laut.de-Kritik
Noch ein Album vom Greta Van Fleet-Produzenten.
Review von Philipp Kause"1988" ist ein weises humanistisches Songwriter-Album mit einer rasch vertraut klingenden Stimme und einigen richtig schönen Melodien. Die Autorin ist allerdings lange vor "1988" geboren. Genau das ist auch ihr Thema, sie kommt im Opener ohne Umschweife auf den Punkt, alt geworden, fett geworden: "Die alte Frau in mir / denkt, 'ich seh gut in diesen Jeans aus' / Sie erinnert sich, was ihr Körper tat / als er all jene Kinder austrug." Lori McKenna ist nicht etwa ein Pseudonym von Loreena McKennitt, sondern eine gänzlich andere Person, 54, im Süden der USA großer Songwriter-Name bei Fans handgemachter Musik. "1988" ist ihr elfter Longplayer.
Der Opener switcht literarisch kunstvoll zwischen "she" und "me", vermittelt den staunenden Blick einer Frau von außen auf sich selbst. "Sie ist eine, die nicht bedauert / ja, eine, die gut im Vergeben ist", ziemlich tief in die Seele gräbt das alles rein, eine CD wie ein Feature in der Cosmopolitan, psychologisch interessiert, feministisch und im weitesten Sinne eine biographisch angelehnte Mental Health-Platte, mit kurzen Zeilen auf Countryfolkrock-Akkorden. "She's a no-regretter / Yeah, a good forgiver.
Hinter der engagierten Frau, die selbst komponiert, wunderschön (manchmal etwas metallisch) singt und die Akustikgitarre klampft (grandios kristallklar in "Days Are Honey"), steht neben dem Ehemann, um dessen Rolle es mit manchen Seitenhieben in den Lyrics geht, noch ein Mann: der Produzent von Greta Van Fleets "Starcatcher". Dave Cobb ist mittlerweile ein allgemein gut beschäftigter Americana-Producer. Seine treueste Kundschaft neben Lori sind die Rival Sons, und auch mit Brandi Carlile und Jason Isbell werkelte er oft. "A Star Is Born" ließ ihn aus seinem üblichen Musikschema ausscheren, und mit Slashs "4" erwarb er sich Starkstrom-Rock-Meriten. Nun erklärt sich, warum Greta Van Fleet dieses Mal etwas weniger aufgebrezelt, dafür aufgeräumter mit bewusst gesetztem Vintage-Rost klingen, aber auch alle Tracks auf "Starcatcher" im selben Fahrwasser schwimmen: Weil man das halt auf einer guten Americana-Storyteller-LP so macht.
Bei Lori McKenna stört diese Angewohnheit auch ein kleines bisschen: Ihr Album hat keine Dramatik-Höhepunkte, es rotiert denkbar gleichmäßig. Mit bissigen Zeilen erzählt es die Geschichte einer Familie und ihren Fehler und Macken, von Jobs und Kids, Wut und Weichenstellungen, "remember we had our up's and down's" ("Wonder Drug"). Selbstkritisch kräht Lori in "Letting People Down", "ich hasse es Leute hängen zu lassen, und trotzdem mach ich das dauernd / ich wollte dich nicht verletzen."
Dave, der Mann an der Schaltzentrale, trägt auch eigenhändig Keyboards zu dieser atmosphärisch dichten Konzeptplatte bei. Besonders im starken Closer "The Tunnel" vernimmt man die weich georgelten Harmonien eindrucksvoll, auch "The Town In Your Heart" ist dank dieser Tasten-Zutat mehr als straighter Gitarrenrock für Sensible.
Es empfiehlt sich, zuerst die B-Seite der Platte zu hören. Zum einen weil die fünf hinteren Songs eine schöne Einheit miteinander bilden, einer trauriger als der davor. Zum anderen weil sie die reichhaltigen Perlen des Albums sind, großzügiger mit süßen Melodieverläufen prahlen und sich spannender aufbauen als der Anfang, bis "The Tunnel" im Stil der Counting Crows zum boomenden i-Tupfer wird.
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