa seine Erfahrungen mit einer Gesellschaft, die es einem Außenseiter wie ihm so gut wie unmöglich machte, Fuß zu fassen. In "Rise And Fall Of Jimmy Stubbs" erzählt er die Geschichte eines Landjungen, der in die große Stadt zieht, dort mit krummen Geschäften reich wird und schließlich doch wieder dort landet, wo er hergekommen war - in Fußfesseln. Das Problem sei weniger Rassismus als der wirtschaftliche Abgrund, in den gefühllose Machtmenschen die Gesellschaft treiben. "The red man lives and dies on the reservation / And the black man just lives anywhere he can / And the poor white man he doesn't live any better / He can't say I'm red I'm black I'm yellow, I'm tanned / We're all caught up together / Like the buffalo on the plains / We're just shooting sport for ice people, were just a game" erläutert er in "Ice People".

Grund zur Hoffnung sah er im Diesseits kaum. "I hear talking of people / The whole world has gone insane / And all there is left is the fallin' rain", singt er in einem Stück, das thematisch an Dylans "A Hard Rain's a-Gonna Fall" erinnert. Wenigstens hatte er noch schöne Erinnerungen an die Umgebung seiner Jugend, dem "Black River Swamp", down where the cotton grows / Turnin' off the main highway / Goin' down that country road".

Seinen Glauben thematisiert Wray in mehreren Stücken, so in "Take Me Home Jesus" und "God Out West" mit dem fiesesten Gitarrensolo der Platte. Die bekanntesten Stücke sind die mitreißenden "Fire And Brimstone", von dem später die Neville Brothers und Nick Cave eigene Versionen einspielten, und der Opener "La De Da". Wrays Stimme geht im Rhythmus so unter, dass der Text nicht immer deutlich ist. "Love is all we need, we are all the same", erkennt man zwischendrin, vor allem aber das fröhliche "Sing La De Da" im Refrain, in dem Wray und alle Mitmusiker ins Mikrophon brüllen.

Von den Botschaften mal abgesehen, besticht das Album durch die räudige Mischung aus Country, Gospel, Blues, Rock und Folk, die stellenweise an die Rolling Stones mit Nicky Hopkins oder an Creedence Clearwater Revival erinnert. Mit einem großen Pluspunkt: da er nicht den Druck hatte, einen Chartbreaker abliefern zu müssen, ließ Wray die wohltuenden Kanten einfach drin. Gemessen an den Umständen und den damaligen technischen Möglichkeiten ist der Sound sogar passabel.

Nicht, dass er etwas dagegen gehabt hätte, ein neues musikalisches Standbein aufzubauen. Obwohl es 1971 beim Major Polydor erschien, hinterließ "Link Wray" in den Charts keine Spuren. Die Sessions waren jedoch so ergiebig gewesen, dass wenige Monate später eine zweite Platte mit dem Titel "Mordecai Jones" erschien. Das restliche Material kam 1973 auf "Beans And Fatback" auf den Markt, diesmal für das aufstrebende britische Label Virgin. Schlagzeuger, Co-Autor und Co-Produzent Steve Verroca hatte einige Bänder geklaut und im Ausland verscherbelt.

Wray war nicht amused, profitierte letztlich aber von seinem unehrlichen Mitstreiter, weil er so in Europa Fuß fasste. Zu Beginn der 1980er Jahre siedelte Wray mit seiner vierten Ehefrau nach Dänemark über, zeugte mit ihr sein neuntes Kind und nahm weitere Alben auf.

Der große Erfolg blieb auch weiterhin aus. In schwarzes Leder gekleidet und - wie auf dem Cover - mit einem Indianer-Stirnband ausgestattet, blieb er zeitlebens der coole Typ, der "Rumble" eingespielt hatte. Sein Kultstatus war so groß, dass ihn seine Fans auch nach dem Tod noch heimsuchten.

Unter ihnen die US-amerikanische Musikjournalistin Amanda Petrusich. "Vor einigen Jahren wurde ich zu einem jener sicherlich zahlreichen Idioten, die versucht haben, in die Gruft einzudringen, in der Link Wray seit 2005 ruht. Die Christians Kirke in Kopenhagen ist ein wunderschönes Gebäude, das im achtzehnten Jahrhundert im französischen Rokokostil vom dänischen Architekten Nicolai Eigtved erbaut wurde. Es gibt keinen moralisch vertretbaren Grund, warum jemand nach Einbruch der Dunkelheit dort herumschleichen sollte, besonders nach mehreren Schlücken billigen Akvavits. Fest steht: Es gibt einfach nicht genug Denkmäler für Wray, das Monster der E-Gitarre, das im Wesentlichen den Powerchord erfunden hat. Irgendwie wurde er nicht einmal in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen", erläuterte sie 2018 in der Zeitschrift New Yorker.

"La De Da" sei ihr Lieblings-Gute-Laune-Lied, meint sie. Doch der Klassiker bleibt natürlich auch für sie ein anderer. "Rumble' ist ein räudiger, unheimlicher Song. Wenn du ihn auftreiben kannst, öffne alle Fenster deines Autos und fahre ganz langsam durch einen dunklen Straßenzug. Du wirst niemals wieder so cool rüberkommen", empfiehlt Petrusich, Und ist damit offenbar einer Meinung mit Quentin Tarantino, der das Stück 1994 im Soundtrack zu "Pulp Fiction" unterbrachte.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. La De Da
  2. 2. Take Me Home Jesus
  3. 3. Juke Box Mama
  4. 4. Rise And Fall Of Jimmy Stokes
  5. 5. Fallin' Rain
  6. 6. Fire And Brimstone
  7. 7. Ice People
  8. 8. God Out West
  9. 9. Crowbar
  10. 10. Black River Swamp
  11. 11. Tail Dragger

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1 Kommentar

  • Vor 6 Jahren

    So subversiv und bahnbrechend wie bei "Rumble" war er 1971 nicht mehr, stattdessen kehrte Wray zu den Wurzeln der amerikanischen Populärmusik zurück und überzeugte mit dieser Wundertüte. Mustergültiges Americana-Album, mit dem Wray das Etikett des One-Hit-Wonders vielleicht hätte ablegen können, wenn es sich besser verkauft hätte, aber Roots- und Blues-Rock waren halt kein Novum mehr, wie im Artikel angesprochen.
    Zum Weiterhören: "American Gothic" von David Ackles.